Fast am Ende erzählt eine Lehrerin von ihrem Traum: Auf einer Party kommt sie mit einem Typen ins Gespräch, man flirtet ein wenig, sie gibt sich sogar als Pädagogin zu erkennen. Daraufhin vertraut er ihr an, er sei eigentlich Jurist, aber ihm fehle die gesellschaftliche Anerkennung, er wolle jetzt umschulen und Lehrer werden.
Lehrer – ausgerechnet der Beruf, der eigentlich Berufung sein sollte, wird bekanntlich seltener als eine erstrebenswerte Profession begriffen. Lehrer gelten entweder als faule Zyniker oder überforderte Idealisten. Bildung ist ein Thema, mit dem Politiker nur dann punkten können, wenn das Geld locker sitzt. Aber wann tut es das schon? Der große bildungspolitische Entwurf steht immer noch bevor, und bis dahin schlagen sich die Schulen
e Schulen so durch, widmen sich der Inklusion, richten Flüchtlingsklassen ein, kümmern sich um die Digitalisierung. Zum Dank werden nun auch noch Onlinepetitionen lanciert, denn jedes Jahr im Abi häufen sich die Klagen, die Matheaufgaben seien zu schwer.Roll over Goethe!In der Produktion Lehrer*innen des Schauspielhauses Bochum versucht man, sich der Lehrerseele zu nähern. Björn Bicker ist für den Text verantwortlich, Malte Jelden hat Regie geführt. Der Asterisk im Titel ist ein Gendersternchen, das in der Schule früherer Generationen wahrscheinlich noch als Rechtschreibfehler markiert worden wäre. Aber er bedeutet noch etwas anderes. Der kleine Stern lässt kurz innehalten, und unwillkürlich entsteht die Kombination zweier Begriffe: die Innenwelten der Lehrer, darum soll es also gehen.Für einen fast realistischen Konferenz-Sound ist der Chor der glücklichen Lehrer*innen zuständig. Er besteht aus Pädagoginnen und Pädagogen von Bochumer Schulen. Laien also, die auf dem kurzen Dienstweg über die Sekretariate und die Direktionen ihrer Bildungsanstalten gecastet wurden. Das Stück ist eng mit der Stadt verwachsen – erster Spielort ist das Rathaus. Die mobile Bühne lässt es zu, dass weitere Aufführungen in Turnhallen, Aulen und im Kunstmuseum stattfinden.Die Bochumer Lehrer*innen spielen nicht nur, sondern haben Bicker von ihrem Schulalltag berichtet; Textfetzen aus diesen Gesprächen sind Teile des Stücks geworden. Allerdings ist es nicht so, dass nun jeder eifrig sein eigenes Verschen aufsagt. Raffiniert wechseln die Sprecher*innen, und offensichtlich sind sie nicht immer die originalen Autor*innen ihrer Botschaften. Traditionelle Rollenbilder werden ebenso über den Haufen geworfen wie Geschlechterklischees. Dadurch entstehen witzige Effekte. Nicht selten versucht man den Sprecher in den Kontext der eigenen schulischen Erfahrungen zu bringen: Was mag das wohl für ein Lehrer sein? Doch dann spricht dieser ältere bärtige Herr von sich selbst als „Lehrerin“, und der Bruch in der Lehrerpersönlichkeit dekonstruiert auch die eigene Erfahrung.Alles Üble der Lehrerwelt wird angesprochen, und irgendwann dräut auch noch der Elternabend. Es ist schon erstaunlich, wie sich dieser Chor der „glücklichen“ Lehrer*innen angesichts der immensen Herausforderungen seinen rührenden Optimismus bewahrt: „Wir wollen eine neue Sprache erfinden“, heißt es im Stück, „ein funkelnagelneues Alphabet.“ Roll over Goethe! Im Anfang ist eben doch das Wort. Es geht den Lehrer*innen – so scheint es wirklich – um das Große und das Ganze.Die Bühne (Nadia Fistarol) ist ein großes rechteckiges Feld, das Platz für Rangeleien, Spiel und intensiven Körperkontakt bietet (Choreografie: Monica Gillette) – man fühlt sich in eine Turnhalle versetzt; das Publikum sitzt ganz nah am Geschehen, auf harten, niedrigen Bänken, ist praktisch Teil der Situation. An den Kopfenden des Rechtecks stehen übergroße Bildschirme, die zunächst an Schultafeln erinnern. Eingeblendete Wörter und Bilder kommentieren und illustrieren das Geschehen. In stark reduzierten geometrischen Formen kann man zum Beispiel eine kahle Fensterreihe ausmachen, das unvermeidliche Ausstattungsmerkmal moderner Nachkriegsschulen.Völlig ohne Story kommt der Abend aber nicht aus. Ein Teil des Chores rekrutiert sich nicht aus echten Pädagogen, sondern gehört dem Ensemble des Bochumer Theaters an. Fünf Schauspielerinnen erzählen gemeinsam die Geschichte der Lehrerin Fatma, die das Grauen erlebt, an dem ihre eigentlich ganz normale Schule zu zerbrechen droht. Als sie gerade eine Klassenarbeit schreiben lässt, beobachtet sie, wie vor dem Schulgebäude einer ihrer Schüler einem anderen Kind ein Messer in den Hals rammt. Es gibt keine Rettung für das Opfer, der Tod zieht in die Schule ein. Er hinterlässt im Kollegium und bei der Schülerschaft grausame Spuren. Was immer Fatma tut, ob privat oder als Lehrerin, wird überschattet von dem Tötungsdelikt.Während der Fatma-Erzählung verändert sich das Geschehen auf der Bühne. Bestimmt zuvor noch der bunte Chor durch wuseliges Suchen und Umherirren das Geschehen, so stellt sich nun eine gewisse Symmetrie ein. Unter einem der Bildschirme sitzen nur die Schauspieler. Hoch konzentriert und spannend erzählen sie, was passiert ist. Aber natürlich wird auch hier kein linearer Plot abgespult. Alle fünf sind sie Fatma, teilen ihren Monolog untereinander auf. Scheinbar willkürlich werden Textpassagen hin- und hergeworfen. Durch diesen Trick löst sich die Figur der Fatma von den Akteuren und wird zur transzendenten Identifikationsfigur. Fatma kann ihre eigene Geschichte verhandeln – den Migrationshintergrund, die Mutter, die kein Deutsch kann, ihre Religiosität, das nicht immer einfache Verhältnis zu Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen.Die schlimme Tat hat einen realen Hintergrund aus dem Jahre 2018. Ein Mitglied des Chores ist unmittelbar betroffen gewesen. Was ihm darüber erzählt wurde, hat Björn Bicker in seinem Text verarbeitet.Es ist wahrscheinlich unmöglich, ohne Ironie über Schule zu reden. Der Chor der glücklichen Lehrer*innen kann ein Lied davon singen. So bietet die Aufführung bei allem Ernst auch großen Spaß. Denn der Chor verzweifelt nicht. Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Lehrer vorstellen. Zum Schluss wird auf dem Turnhallenboden die unendliche Melodie der heterogenen Lerngruppen angestimmt. Aus der Ferne erklingt irgendwann das Erlösungsmotiv: Endlich Pause! Drei Schulstunden sind erzählt.Placeholder infobox-1