Macron nach der Wiederwahl: Von kreideweicher Demut

Frankreich Der im Amt bestätigte Emmanuel Macron vermeidet bei seiner Siegesrede den hohen Ton des Triumphs. Er muss erst noch die Parlamentswahl im Juni gewinnen
Wiedergewählt: Emmanuel Macron
Wiedergewählt: Emmanuel Macron

Foto: Jeff J Mitchell/Getty Images

Nun ist Marine Le Pen ein weiteres Mal an einem Wahlerfolg vorbeigerauscht. Man kann mutmaßen, dass es auch ihr nicht gänzlich unrecht ist, nicht regieren zu müssen, da es an einem konsistenten Programm fehlt. Allein mit Ausländerfeindlichkeit ist kein Staat zu machen, abgesehen von den chaotischen Zuständen, die ihre Wahl schon vor einem Regierungsantritt ausgelöst hätte.

Dass Le Pen in der Stichwahl gegen ihn zur Wahl stand, hat der Taktierer Macron erhofft und dafür einiges getan. Seine klassenfeindliche Sozialpolitik hat manche bereits in Not und Sorge lebende Menschen in den Irrtum geführt, Le Pen könnte oder wolle ihnen manche Alltagslast abnehmen.

Man weiß es ja von anderen rechten Regierungen: Man jagt zwar Migranten und Deklassierte, man knechtet Frauen und Homosexuelle, aber an den sozialen Standards wird nicht gerührt.

Wahltaktischer Machtpoker

Die Macronisten hatten Teile des hetzerischen rechten Vokabulars aufgenommen, in feinen, wohl abgestimmten Dosierungen. Der Hardcore-Innenminister Gerald Darmanin hatte in einer TV-Debatte Marine Le Pen sogar allzu große Nachgiebigkeit in der „Immigrantenfrage“ vorgeworfen. Der wahltaktische Machtpoker war riskant. Die bisher bekannten Zahlen belegen, dass die Wahl des neuen, alten Präsidenten auf einer schmalen Zustimmung beruht: Fast ein Drittel der in den Wahllisten eingetragenen Personen hat sich nicht an der Abstimmung beteiligt.

Man schätzt ferner, dass 42 Prozent der Macron-Wähler vor allem Le Pen verhindern wollten. Das weiß Macron, und angesichts einer sich abzeichnenden harten dritten Wahlrunde mit der im Juni anstehenden Parlamentswahl war seine Siegesrede dieses Mal von kreideweicher Demut geprägt. Er wolle der Präsident aller sein, er sei sich bewusst, dass er seinen Sieg nicht nur sich selber zu verdanken habe. Von den nunmehr als dritten Block zu betrachtenden Kräften des „Unbeugsamen Frankreich“ LFI hatte er bereits im Vorfeld Sprachelemente übernommen, wie die Notwendigkeit eines umfassenden ökologischen Plans, den er ganz in die Hände eines entsprechend kompetenten Premierministers legen wolle.

Gemeinnützige Arbeit

International, vorrangig aus Brüssel, hört man nur Erleichterung. In Macron vermeint man eine sichere politische Bank für ein naives „Weiter so!“ zu sehen. Und die Inszenierung seiner Siegesfeier unter dem Eiffelturm mit der – wie auch 2017 – musikalischen Untermalung der „Ode an die Freude“ sollte genau diesen Effekt herbeiführen. Doch wird die soziale Zerrissenheit immer unübersehbarer. Das Programm Macrons sieht ein Renteneintrittsalter mit 65 Jahren und mehr vor. Sozialhilfe-Empfänger sollen 20 Wochenstunden gemeinnütziger Arbeit verrichten und pro Stunde sieben Euro erhalten. Nur zwei Beispiele, die von der sozialen Härte Macrons zeugen. Und man erinnert sich, dass er nie gezögert hat, hartnäckige Proteste mit einer im Westen sonst nur in den USA üblichen polizeilichen Brutalität zerschlagen zu lassen.

Die Zahlen belegen, dass Macron nach George Pompidou im Jahr 1969 der Präsident mit den „schlechtesten“ Zahlen ist. Le Pen hat ihm zwar noch einmal seine Wiederwahl garantiert, aber es haben ihn 3,7 Millionen weniger als 2017 gewählt, während seine Rivalin 1,5 Millionen Stimmen hinzugewinnen konnte. Irgendwann wird das Bild des bösen rechten Wolfes nicht mehr hinreichend sein. Wie wird man sich dann der Geister, die man selber rief, entledigen?

Mélenchon zufrieden

Es bleibt festzustellen, dass das Wahlergebnis nicht zu einer politischen Flurbereinigung geführt hat. Jean-Luc Mélenchon von LFI hat vor der Stichwahl Macron contra Le Pen bereits auf die Parlamentswahlen im Juni verwiesen. Zur Entscheidung am 24. April äußerte er sich zufrieden: „Marine Le Pen hat die Macht nicht erobert“ – „Macron darf die ganze Macht nicht behalten“. Eine weitere aufschlussreiche Zahl in diesem Zusammenhang: 69 Prozent aller Französinnen und Franzosen sollen den Wunsch hegen nach einer anderen als einer Macronschen Mehrheit im Parlament.

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