Die Karikaturisten Greser & Lenz „legen Wert auf die Feststellung, dass ihre Arbeiten alles sein dürfen, nur nicht mit spitzer Feder auf den Punkt gebrachte Missstände, bei denen dem Betrachter das Lachen im Halse steckenbleibt“. Heißt es in einer Selbstauskunft. In der Ironie der Ausschlussklausel steckt eine kleine Geschichte der Satire: Das, was sie mal war, als Negation dessen, was sie heute nicht mehr sein will oder kann. Spitze Feder. Missstände. Lachen im Halse.
Schaut man sich nun die aktuellen Auseinandersetzungen um die sogenannten Mohammed-Karikaturen an, welche das französische Satiremagazin Charlie Hebdo nun schon zum wiederholten Mal veröffentlichte. Die deutsche Titanic fühlte sich genötigt, sich in ihrem Oktoberheft daz
ich in ihrem Oktoberheft dazu zu verhalten. So kehrt der Entwicklungsprozess, den Greser & Lenz mit ihrer Bemerkung als abgeschlossen beschreiben, als offene Frage wieder. In den Auseinandersetzungen mit „dem Islam“ taucht eine Asynchronie auf: Plötzlich geht es wieder um das Pathos der Aufklärung, der Meinungsfreiheit. Spitze Feder und Missstände. Das Lachen bleibt, auf der anderen Seite, nicht im Halse stecken, sondern produziert Wut, Aufruhr und, schlimmer noch, zuletzt im Falle des Schmähfilms Innocence of Muslims: Tote. Und bei all dem wird man das Gefühl nicht los, dass die Satire, wie „Mohammed-Karikaturen“ sie betreiben, und das Echo, das daraufhin in fernen Ländern organisiert wird, routinierten Reflexen folgen.„Katholischer Sonstwas-Bund“Es gibt Gründe, warum das ganze Theater so unerträglich und, na ja, theatralisch ist. Der erste ist der Hund, auf den der Begriff der Meinungsfreiheit gekommen ist. Sie ist das Resultat eines langwierigen Kampfes gewesen, eine zivilisatorische Errungenschaft. Sich eine Meinung zu bilden, das wird einem aber auch dann nicht leicht gemacht, wenn die Quellen offen liegen. Ephemere Phänomene wie Sinn, Verstand und Mühe vorausgesetzt – also nichts, was eine Regierung oder Religion jemals langfristig fürchten müsste –, ist es also möglich, zumindest sich selbst im Kant’schen Sinne aufzuklären. Man kann zwar oft nichts ändern an der Lage der Dinge, weiß aber immerhin, wie einem geschieht. Diese Freiheit hat natürlich einen Preis – eine Inflationierung. Wo jeder eine Meinung haben und äußern kann, verliert Meinung an Gewicht.Das, was wir mit Meinungsfreiheit meinen, hat in Deutschland zwischen Mitte der sechziger und Mitte der neunziger Jahre eine entscheidende Entwicklung durchlaufen. Zu Beginn dieser Zeit kämpfte die Satire noch gegen die herkömmlichen Feinde, also Staat, Familie und, pars pro toto, den „katholischen Sonstwas-Bund“, wie Konkret diese Szene in einem Interview mit Robert Gernhardt schön subsumierte. Als die sogenannten 68er in Stücke gingen, wurden die einen konservativ-bürgerlich, wieder andere verharrten zunehmend zerknittert in ihrem Verständnis von Orthodoxie, noch andere entdeckten die Spiritualität, die Wale und das Jenseitige in bunten Farben. Alle hingen mit mal mehr, mal weniger Verve an ihren Partikularinteressen, von denen sie berechtigterweise annahmen, dass diese ansonsten als Nebenwidersprüche versanden würden. Der moralische Basso Continuo aber blieb.Dieser Sound war nicht selten berechtigt, aber eben noch seltener erträglich. Was diese Leute wollten, das war nicht die freie Meinung, sondern die befreite Meinung, das heißt, die von jedweder Kritik befreite Meinung. So waren nicht alle, aber genügend viele, um in den neunziger Jahren die Legende von der „politischen Korrektheit“ zu plausibilisieren. Auf der rechtskonservativen Seite wurde man langsam hellhörig. In dieser Zeit gab es bei den Satirikern eine Trendwende. So schrieb Eckhard Henscheid 1986: „Das Kratzen an linken, linksalternativen, grünalternativen Legenden, an dubiosen und im Zweifelsfall Gaunerfiguren erschien und erscheint mir […] nützlicher und reizvoller als der abermalige Nachweis, dass Geißler, Stoiber und Tandler Kryptofaschisten und Blödmänner seien. [...] Kritik z. B. an der eigenen Verwandschafts-Bagage bringt viel mehr erotic drive.“Gewisse HeulsusenhaftigkeitDas war berechtigt, notwendig und meist komisch, außer für die „Verwandtschaft“. Aber dieses Manöver verschliss, und es führte zu seltsamen Gefährten. Denn kaum dass die Satiriker der Neuen Frankfurter Schule, die seinerzeit die Neuausrichtung von Satire betrieben, dieses Fass aufgemacht hatten, da wurden 1989 die geschichtlichen Karten neu gemischt. Die Linke zog die Köpfe ein. In der taz wurde, nachdem die Mauer gefallen war, der Begriff „ewiggestrig“ erstmals auf die Linken selbst angewendet.Und im Zuge der todesmutigen Kämpfe gegen die „politische Korrektheit“ gab es kein Halten mehr – obwohl die sich gegen eine „Hegemonie der 68er“ richtete, die obsolet geworden war. Nun reichte weder freie noch befreite Rede, moralisch alimentiert sollte sie auch noch sein. Dummes Zeug reden, rassistisch sein, schmierig sein, egal, solange es der Öffentlichkeit irgendwie als Kampf gegen PC und für die Meinungsfreiheit verkauft werden konnte. Wer von links nach rechts sich retten wollte, stieß ins selbe Horn. Da wurde das Geschichtsbuch eines Neurechten nicht in dem einen, sondern nur in dem anderen deutschen Verlag veröffentlicht (wer erinnert sich?), und schon quakte es von rechts empört: „Und niemand will es Zensur nennen.“ Auf dem Stand sind wir heute noch.Mit diesen Verschiebungen im Diskurs verbindet sich eine gewisse Heulsusenhaftigkeit, die in der Figur „PC“ anschaulich wird. Bei der geht es bekanntlich um die Imagination einer Opferhaltung (die eigentlich immer der Gegenseite unterstellt wird) – dass etwa aus Bemühungen um die Gleichstellung der Frau wutschnaubend eine Diskriminierung des Mannes abgeleitet wird.Diese Empörung zweiten Grades fußt auf einem zur Dienstbarkeit verluderten Begriff von Meinungsfreiheit, für den die Satire dann anschaffen geschickt wird. Man findet ihn heute bei vielen derjenigen, die jetzt „den Islam“ auf dem Kieker haben. Wem noch nicht schlecht ist, dem sei die „Politically Incorrect“- Website empfohlen. Die pauschale Notwendigkeit von „Mohammed-Karikaturen“ als angeblichem Lackmustest einer humanistischen oder wie auch immer gearteten westlichen Gesittung setzt einen Hausordnungsgeist voraus, wie er im deutschen Migrationsdiskurs existiert und bei dem der Anteil von eigenen Ängsten und eigener Ignoranz immerfort unterschlagen, oder schlimmer noch: der Gegenseite in Rechnung gestellt wird.Provokation kommt bei Lesern gut anDie Resonanz ist überwältigend, insofern die medial vermittelten Reflexe funktionieren. Wobei der unaufgeklärte, aufgerührte Mob, der vor den Fernsehkameras dann „die islamische Welt“ repräsentiert, noch nicht mal gesehen haben muss, wogegen er zu Felde zieht. Von dieser Variante der immer abrufbereiten Empörungsbereitschaft legen die stets paraten brennenden US-amerikanischen und israelischen Fahnen beredt Zeugnis ab. Dem Ökonomen stellt sich die Frage, wo die eigentlich herkommen, ob sie industriell produziert werden oder in Heimarbeit, just in time oder auf Halde.Das mag wie ein Scherz klingen, hat mit der Angelegenheit aber einiges zu tun – man schaue sich nur die Nachfrage nach dem rasch ausverkauften Heft des zuletzt krisenhaften Charlie Hebdo-Magazins an, oder die Auflage und Aufmerksamkeit, die die Titanic mit ihrem Papst-Titel gewonnen hat. Der führte Benedikt XVI. mit einem gelben Fleck auf dem Gewand vor, der mit dem Wort von der „undichten Stelle“ im Vatikan assoziiert wurde. Ein Pennälerscherz, dessen satirischer Sinn nicht weit reicht. Der Papst geht immer.Daran zeigt sich, wie an den global adressierenden „Mohammed-Karikaturen“, ein Funktionswandel von Satire. Der Versuch, mit spitzer Feder Missstände auf den Punkt zu bringen, resultiert in kalkulierter Provokation. Einer Provokation nicht um der kritischen Sache willen, sondern zur Versicherung der eigenen Vitalität.Das muss man wohl tatsächlich alles aushalten.
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