Endlich

Putins Rede Kalter Krieg oder frischer Wind?

Recht hat er, aber hat er auch die Macht? So könnte man die Reaktionen auf den Auftritt Wladimir Putins in München mehrheitlich zusammenfassen, wo der Präsident außerhalb der üblichen diplomatischen Rücksichten das vortrug, was er "wirklich über die Probleme der internationalen Sicherheit denke".

Endlich, möchte man sagen! Schockierend, meinen andere. Dabei sind die Tatsachen, die Putin vortrug, nicht wirklich neu. Neu sind lediglich Russlands kategorischer Protest gegen NATO-Pläne, in Polen und Tschechien Teile eines europäischen Raketenabwehrsystems zu stationieren, und das Selbstbewusstsein, mit dem Russlands Präsident seine Sicht der Dinge vor den Honoratioren der westlichen Allianz kundtat. Das mag für viele, die russische Politik in den Jahren seit Auflösung der Sowjetunion nur als opportunistisches Taumeln zwischen Ost und West, China und Europa empfunden haben, eine überraschende Wendung sein. Doch sieben Jahre Putin haben gereicht, um nationales Selbstbewusstsein soweit wiederherzustellen, dass man heute so etwas wie ein integrierender Faktor zwischen Asien und Europa sein kann und in der Lage ist, als Impulsgeber und Stabilisator einer kooperativ gestimmten Weltordnung zu wirken. In diesem Sinne ist dem Land schon seit längerem eine heimliche Vermittlerrolle zugewachsen. Mit Putins Auftritt in München wurde sie vor aller Augen geltend gemacht. Was Russland zugunsten einer neuen Weltordnung einbringt, das ist seine historische Erfahrung des Vielvölkerpluralismus - bei einem Abgleich mit dem westlichen Verständnis von Demokratie könnten daraus neue Kräfte erwachsen.

Gewiss hat Putins Rede keine neuen Tatsachen geschaffen, doch war sie Ausdruck einer sich wandelnden Wirklichkeit: Sie zeigte zum einen, dass dem US-Anspruch auf Alleinherrschaft inzwischen Grenzen gesetzt sind und Russland nicht mehr der hilflose Spielball westlicher, besonders amerikanischer Interessen ist wie in den Jahren unter Jelzins Präsidentschaft: Russische Staatlichkeit, russische Ökonomie, russisches Selbstbewusstsein sind als Ergebnis einer autoritären Modernisierung unter Putins Führung wiederhergestellt, ohne dabei in Sowjetverhältnisse zurückzufallen. Die Energie-Ressourcen verschaffen dem Land eine explodierende Finanzkraft - mit Russland muss wieder gerechnet werden. Eine weitere Ostausdehnung der NATO wird Moskau nicht hinnehmen, das dürfte seit München unstrittig sein.

Neben den beiden einstigen Supermächten, die sich heute in neuer Weise gegenüberstehen, sind zudem weitere Machtzentren entstanden, die um mehr Einfluss bemüht sind. Das beginnt mit der EU, die ihre Bündnisoptionen nicht mehr nur atlantisch definiert, setzt sich fort mit China, Indien oder dem Iran und nimmt nicht zuletzt mit dem nach mehr Souveränität strebenden Südamerika Gestalt an. Hier wollen Staaten und Regionen als Partner angenommen werden, die weder klein zu halten noch aus dem Weg zu bomben sind, sondern als Mitspieler im Great Game und auf Augenhöhe akzeptiert sein wollen. Ihre gleichberechtigte Einbeziehung in die Welthandelsorganisation (WTO) oder auch die G 8 ist unvermeidlich, wenn diese Strukturen nicht zu Instrumenten eines neuen kalten oder gar heißen Krieges werden sollen.

Das scheinen auch westliche Politiker zu verstehen: US-Verteidigungsminister Robert Gates, der noch bei seinem Amtsantritt die Unberechenbarkeit Russlands und Chinas als Grund für eine forcierte Aufrüstung bezeichnet hatte, erklärte nach der Putin-Rede, ein kalter Krieg sei genug und ließ sich von Verteidigungsminister Iwanow zu Abrüstungsgesprächen nach Moskau einladen. Und Kanzlerin Merkel beeilte sich, gegenüber dem russischen Präsidenten ausdrücklich von der Bereitschaft zum Dialog zu sprechen.

Wladimir Putins Auftritt sollte nicht als Rache eines Beleidigten missverstanden werden, der "austeilt, nachdem er viel einstecken musste", nicht als Provokation, nicht als Imageaufwertung für den heraufziehenden russischen Wahlkampf, wie manche Kommentatoren meinen, obwohl die innenpolitische Resonanz gewiss bedacht wurde. Putin fordert nicht weniger als den Eintritt in eine neue Runde der internationalen Kooperation, die dem heutigen globalen Kräfteverhältnis entspricht. Wenn allerdings ein Blatt wie die FAZ die zurückhaltenden Reaktionen der USA, der EU, besonders aber deutscher Politiker in die Nähe eines Appeasements und Putin damit in die Nähe Hitlers rückt, dann wird deutlich, wie viel noch für eine solche Perspektive getan werden muss.


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