Empört

Linksbündig Michael Moore versteht sich auf die Fabrikation von Kontroversen

Dass schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind, ist eine Art Übersetzung der martialischen "Viel Feind, viel Ehr´"-Regel ins Medienzeitalter. Was umgekehrt auch ein Hinweis darauf ist, dass der Kampf um den begehrten Rohstoff Aufmerksamkeit nicht erst mit der Einführung des Internets begann. Allerdings reagieren die neuen Medien anscheinend besonders empfindlich auf "falsche" schlechte Nachrichten, beziehungsweise den Versuch, sich absichtlich viel Feinde zu machen, um damit den Weg zur Ehre abzukürzen.

So gab in der vergangenen Woche Michael Moore auf seiner Webseite bekannt, dass, wie er gerade erfahren habe, die Disney Corporation ihrer Tochterfirma Miramax den Vertrieb seines neuesten Films Fahrenheit 9/11 untersagt. Disney fürchte um die Steuervorteile, die im Staat Florida von Bush-Bruder Jeb gewährt werden, behauptete Moore herausgefunden zu haben. Denn in Fahrenheit 9/11, der dieser Tage auf den internationalen Filmfestspielen in Cannes seine Premiere hat, verspricht Moore einer bereits in seinem Erfolgsfilm Bowling for Columbine erwähnten Spur nach zu gehen: den vieldeutigen Verbindungen der Bushs zu einigen saudi-arabischen Familien, darunter zu der von Osama bin Laden. Den Bushs, das glaubt man unbesehen, wird das nicht gefallen.

Noch weiß man jedoch nicht genau, worauf sich die Empörung, von welcher Seite auch immer, richten soll. Wer Bowling for Columbine gesehen hat, wird wissen, dass Moore ein Meister des Raunens ist und gerne viele verschiedene Dinge nebeneinander stellt, die präzise Auskunft über deren Zusammenhalt aber verweigert, schließlich soll der Zuschauer auch etwas leisten! In seinen Dokumentarfilmen bedient er sich bevorzugt einer Methode der Bloßstellung, die von der Boulevardpresse inspiriert scheint: Er stellt Menschen in öffentlichen Funktionen nach und filmt ihre unvorbereiteten Antworten, ihr ungeschicktes Abwehren oder ihre noch unvorteilhaftere Mitteilsamkeit. Zwei Szenenfotos auf seiner Homepage aus Fahrenheit 9/11 zeigen ihn vor dem amerikanischen Kongress, wie er einem Abgeordneten mit Aktentasche den Weg abschneidet, und vor der saudi-arabischen Botschaft in Washington, "angehalten vom Sicherheitsdienst", wie die Bildunterschrift verrät. Schwer vorstellbar, dass Moore in diesen Situationen etwas herausgefunden hat, was nicht schon bekannt ist über die Bushs und bin Ladens dieser Welt. Aber von Moores Filmen erwartet man gar keine erschreckenden Enthüllungen - in dieser Beziehung haben ihm die Fotos aus dem Abu-Ghraib-Gefängnis die Schau gestohlen -, sondern vielmehr das Herstellen von Situationen, die es überhaupt möglich machen, sich zu empören. Auch über die Dinge, an die man sich längst gewöhnt hat - und darin besteht ihre nicht zu unterschätzende Leistung.

Um diesen Effekt zu erreichen, die Erzeugung von Empörung, benötigen Michael Moore und seine Filme aber unbedingt das Image des Subversiven und Unabhängigen, denn in den Filmszenen selbst verliert es sich zusehends, da Medienfreak Moore die Aufmerksamkeit der eigenen Kamera immer ungehemmter zu genießen scheint, während sich das rebellische Moment, dass "jemand wie er" - übergewichtig, schlecht gekleidet und mit Baseballmütze - im Zentrum steht, immer weiter abschwächt. Eigentlich hätte Moore selbst ernsthaft Anlass gehabt, sich von Disney los zu sagen, um dem Vorwurf vorzubeugen, sich an den Mainstream verkauft zu haben.

Auf die erste Welle der Empörung über Disneys handfeste Gründe, ein großes Geschäft für ein kleines nicht aufzugeben, folgte denn auch prompt die Gegenempörung über Moore selbst. Wisse er über die Haltung von Disney nicht bereits seit einem Jahr Bescheid? Habe er überhaupt einen Grund zu klagen, da sein Film auch ohne Disney in die Kinos kommt, mithin nur jemand anders daran Geld (mit)verdient, was Moore, wie gesagt, kaum stören dürfte? Oder um es mit einem Satz zu sagen: Wolle er etwa eine Kontroverse fabrizieren, nur um seinen Film zu promoten? In dieser Hinsicht fühlen sich die amerikanischen Medien seit Mel Gibsons Passion wie gebrannte Kinder. Eine monatelange Welle an schlechten Meldungen hatte aus Gibsons Film schließlich einen Megahit kreiert. Und bei der kritischen Presse das Gefühl hinterlassen, nach Kräften ausgenutzt worden zu sein.

In Cannes bekommt Moore im Übrigen harte Konkurrenz beim Kampf um die Aufmerksamkeit der Weltpresse: Die freien Kulturschaffenden, die bereits im letzten Sommer den Abbruch der Festivals von Aix und Avignon erwirkten, haben Proteste angekündigt.


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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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