So ist es richtig. Das ist gut so", rief Gisela Ohlemacher halblaut in den Saal. Es ist Mai, sie nimmt am DGB-Bundeskongress in Berlin teil. Gerade hat der neu gewählte Vorsitzende Michael Sommer angekündigt, er werde bald mit den Regionsvorsitzenden des Dachverbandes die Lage erörtern. "Der Schulte hatte sich doch immer glatt geweigert mit uns Gespräche zu führen", begründet Gisela Ohlemacher ihre Zustimmung. Die Ostdeutsche ist Regionsvorsitzende des DGB in Neubrandenburg. Dieter Schulte hat Stunden vorher als erster Vorsitzender des DGB vor dessen Ende den Kongress verlassen. Nach seinem Abgang erhoffen sich viele Hauptamtliche das Ende des Stillstands. Acht Jahre lang kamen von dem gelernten Maurer Schulte keine Impulse. Aber es genoss es, neben den jeweil
eiligen Kanzlern zu stehen. Es war der Eindruck entstanden, den "Metaller" Schulte interessiere der DGB nicht.Schon wegen seiner Biografie war die Wahl von Michael Sommer ein auffälliger Wechsel unter den Vorsitzenden. Entsprechend der Tradition führten einst Arbeiter, also Autodidakten den DGB. Vor 40 Jahren wurde 1962 mit Ludwig Rosenberg erstmals ein Angestellter Vorsitzender. Ihm folgte wieder ein Arbeiter. Dass später der Beamte Ernst Breit zum Vorsitzenden gewählt wurde, war ursprünglich nicht geplant. Aber wegen des Desasters der Gewerkschaften um die Wohnungsbaugesellschaft Neue Heimat war der Postler ein unbelasteter Kandidat in höchster Not. Mit Michael Sommer wurde nun einer aus dem modernen Arbeitsleben auf den Schild gehoben. Der 50-Jährige hat trotz schwerer sozialer Startbedingungen ein Studium absolviert. Als Hauptamtlicher der Deutschen Postgewerkschaft suchte sich der Politologe ständig neue Aufgaben. Auch ein Auslandaufenthalt gehörte dazu. Einige Jahre leitete er die Pressestelle dieser Gewerkschaft. Ihm wird nachgesagt, dass er effizient arbeite und andere motivieren könne. Weil die ehemals Düsseldorfer, nun Berliner Zentrale des DGB im gewerkschaftlichen Mittel- und Unterbau traditionell keinen guten Ruf hatte, konnte es nach Dieter Schulte nur besser werden. Wenige Wochen nach seiner Wahl traf sich der Neue in Berlin mit den Regionsvorsitzenden von der Basis. Viele urteilten danach, es herrsche so etwas wie Aufbruchstimmung.Michael Sommer entschied dann, dass die Medien, die dem DGB nach einigen Krisen verblieben waren, mit ihren Redaktionen von Düsseldorf nach Berlin ziehen sollten. Beim einblick, dem Mitteilungsblatt für Funktionäre, und bei den Gewerkschaftlichen Monatsheften, Theorie-Organ seit 1949, ist der Vorsitzende Herausgeber. Deren Redaktionen werkelten noch drei Jahre nach dem Umzug der DGB-Spitze nach Berlin am Rhein weiter. Sommer drängte: Die Entscheidungen fallen in Berlin, hier seien die Redaktionen näher an den Informationsquellen. Einige unterstellten, er wolle die Redaktionen an die kurze Leine nehmen. Doch Sommers motivierender Arbeitsstil ließ das Gerücht bald verstummen.Erstmals traf sich der Vorsitzende in der Berliner Zentrale mit allen Abteilungsleitern. Keiner seiner Vorgänger suchte so einen breiten Kontakt. Dass jeder im Haus innerhalb seiner Abteilung vor sich hinarbeitet, wird bald Geschichte sein. Über die Abteilungen hinaus sind alle aufgefordert, künftig an Projekten zu arbeiten. Die Zukunft der Arbeit und die Gleichstellung von Frauen sind die ersten vom Vorsitzenden initiierten Projekte. Fachleute außerhalb des DGB werden hinzugezogen. Sind die Aufgaben durchdacht, sollen Kampagnen über die Medien beginnen. Zwei Mal schon setzte der Neue gewissermaßen für diese Schwerpunkte seine Duftnoten. Er sprach sich in einem Interview dafür aus, dass in der künftigen Arbeitswelt jeder und jede steuerfinanziert eine Auszeit von einem Jahr nehmen könne. Des weiteren wurde per Interview gefordert, dass es auch in den Betrieben eine Frauenquote geben müsse.Doch diese Leuchtraketen verglühten schnell wegen der Wahlkampfberichterstattung. In dieser Phase sind neue Gedanken nicht gefragt. Es wird geholzt, wie Bild belegte. Als die Zahlenfälschungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) bekannt wurden, geriet die Vize-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer auch öffentlich in die Kritik; sie saß bis dahin im Vorstand der Anstalt. Wütende Anrufe wurden in der Berliner Zentrale registriert, ob denn die Gewerkschaften aus dem Desaster um die Neue Heimat nichts gelernt hätten. Dieter Schulte nahm seiner Vize einen Kompetenzbereich weg, er erklärte die Reform der BA zur Chefsache. Und nichts geschah. Die Federführung bei diesem für die Gewerkschaften so wichtigen Reformvorhaben hatte auch nach Schultes Ausscheiden der Vorsitzende. Bisher fiel Gewerkschaftern auf, dass der neue, aus drei Personen bestehende Vorstand der BA sich selbst gute Gehälter genehmigen ließ. Florian Gerster bekommt doppelt so viel Bezüge wie sein Vorgänger Bernhard Jagoda. Des weiteren bekamen die Neuen jeweils eine Sekretärin und einen persönlichen Fahrer. Das ist das vorläufige Ende der Reformen! Die Gewerkschaften wurden mit zwei Sitzen im Verwaltungsrat der BA abgespeist. Der ist nicht vergleichbar mit einem Aufsichtsrat, er hat weniger Rechte. Der Verwaltungsrat kann den Vorstand weder ernennen noch abberufen. In diesem Verwaltungsrat sitzen Sommers Stellvertreterin Ursula Engelen-Kefer und das neue Vorstandsmitglied Dietmar Hexel. Dort tatsächlich Reformen durchzusetzen, wird hart für die Chefsache des Vorsitzenden.Für den 7. September hat der DGB nach Dortmund zu einer Großkundgebung zur Bundestagswahl aufgerufen. Eine solche Veranstaltung scheint deshalb erfolgversprechender als der Druck von Broschüren und Plakaten, weil über eine Kundgebung die Medien berichten. So bleiben die Vorstellungen des DGB zur Politik der Regierung nicht nur in den eigenen Reihen bekannt.Danach kann sich Michael Sommer eines sehr harten Projekts annehmen - der Reform des DGB, die ihm Dieter Schulte unbearbeitet hinterlassen hat.