Zu den oft kuriosen Momenten nach einer Uraufführung gehört es, wenn die Autorin oder der Autor auf die Bühne geholt werden. Da hat man sich gerade eine rabiate Textfläche oder schrille Sarkasmen um die Ohren hauen lassen, und dann steht da oft ein linkisches Wesen, das sich stocksteif mit den gelösten Schauspielern verbeugt. Laura Naumann kann das nicht passieren. Mit ihren 24 Jahren hat sie nicht nur bereits ihr fünftes Stück geschrieben, sie ist auch Performerin. In Right of Passage, der neuen Inszenierung der Gruppe machina eX, schleudert sie als Fabrikaufseherin Sossy mit Peitsche gleich zu Beginn den Zuschauern ein böses „Schafft ihr eh’ nicht!“ entgegen. Später wälzt sie sich im Delirium auf dem Boden oder presst ih
er presst ihre Arbeiter gnadenlos aus. Berührungsängste mit dem Publikum hat diese junge Autorin offenbar keine.Die gebürtige Leipzigerin gehört zu einer neuen Generation von Autoren, für die Spielen und Schreiben ineinander übergehen. Ausgebildet an der Universität Hildesheim in Kreativem Schreiben und Kulturjournalismus hat sie sich dort 2010 mit Kommilitonen zur Gruppe machina eX zusammengetan, die Computerspiele in Bühneninstallationen übersetzt und die Zuschauer als Gamer miteinbezieht.Right of Passage, das derzeit am Forum Freies Theater in Düsseldorf läuft, spielt am Grenzübergang zur fiktiven Lörischen Republik. Das Publikum gibt die Flüchtlinge im bürokratischen Räderwerk. Naumann und Anna Fries haben als Verantwortliche für das Skript ein Setting spielerischer sozialer Interaktionsmöglichkeiten unter der Prämisse Migration entworfen, die die Zuschauer in den Nachvollzug real existierender Systeme „zwingt“.Neben machina eX, die sie verlassen wird, ist Naumann Mitglied im Performerinnenkollektiv Henrike Iglesias. Im Juni bringen sie in Leipzig eine Produktion über Zwangsprostitution heraus. Zwischen dem Schreiben eigener Stücke und für Gruppen zieht Naumann eine klare Grenze. Das eine nennt sie „funktionales Schreiben“, während sie für Dramen wie Demut vor deinen Taten Baby – 2012 ihr Durchbruch – oder das jetzt am Schauspielhaus Bochum uraufgeführte Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken lange recherchiert und etwa ein Jahr schreibt.Bisher hat sie sich meist Protagonisten ihrer Generation und eines temporeichen Sprachstakkatos bedient. In Raus aus dem Swimmingpool… beschäftigt sie sich nun erstmals mit der Familie in pointenreichen, mitunter fast psychologisierenden Dialogen. Moana, die in einer Consulting-Firma arbeitet, ist mit Freund Boris wieder bei ihrer Mutter Christiane eingezogen. Die war Kriegsberichterstatterin, bis sie zur Nachrichtensprecherin umschulte. In ihr lebt noch der Traum von ’68 und so führt sie mit Moana harte Kämpfe um politisches und gesellschaftliches Engagement, neoliberale Leistungsethik und Erfolgsstreben. In der Emphase ähneln sich beide, im Unglücklichsein auch – bis Nikita auftaucht, ein androgyner Schutzengel, der für das Familientrio zur Projektionsfläche wird.In Malte C. Lachmanns Uraufführung ist der erste Auftritt Nikitas voll ironischem Pathos: Im Gegenlicht steht diese Epiphanie der Unschuld in weißen Jeans und Shirt unter grauer Kapuzenjacke plötzlich da. Er fegt wie ein Flaschengeist in die Landschaft aus drei hölzernen Wohn- und Arbeitswürfeln nebst Sofa auf Rollen. Naumanns Figuren entpuppen sich als Sprechmaschinen, die sich völlig erklären, ohne Rest und Geheimnis. Moana (Sarah Grunert) hackt auf dem Badewannenrand sitzend in ihren Computer, probiert als Businesssuit drei identische Kostüme an und kann sich nicht entscheiden. Nicola Thomas als Christiane thront in einem TV-Studio aus Kisten für Alkohol, dem sie sich schließlich völlig hingibt. Und Torsten Flassigs Nikita ist ein undurchschau- und unberührbarer Seelenklöppler, allseits freundlich, immer verfügbar. Man denkt an Pasolinis Film Teorema. Während dort ein fremder Gast eine großbürgerliche Familie sexuell aufmischt und ins gesellschaftliche Engagement treibt, ruft bei Naumann die Epiphanie nur noch erotische Wunschträume und verstörte Innerlichkeit hervor: Moana, Christiane und Boris können sich mit Nikita eine Liebesbeziehung vorstellen. Als er verschwindet, lümmelt das Trio verstört im Polster: „So liegen wir dann da und sagen nichts, wir sind erschöpft“ – während der Engel ganz irdisch einen Kiosk eröffnet hat.Naumanns Dialoge im Konversationston wirken bisweilen etwas konventionell, dramaturgisch zieht sie souverän alle Register. Sie ist vielleicht noch nicht die, aber ganz sicher eine Stimme ihrer Generation.