Endlich Grundrechte absichern

Antidiskriminierungsgesetz II In den nächsten Wochen muss darum gerungen werden, dass der vorliegende Entwurf nicht verwässert, sondern wasserdicht gemacht wird

Der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes (ADG) der Regierungskoalition hat, wie zu erwarten war, kontroverse Diskussionen ausgelöst. Wirtschaftsverbände haben vor einer "Gefährdung des freien Rechtsverkehrs" gewarnt. Sie befürchten "unkalkulierbare Risiken für den Mittelstand" sowie "Klagewellen amerikanischen Ausmaßes". Von einem "Beschäftigungsprogramm für Rechtsanwälte" und einem "bürokratischem Monster" war die Rede. BDI-Präsident Jürgen Thumann warnte, der Gesetzentwurf lade dazu ein, Unternehmen "grundlos mit missbräuchlichen Klagen zu überziehen".

In der Tat müssen Vertragsverhandlungen und Verträge gerichtlich überprüft werden, wenn beispielsweise behinderte Menschen glaubhaft machen, sie würden durch die Verweigerung eines Vertragsabschlusses oder durch einzelne vertragliche Bestimmungen benachteiligt. Menschen mit geistiger Behinderung etwa werden immer wieder zurückgewiesen, wenn es darum geht, kleine Wohnheime einzurichten oder Räumlichkeiten zum ambulant betreuten Wohnen anzumieten, weil Nachbarn Lärmbelästigungen fürchten.

Auch im Hotel- und Gaststättengewerbe gibt es Fälle von Diskriminierung. Verbietet der Betreiber eines Restaurants einem Menschen wegen seiner geistigen Behinderung den Zutritt oder erhält eine Reisende - wie es vor Jahren geschehen ist - wegen des "ekelerregenden Anblicks" spastisch gelähmter Hotelgäste Schadenersatz wegen "entgangener Urlaubsfreude", so liegt ein Verstoß gegen das zivilrechtliche Benachteiligungsverbot vor, wie es das Gesetz vorsieht. Dieses Verbot erfasst alle Massengeschäfte, die von Unternehmen und Gewerbetreibenden mit Privatpersonen abgeschlossen werden. Betroffene können in diesen Fällen laut ADG auf Unterlassung klagen und Schadensersatz fordern. Dabei dürfen sie sich durch Behindertenverbände oder bestimmte Selbsthilfegruppen im Prozess unterstützen lassen.

Die Bundesregierung will mit dem ADG ein über sechs Jahre altes Versprechen einlösen, auch Menschen mit Behinderung im Rechtsverkehr vor Diskriminierungen zu schützen. So ganz freiwillig handelt Rot-Grün nicht. Die Europäische Union hat alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, Gesetze vorzulegen, mit denen Fälle von Benachteiligungen, die Bürger im Berufsleben oder aus Gründen ihrer ethnischen Herkunft erleiden, verhindert werden sollen. Die Diskriminierungstatbestände, die in den europäischen Richtlinien geregelt sind, betreffen allerdings nur Geschlecht und ethnische Herkunft. Doch sie fußen auf Artikel 13 des Amsterdam-Vertrages, der die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, "Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen". Daher haben Verbände und Selbsthilfegruppen behinderter Menschen zu Recht immer wieder gefordert, das Diskriminierungsverbot auch auf das Merkmal Behinderung auszudehnen.

Neben den Klagemöglichkeiten, die der Entwurf vorsieht, tun sich leider auch zahlreiche Schlupfwinkel auf, die den Schutz vor Diskriminierung einschränken. So gilt das Benachteiligungsverbot nicht für Einzelverträge zwischen Privatpersonen: Der Eigentümer einer Anliegerwohnung kann sich weigern, an einen behinderten Menschen zu vermieten, weil es sich bei dem abzuschließenden Mietvertrag nicht um ein Massengeschäft, sondern um eine Individualvereinbarung handelt.

Als weitere Einschränkung des Diskriminierungsschutzes sieht der Entwurf vor, dass ein "sachlicher Grund" für die unterschiedliche Behandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen angeführt werden kann. Dieser Begriff ist so vage und unbestimmt, dass er die Stoßrichtung des Gesetzes ad absurdum führen kann. Ist es etwa ein "sachlicher Grund", wenn Personen mit geistiger Behinderung - wie häufig im Bereich der Versicherungswirtschaft - als besondere "Risikofaktoren" behandelt werden? So kann ihnen auch weiterhin der Abschluss von Haftpflicht- und Unfallversicherungen erschwert werden. "Sachlich" begründete Differenzierungen bei der Prämienhöhe von Krankenversicherungen, die sich auf das Vorurteil stützen, Behinderte seien chronisch krank, sind damit erlaubt. Ebenso könnte ein sogenannter "sachlicher Grund" etwa die Betreiber von Freizeitparks dazu ermuntern, Menschen mit geistiger Behinderung nur noch mit Begleitperson einzulassen. Alle Bemühungen, diese Menschen zu befähigen, sich so selbstständig wie möglich in der Gesellschaft zu bewegen, könnten auf diese Weise torpediert werden. Der Passus "sachlicher Grund" für eine Ungleichbehandlung dürfte daher nur greifen, wenn von einer erheblichen Gefahr für Leben oder Gesundheit gesprochen werden kann.

Letzte Woche drang die Äußerung von Bundesinnenminister Schily durch, die Rücknahme des Gesetzes sei ein "echter Beitrag zum Bürokratieabbau". Nun ist auch innerhalb der Regierungskoalition eine Kontroverse über das ADG ausgebrochen. Wenn jetzt davon die Rede ist, den Gesetzentwurf "weiter zu präzisieren", wie es der SPD-Abgeordnete Scholz, der selbst an dem Entwurf mitgearbeitet hat, inzwischen formuliert, dann ist zu befürchten, dass das Gesetz zu einem Papiertiger umgearbeitet wird. Es wird deshalb in den nächsten Wochen darum gerungen werden müssen, das Antidiskriminierungsgesetz möglichst wasserdicht zu gestalten. Das im Grundgesetz verankerte Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen muss endlich auch im Privatrechtsverkehr durchgesetzt werden.

Die deutschen Wirtschaftsverbände sollten sich mit dem "Americans with Disabilities Act" vertraut machen, der ganz eindeutig den Schutz behinderter Menschen vor Diskriminierung höher gewichtet als die damit in Einzelfällen verbundenen Belastungen des Rechtsverkehrs. Schließlich verweisen sie auch sonst gerne auf die Gesetzgebung der USA, wenn sie Einschränkungen in der deutschen Sozialgesetzgebung fordern.

Klaus Lachwitz ist stellvertretender Bundesgeschäftsführer der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung, Marburg/Lahn


Antidiskriminierungsstelle

In Berlin gibt es seit 1. Februar eine Antidiskriminierungsstelle, an die sich Menschen wenden können, die sich aus ethnischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen benachteiligt fühlen. Die Anlaufstelle führt Einzelberatungen durch, geht gemeldeten Fällen nach, moderiert im Konfliktfall zwischen den Parteien und versucht, außergerichtliche Lösungen zu finden. Für Benachteiligungen aufgrund sexueller Identität, Geschlecht und Behinderung sind andere Stellen in Berlin zuständig.

Die vier Mitarbeiter der Anlaufstelle, die dem Beauftragten für Integration und Migration zugeordnet ist, versuchen, neben der Beratung strukturelle Gründe für Diskriminierung zu ermitteln, betreiben Öffentlichkeitsarbeit, sammeln Daten und werten sie aus. Die Antidiskriminierungsstelle verfasst aus diesem Material einen Bericht und formuliert Empfehlungen an die Politik. Einen Schwerpunkt der Arbeit liegt auf möglichen Diskriminierungen von muslimischen Frauen mit Kopftuch.

Circa 30 Nachfragen sind in den ersten Wochen angefallen. So wurde beispielsweise ein Farbiger vor einer Diskothek mit der Begründung abgewiesen, Ausländer kämen hier nicht rein. Offenbar war die Hautfarbe des Betroffenen ausschlaggebend, ihm den Zutritt zu verwehren. In solchen Fällen dringt die Stelle auf eine Entschuldigung und versucht zu erwirken, dass solche Diskriminierungen künftig unterbleiben. In besonders drastischen Fällen kann Personen - wie hier dem Inhaber der Diskothek - mit dem Entzug des Gewerbescheins gedroht werden, wenn sich herausstellt, dass sie aufgrund ihrer Persönlichkeit nicht geeignet sind, ein Gewerbe zu führen. Aber auch einem Fall behördlicher Diskriminierung geht die Antidiskriminierungsstelle nach. Hier wurde der Antrag auf Erweiterung eines Gewerbes aufgrund einer mutmaßlich fremdenfeindlichen Einstellung eines Sachbearbeiters verschleppt.

Die Berliner Stelle nimmt eine Vorreiterfunktion ein. Andere Bundesländer haben eine solche Stelle bereits vorgesehen und das Antidiskriminierungsgesetz (ADG) schreibt eine bundesweit agierende Antidiskriminierungsstelle vor, die dem Bundesministerium Familie, Senioren, Frauen und Jugend angegliedert sein wird und alle im ADG genannten Diskriminierungsgründe (Geschlecht, sexuelle Identität, Behinderung, Religion, Alter, Weltanschauung, ethnische Herkunft) bearbeiten soll.

Telefon der Leitstelle gegen Diskriminierungen: 030-9017-2363

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