Bis zur Bundestagswahl soll an allen Fronten der Eurokrise Ruhe herrschen. Kanzlerin Angela Merkel will ihren Wählern unnötige Aufregungen ersparen und hat vorübergehend stillgelegt, was sie stilllegen konnte. Nach bewährtem Muster werden Partner und Widersacher hingehalten, anstehende Entscheidungen verschoben oder blockiert. Der Brüsseler Betrieb ruht im August ohnehin. Vor dem 22. September sind keine EU-Gipfel und keine Eurogruppen-Treffen der Finanzminister mehr vorgesehen. Bleiben die potenziellen Brandherde in der Währungsunion bis zum 22. September erstickt, kann Merkel der Opposition ausweichen und die Alternative für Deutschland (AfD) klein halten, die sie am Wahltag durchaus einige Prozente kosten könnte.
Und der Wahlbürger, der nicht
der nicht ahnt, was ihm nach dem 22. September blühen kann, schluckt die verordnete Sommerruhe, froh über jede Atempause für strapazierte Nerven. Die stets wegen des billigen Geldes der Europäischen Zentralbank (EZB) beschworene Inflation ist nicht in Sicht, außer an einigen Wertpapiermärkten. Und die gefühlte Inflation trifft fürs Erste private Haushalte, die einen überdurchschnittlich hohen Teil ihres Einkommens für Lebensmittel und Energie ausgeben müssen, besonders die Armen und Ärmsten, immerhin in Deutschland etwa acht Millionen Menschen. Die viel beschworene Mitte bleibt verschont, bis eine Weltabsatzkrise, die bereits einer Exportnation wie China die Wachstumsraten kappt, voll auf die deutsche Exportmaschine durchschlägt.Der nächste Schuldenschnitt für Griechenland wird kommen, die Regierung von Antonis Samaras, die sich mühsam am Ruder hält, rechnet ebenso damit wie die meisten Experten. Allen Dementis aus Berlin zum Trotz. Das Land sieht sich nicht nur in die Stagnation, sondern in ein permanent „negatives Wachstum“ getrieben. Der erste Schuldenerlass zulasten privater Gläubiger im März 2012 kam dank Merkels Hinhalte-Taktik bereits viel zu spät, wie das der IWF seinerzeit zu Recht kritisiert hat.Schwelbrand in PortugalOhne einen weiteren Haircut wird Griechenland das Ziel, seine Staatsschuldenquote bis 2030 auf 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (derzeit 160 Prozent) zu senken, nie erreichen. Diesmal wird kein Weg daran vorbeiführen, auch staatliche Gläubiger wie die Bundesrepublik bluten zu lassen – von Verlusten um die 40 Milliarden Euro ist die Rede.Wie rasch Schwelbrände auflodern können, zeigt der Fall Portugal. Als die Koalitionsregierung von Premier Passos Coelho jüngst zu zerbrechen drohte, gingen nicht nur die Renditen auf portugiesische, sondern auch auf spanische und italienische Staatsanleihen in die Höhe. In der mit Mühe zusammengehaltenen Lissabonner Koalition aus Sozialdemokraten (PSD) und Demokratisch-Sozialem Zentrum (CDS) streiten sich die Partner weiter um den geltenden Sparkurs. Der Protest auf den Straßen bleibt massiv, lautstark und effektiv, auch wenn in Deutschland davon wenig ankommt. Vizepremier und Finanzminister Vítor Gaspar trat zurück, nachdem er mit seiner Frau beim Einkauf im Supermarkt von einer wütenden Menge angegriffen worden war. Nachfolgerin Maria Luís Albuquerque wird es kaum besser ergehen. Die Portugiesen haben mit dem Glauben an den Segen der Austerität auch die Geduld mit der politischen Klasse verloren.Die EU-Partner sind nicht übermäßig entzückt, dass die Kanzlerin – um innenpolitische Turbulenzen zu vermeiden – die Europäische Bankenunion auf Eis gelegt hat. Nach der Bundestagswahl wird sie zu früheren Zusagen stehen müssen, die über das vom Bundestag erteilte Mandat hinausgehen. Derzeit aber kann Merkel froh sein, wenn das EU-Parlament Kontrollrechte für dieses Projekt reklamiert, und die EZB, die ab Herbst 2014 die Aufsicht über gut 130 der größten europäischen Geldhäuser übernehmen soll, ihrerseits darauf besteht, vorab die Risiken in den Bilanzen dieser Institute genau zu prüfen. Ohnehin wird über die Befugnisse einer EU-Abwicklungsbehörde für marode Banken weiter gestritten, sodass Merkel nicht viel tun muss, diese Union auszubremsen und Ärger mit den Sachwaltern der deutschen Steuerzahler zu entgehen.Es gilt ein „Weiter so“An den internationalen Finanzmärkten herrscht seit Mario Montis Ankündigung vom Sommer 2012, notfalls Staatspapiere von Euro-Krisenstaaten aufzukaufen, ein fragiles Patt zwischen Schuldnern und Gläubigern. Die Zypern-Krise im Frühjahr konnte diese Balance nicht erschüttern. Zwar haben handwerkliche Fehler kurzfristig für Aufregung gesorgt, aber eher bei Kleinsparern, die an den Finanzmärkten nur eine Nebenrolle spielen. Gemeint ist die fatale Fehlentscheidung vom März, auch Einlagen unter 100.000 Euro in die Pflicht zu nehmen, um Bankbilanzen zu sanieren. Das ist längst korrigiert und das Ausbleiben eines europäischen Sicherungsfonds für Bankeinlagen wieder vergessen. Solange die EZB die Zinsen niedrig und ihre Garantien für europäische Staatsanleihen vage hält, werden die Finanzmarktakteure wenig Anlass haben, in Panik zu geraten.Das Handlungsraster Aussitzen und Ausharren ersetzt seit Ausbruch der Eurokrise Anfang 2010 eine wirkungsmächtige Krisenstrategie, die Deutschland nicht hat, nicht will und offenbar auch nicht braucht. Kanzlerin Merkel sperrt sich mit Blick auf die Befindlichkeiten des deutschen Wahlbürgers beharrlich gegen radikale und unorthodoxe Lösungen. Sie legitimiert ihr Krisenmanagement mit der Allerweltsweisheit, es gebe nun einmal keine „Patentlösungen“ und keinen „großen Paukenschlag“, der die Eurozone aus einem Zustand fortdauernder Labilität befreien könnte. Stattdessen gilt weiterhin die absurde Vorstellung als Königsweg, man könne und werde sich aus einer Weltdepression heraussparen. Die angeschlagenen EU-Partner sollten sich auf ihrer ökonomischen Talfahrt bitte schön nicht beirren und schon gar nicht aufhalten lassen.Wem außer der Bundesregierung nützt das Sommer-Moratorium bei der Euro-Rettung? Der Opposition, weil sie gegen Merkels Passivität wettern kann? Nur das Wahlvolk ist vermutlich dankbar, bis zum 22. September nur wenig mit Krisen-Gipfeln und kollabierenden Euro-Partnern behelligt zu werden.