Wie Deutschland erklärte sich Japan nach den Anschlägen vom 11. September uneingeschränkt solidarisch mit den USA. Und wie Deutschland bot auch Japan den USA umgehend militärische Hilfe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an. Anders als Deutschland jedoch verfolgt Japan damit nicht vordergründig die Absicht, als treuer Bündnispartner Washingtons dazustehen, sondern endlich einen entscheidenden Schritt hin zu mehr sicherheitspolitischer Selbstständigkeit zu tun.
Manhattan stand noch in Flammen, da griff Japans Ministerpräsident Junichiro Koizumi zum Telefon, um seinem US-Amtskollegen George W. Bush zu versichern, Tokio würde jegliche US-Gegenaktion nach Kräften unterstützen. Auf den ersten Blick nichts Ungewöhnliches: Ers
rklärte sich Japan nach den Anschlägen vom 11. September uneingeschränkt solidarisch mit den USA. Und wie Deutschland bot auch Japan den USA umgehend militärische Hilfe im Kampf gegen den internationalen Terrorismus an. Anders als Deutschland jedoch verfolgt Japan damit nicht vordergründig die Absicht, als treuer Bündnispartner Washingtons dazustehen, sondern endlich einen entscheidenden Schritt hin zu mehr sicherheitspolitischer Selbstständigkeit zu tun.Manhattan stand noch in Flammen, da griff Japans Ministerpräsident Junichiro Koizumi zum Telefon, um seinem US-Amtskollegen George W. Bush zu versichern, Tokio würde jegliche US-Gegenaktion nach Kräften unterstützen. Auf den ersten Blick nichts UngewXX-replace-me-XXX246;hnliches: Erst am 8. September hatten beide Länder ausgiebig den 50. Jahrestag der Unterzeichnung des sogenannten japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrages gefeiert. Als Außenministerin Makiko Tanaka jedoch erklärte, vielleicht sei dies der richtige Zeitpunkt, die Rolle Japans in internationalen Militäraktionen zu überdenken, ging ein Raunen quer durch das politische Spektrum des Landes, hatte doch Japan in seiner "Friedensverfassung" von 1947 für ewig auf die Anwendung jeglicher militärischer Gewalt als Mittel zur Lösung internationaler Streitfragen verzichtet und sich dementsprechend Anfang der fünfziger Jahre per Gesetz auf die Schaffung sogenannter Selbstverteidigungsstreitkräfte (SVK) zur ausschließlichen Abwehr einer äußeren Aggression gegen das eigene Staatsterritorium beschränkt.Befürchtungen, die konservative Regierungskoalition aus Liberaldemokratischer Partei (Ji-minto), Neuer Konservativer Partei (Hoshuto) und Neuer Gerechtigkeitspartei (Komeito) könnte die Situation ausnutzen und einen Anschlag auf die geltende Verfassung versuchen, bestätigten sich, als Ministerpräsident Koizumi Anfang Oktober im Rahmen eines sogenanntes Antiterror-Pakets einen Gesetzentwurf ins Parlament einbrachte, der Japans Selbstverteidigungsstreitkräfte in die Lage versetzen sollte, ohne parlamentarische Zustimmung US- und internationale Streitkräfte logistisch zu unterstützen sowie Flüchtlingen humanitäre Hilfe zu leisten. Neben der faktischen Ausschaltung des Parlaments hielten viele Abgeordnete insbesondere den als logistische Unterstützung klassifizierten Transport von Waffen und Munition für verfassungswidrig, da er von einem Recht auf kollektive Selbstverteidigung ausgehe, das so in der Verfassung nicht vorgesehen sei.Die Kritik der Parlamentarier beeindruckte Koizumi wenig: Der Einsatz japanischer Truppen im Rahmen der weltweiten Koalition gegen den Terror sei eine sehr spezifische Maßnahme, die keiner parlamentarischen Billigung bedürfe. Und er entspreche der Verfassung, verpflichte diese doch das Land ausdrücklich zu internationaler Kooperation. Nach Beginn der US-Vergeltungsschläge verstärkte Koizumi den Druck aufs Parlament. Ein zaghafter Versuch, der besseren Optik wegen die größte Oppositionspartei Minshuto (Demokratische Partei) ins Regierungsboot zu holen, wurde kurzerhand abgebrochen und die Gesetzesvorlage sprachlich entschärft, im Kern aber unverändert am 18. Oktober durchs Unterhaus gebracht.Nicht die Furcht, als schlechter Bündnispartner dazustehen, ließ Koizumi derart schnell handeln. Noch während die Terrorismus-Debatte im japanischen Parlament tobte, hatte Washington signalisiert, es erwarte von Japan keinerlei militärischen Beistand, sondern aktive Hilfe beim Aufbau Afghanistans nach dem Sturz der Taleban. Vielmehr war es die Erkenntnis, dass in der Folge des 11. September die einmalige Chance besteht, innerhalb kürzester Zeit zu erreichen, woran japanische Ministerpräsidenten jahrzehntelang mehr oder weniger auffällig gearbeitet hatten: die Überwindung der von den USA nach der totalen Niederlage des "Tennoismus" 1945 verordneten militärische Enthaltsamkeit und damit die Rückkehr zu staatlicher "Normalität".Waren Koizumis Vorgänger vor dem Hintergrund einer politisch starken Linken in den siebziger und achtziger Jahren gezwungen, verfassungsrevisionistische Absichten über vage Konzeptionen "selbstständiger", "minimaler" oder "ausschließlicher Verteidigung" zu transportieren, gingen sie nach den weltpolitischen Umbrüchen Anfang der Neunziger zügig daran, militärpolitisch Nägel mit Köpfen zu machen: So setzten japanische Militärangehörige auf Grundlage eines im Nachklang des Golfkrieges 1992 verabschiedeten Gesetzes über nicht-militärische Einsätze von SVK-Einheiten im Rahmen friedenserhaltender Missionen der UNO erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ihren Fuß auf ausländischen Boden, begann Japans Marine, in Übereinstimmung mit einem 1999 in Kraft getretenen Gesetz über logistische Hilfestellung für US-Streitkräfte "in unmittelbar an Japan grenzenden Gebieten" an komplexen Manöverübungen im asiatisch-pazifischen Raum teilzunehmen.Vor diesem Hintergrund war es nur konsequent, dass Koizumi unmittelbar nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten im Frühjahr versprach, dem Land eine richtige Armee zu schenken. Dass es ihm dabei nicht darum ging, jenen US-Amerikanern zu schmeicheln, die seit langem ein größeres militärisches Engagement Japans im Rahmen des japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrages forderten, machte Koizumi nur wenig später deutlich, als er laut über die Notwendigkeit einer Neuverhandlung des Abkommens über die Stationierung von US-Truppen in Japan nachdachte. Natürlich ließ dies Washington aufhorchen. Aber auch in Peking und Seoul schrillten die Alarmglocken.Die Versuchung war daher einfach zu groß, die Ereignisse des 11. September zu nutzen, um ohne langwierige Diskussionen mit dem Hauptverbündeten und den wichtigsten Nachbarn die Grundlagen dafür zu schaffen, Japans Selbstverteidigungsstreitkräfte in eine global operierende Streitmacht zu verwandeln und damit Japans "Friedensverfassung" gründlich aus den Angeln zu heben. Wer würde schon wagen, die am 18. Oktober vom Parlament abgesegneten Antiterror-Maßnahmen als wichtigen Schritt hin zur Remilitarisierung Japans zu bezeichnen, nachdem George Bush jr. mehrfach erklärt hatte, dass den Terroristen hilft, wer nicht gegen sie zu Felde zieht, und die Mehrheit der japanischen Bevölkerung, diese Ansicht zu teilen scheint?Zweifellos ist es begrüßenswert, dass sich ein so bedeutendes Land wie Japan aus der sicherheitspolitischen Umklammerung durch die USA zu befreien sucht. Die Frage ist nur, ob diese Absicht langfristig von Erfolg gekrönt sein wird, wenn man sie in einer Nacht- und Nebelaktion zu realisieren gedenkt - ohne breite innenpolitische Debatte und ohne Absprache mit jenen Ländern, die gute Gründe haben, Japan gegenüber misstrauisch zu sein.
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