Ende einer Ära

Kommentar Knapper Sieg für New Labour

Vor gerade einmal sechs Jahren veröffentlichten Tony Blair und Gerhard Schröder eine nach ihnen benannte Erklärung, mit der sie die europäische Sozialdemokratie auf neoliberalen Kurs zu bringen suchten. Unterstellt man, dass die Entwicklungen in Britannien hierzulande genau verfolgt werden, dann stehen der SPD interessante Debatten bevor. Denn Blair hat zwar die dritte Wahl in Folge gewonnen, zugleich aber eine Schlappe erlitten, von der er sich so schnell nicht erholen dürfte. Knapp 36 Prozent der Stimmen hat seine Partei bei der Unterhauswahl am vergangenen Donnerstag gewonnen – und das bei einer Wahlbeteiligung von 61 Prozent. Noch nie zuvor in der britischen Geschichte hat eine Partei mit so wenig Zuspruch eine Mehrheit behaupten können.

Dass New Labour am Ende um 67 Sitze vor allen anderen lag (2001 waren es noch 167 Mandate), verdankt sie dem Wahlsystem, das kleinere Parteien benachteiligt – und dem desolaten Zustand der größten Oppositionspartei. Diese hatte mit dem Slogan »wer Blair wählt, bekommt Brown« mobilisiert: Gordon Brown gilt den traditionellen Labour-Werten stärker verbunden als Blair und hat als Schatzkanzler viel Geld in die öffentlichen Dienste investiert. Mit Brown, der Steuererhöhungen nicht ausschließt, könne man die Kleinbürger erschrecken, hofften die Konservativen. Dass sie so auch die Linken mobilisierten, die in Brown eher eine Verheißung erblickten, hatten die Wahlstrategen der Tories offenbar nicht bedacht. In traditionellen Labour-Hochburgen wie Liverpool gingen mehr Menschen zur Wahl als 2001. Andererseits hat das weit verbreitete Misstrauen gegenüber dem Premier zu Stimmengewinnen bei den Liberaldemokraten geführt. Die haben vor allem in den Universitätsstädten (dort ist der Unmut über den Irakkrieg und erhöhte Studiengebühren besonders groß) zugelegt – und zwar so sehr, dass sie nun fürchten, in den Ruf einer Linkspartei zu geraten.

Dass Labour nicht wegen, sondern trotz Blair eine Mehrheit behielt, wissen auch die Abgeordneten. Noch in der Wahlnacht zerbrach der Burgfriede zwischen Blair- und Brown- Anhängern. Dass der Machtkampf zwischen den Rivalen nicht sofort offen entbrannte, hängt mit dem für 2006 geplanten Referendum über die EU-Verfassung zusammen. Eine Niederlage der Pro-Europäer um Blair ist absehbar, und der euro-skeptische Schatzkanzler möchte in dieser Zeit nicht die Partei führen müssen. Blair hat also noch eine Gnadenfrist. Das Regieren dürfte ihm freilich nicht mehr viel Freude bereiten: In den vergangenen Jahren kam die stärkste Opposition gegen die Regierungspolitik von rund 40 linken Abgeordneten seiner Partei, die – bis auf einen – wiedergewählt wurden. Ihr Einfluss wird dank der geschrumpften Labour-Mehrheit im Unterhaus deutlich steigen. Das Ende der neoliberalen Dominanz hat begonnen.











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