Ende einer Legende

Koalition Schwarz-gelb kann nur Schönwetter-Politik. Nun werden Union und FDP auf Widersprüche gestoßen, über die sie stets hinweg regierten oder das Besser-Regieren-Können behaupteten

Wäre der Schaden für einen großen Teil der Bevölkerung nicht so dramatisch, dann wäre der jammervolle Zustand der Koalition eine gute Nachricht. Union und FDP, das so genannte bürgerliche Lager, versagen auch noch in den bürgerlichen Tugenden. Sie weisen weder Pflichtbewusstsein noch Loyalität auf, sie sind weder diszipliniert noch um ein ordentliches Aussehen bemüht. Stattdessen arbeitet jeder nur noch auf eigene Rechnung, schnaubt den Rotz auf den Gehsteig („Wildsau“, „Rumpelstilzchen“) und lässt Bocklosigkeit heraushängen, wenn die Kanzlerin schimpft.

Sollte sich dieses Bild verstetigen, besteht eine für deutsche Verhältnisse großartige Chance. Ohne den Anstrich der selbstverständlichen, schon herkunftsbedingten Überlegenheit müsste schwarz-gelbe Politik sich an denselben Kriterien messen lassen wie die Politik des anderen, bislang rot-grün definierten Lagers. Schwarz-gelbe Argumente müssten plötzlich logisch und eigentlich sogar wissenschaftlich unterfüttert sein. Gesetze müssten finanziellen und gesellschaftlichen Realitäten angepasst sein.

Seit Jahrzehnten ist der Konsens in Deutschland kaum gebrochen, dass Konservative und Liberale es besser können, wenn sie es auch vielleicht nicht besser wissen: Dass sie also besser regieren können, wenn sie in der Sache schon nicht immer Recht haben. Diese Vermutung geht auf die Erfahrung zurück, dass Macht das linke Lager noch stets gespalten hat – das rechte Lager dagegen eher eint.

Das dürfte vorbei sein. Schwarz-Gelb kann nur Schönwetter-Politik. Noch nicht einmal mit ausdrücklicher Unterstützung der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände kommen Merkel und die Ihren einen sinnvollen Schritt voran.

Erstens sind die Aufgaben offenbar zu groß. Bei allem, was in der Finanzkrise ab September 2008 schieflief – die Kurzarbeit war ein großkoalitionärer Geniestreich, der Arbeitsmarkt sähe sonst verheerend aus. Auf die Euro-Krise aber gibt’s keinen vergleichbaren schwarz-gelben Akt, nur ein „Sparpaket“ samt Anweisungen an die Nachbarn, was nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die EU aufbringt.

Zweitens wussten zwar alle: Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai geht’s los. Was genau losgehen sollte, darüber hat zwar die halbe Republik spekuliert, nur das Kabinett hat sich keine Gedanken gemacht. Unter drittens und folgende wäre mindestens noch ein Schnitt von drei krassen PR-Fehlern pro Woche zu nennen.

Im Ergebnis werden Union wie FDP nun auf Widersprüche gestoßen, über die sie stets hinweg regierten oder das Besser-Regieren-Können behaupteten. Ja, die Wehrpflicht ist ein bürokratischer Hemmschuh, man muss sie sich auch leisten können, wenn man die Truppe eigentlich ganz auf Geschmeidigkeit im Auslandseinsatz trimmen möchte. Ja, wer eine Schuldenbremse ins Grundgesetz schreibt, wird auch über höhere Steuern nachdenken müssen. Ja, wer den Bundes­ländern die Bildungshoheit zuschiebt, wird sich selbst mit diesem Prestigethema nicht mehr schmücken können. So unwahrscheinlich Neuwahlen derzeit sind – es wäre hochinteressant zu sehen, wie das gar-nicht-mehr-bürgerliche Lager solche Erkenntnisse in der Opposition verarbeitet. Lernen in der Regierung, das passiert leider selten.

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Geschrieben von

Ulrike Winkelmann

Ressortleiterin Politik

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