Hurra, wir spielen wieder! Mit diesem Jubelruf begrüßten die Theater nach sieben langen Monaten ihr Publikum. Was vor Kurzem noch undenkbar schien, wird in rasantem Tempo Wirklichkeit – die Kulturinstitutionen eröffnen. Und dabei überschlagen sich die Ereignisse: Von einer versuchsweisen Öffnung im „Pilotprojekt Testing“, begleitet von strengen Hygienemaßnahmen, bis zum leicht eingeschränkten Spielbetrieb an potenziell allen Theatern vergingen gerade mal zwei Wochen. Ungleichzeitiger geht es kaum. Am 22. Mai startete das Deutsche Theater als erstes Berliner Haus in die Open-Air-Saison mit Tartuffe in der Regie von Jan Bosse, dargeboten auf dem Vorplatz des klassizistischen Gebäudes.
Theater im Freien? Im April erschien das noch wie e
noch wie eine gewagte Idee, heute wirkt es übermäßig vorsichtig. Auf Abstand, mit Maske? Wir sitzen doch wieder dicht gedrängt in den Cafés! – Dann sitzen wir eben nicht ganz so dicht gedrängt auch vor (oder gar in) den Theatern und genießen den außergewöhnlichen Kultursommer. Veranstaltungen mit 500 Personen draußen sind ja wieder möglich. Bei der Tartuffe-Premiere waren es noch 130 Zuschauer*innen, die bei 14 Grad genauso froren wie die Schauspieler*innen auf der temporären Bühne. Vier Tage später ging es dann schon drinnen weiter, mit der Premiere von René Polleschs Goodyear, in der Hauptrolle Sophie Rois. Hier wurde im Rahmen des „Pilotprojekts Testing“ der Wiedereinstieg in den Spielbetrieb geprobt, unter strengen Auflagen: Leistungsfähige Lüftungsanlagen und ein durchgängiges Testregime gelten für die Spielstätte.Worauf die Häuser längst vorbereitet waren: Ihre Hygienekonzepte werden seit Sommer 2020 laufend aktualisiert. Sitzplätze dürfen nach wie vor nur im Schachbrettmuster belegt werden. Am DT bedeutete das mit 200 Zuschauer*innen im Großen Haus ein Drittel der Kapazität.Bereits im März fand ein erster Durchlauf des Berliner Piloten statt. Kaum gestartet, musste das Projekt wegen der steigenden Inzidenzen um Ostern vorzeitig abgebrochen werden. Ermutigend waren die Ergebnisse gleichwohl: „Das Pilotprojekt hat funktioniert und war dringend notwendig“, sagt die Projektleiterin Susanna Kunz. Keinen einzigen positiven Antigen-Schnelltest gab es im März, bei 2.000 Besucher*innen, so Kunz. Für die eben abgeschlossene zweite Phase gibt es noch keine Auswertung. Wie sehr die Kunst den Menschen gefehlt hat, zeigte sich Kunz zufolge in den No-Show-Raten: Fast 100 Prozent der Zuschauer*innen, die eine Karte gekauft hatten, nahmen an den Veranstaltungen auch teil. Ein außergewöhnlich hoher Prozentsatz. Und 98,5 Prozent der für eine Auswertung Befragten konnten sich vorstellen, erneut eine derartig vorbereitete Veranstaltung zu besuchen.Vorbereitung ist das Stichwort: Sie ist aufwendig. Profitiert haben vom Pilotprojekt vor allem die großen Kulturinstitutionen. Mit eigenem Ensemble und ausreichend Personal war es etwa dem DT möglich, die Spielpläne im Wochenrhythmus anzupassen und mit Risikofreude nach vorne zu planen, wie Intendant Ulrich Khuon erzählt.Techniker*innen fehlenProduktionshäuser wie das HAU oder die Sophiensaele, die ihren Spielplan mit freien Gruppen gestalten, konnten so kurzfristig nicht reagieren. „Wir hatten zwei Produktionen in den Endproben. Sie haben unsere ganze Kraft in Beschlag genommen, was Infrastruktur und technische Betreuung anbelangt“, erzählt Aenne Quiñones, die stellvertretende künstlerische Leiterin des HAU Hebbel am Ufer. „Es ist super, wenn wieder aufgemacht werden kann, aber wir müssen das mit den internen Abläufen in Zusammenhang bringen, damit alle mit ihren Kräften haushalten können.“ Der nötige Umbau des Zuschauerraums etwa war nicht möglich, weil viele freie Techniker*innen sich zur Überbrückung andere Jobs gesucht hatten. Später einsteigen ins Live-Geschehen werden auch die Sophiensaele: „Wir brauchen neues Vorderhauspersonal“, nennt die Künstlerische Leiterin Franziska Werner einen der Gründe. „Wir müssen die Kontrollen verstärken, um die Regularien einzuhalten. Das geht nicht so schnell.“ Dafür spielen die Sophiensaele im Sommer weiter, um den freien Künstler*innen zu ermöglichen, längst fertig geprobte Performances endlich zu zeigen. „Das ist eine große Kraftanstrengung fürs Haus“, so Werner.Auch am Lehniner Platz wird im Sommer weitergespielt, darauf hat die Schaubühne seit Januar hingearbeitet. Der Spielplan wurde auf en suite umgestellt, statt sich im Tagestakt abzuwechseln, werden Produktionen mehrmals nacheinander gezeigt. Und statt der traditionellen Sommerpause wird der Urlaub der Beschäftigten über mehrere Monate gestreckt. „Die Regelung der Tarifverträge aufzubrechen, war für mich als Geschäftsführer eine Riesenherausforderung“, sagt Tobias Veit. Gelungen ist es im Einvernehmen mit den Mitarbeitenden. Sie wollen ja spielen an den Theatern. Und jetzt ist das Publikum erstmals seit Monaten zurück – gekommen, um mehr zu sehen. Die Juni-Vorstellungen an der Schaubühne sind ausverkauft, der Juli fast, für den August gibt es noch Karten, so Veit: „Der Ansturm ist riesig.“ Das stellt auch Khuon vom DT fest: „Alle Vorstellungen sind voll. Auf Wochen hinaus. Die Ungeduld des Publikums ist gewaltig.“ Denn endlich, endlich: Sie spielen wieder.