In unregelmäßigen Abständen gelangen alarmierende Meldungen über den Zustand der deutschen Universitäten an die Öffentlichkeit: Forschung und Lehre seien gefährdet, die Bildungskatastrophe ante portas. Erschütterte die jüngst veröffentlichte Pisa-Studie die Fundamente pädagogischer Selbstsicherheit, so ist der Streit an den Universitäten zur Zeit weitgehend aus dem Blickfeld der Medien gerückt. Trotz interner und externer Kritik: Das Ziel, notwendige Reformen einzuleiten, wurde zwar niemals bestritten, doch bei der disparaten Interessenlage der Hochschulen blieben viele Reformvorschläge vage. Die Bildungspolitik, inzwischen mit solchen Ritualen vertraut, reagiert auf solche Vorwürfe gelassen. Die Bildungseuphorie de
horie der siebziger Jahre, die die Begriffe "Bildungsoffensive: Universitätsgründungen" mit einer gesellschaftlichen Aufbruchstimmung verband, erscheint nach zwei Generationen wie eine Fata Morgana, deren utopischer Gehalt verbraucht ist und die im Verteilungskampf um eine angemessene Finanzierung zwischen Politik und Universität unterzugehen droht. Die Vision von einem Kulturstaat ist einem pragmatischen Wissenschaftsverständnis gewichen. Dem zunehmenden Druck staatlicher Administration, über strukturelle Veränderungen Einfluss auf die Universität zu nehmen, entziehen sich die Hochschulen durch Abschottung. In Einzelinteressen zersplittert, ist auch die selbstverwaltete Universität gegenüber ihren eigenen Reformvorstellungen im Zugzwang. Trotz anhaltender Kritik der vergangenen Jahre: Sind es nicht gerade die gebetsmühlenhaften Beschwörungsformeln von der "Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden", die die Diskrepanz zwischen Idee und Alltag offen legen? Kühl berechnete Rationalistät "Der Bau spricht die Sprache seiner Bedingungen", diese lakonische Feststellung des Bauhistorikers Julius Posener verweist auf die Brisanz solcher Großuniversitäten, deren räumliche Strukturen den wechselnden Anforderungen mehr in einem hypothetischen Sinne entsprechen. Nicht nur steigende Studentenzahlen verschärfen die Raumnot an der Bielefelder Universität, es ist auch der immanente Entwicklungsschub der Wissenschaft selbst, der den Zwang auf interdisziplinäre Vernetzung von Forschung und Lehre verstärkt und ein hohes Maß ans Flexibilität von der Universitätsverwaltung verlangt. Aus der Luft wirken die wuchtigen zehngeschossigen Betonblöcke am Fuße des Teutoburger Waldes wie ein gigantischer Mikrochip, vergleichbar einem Großunternehmen, das sich am Stadtrand niederließ und seine Dominanz durch kompakte Baumasse bekundet. Die Reformuniversität Bielefeld zeigt mit ihren seriellen Bauelementen eine geistige Verwandtschaft zum modernen Industriebau. Die Fassade: standardisierte Bauformen, die streng geordnet, kammartig die einzelnen Fakultätsgebäude an eine 240 Meter lange Mittelachse binden. Die Anordnung der Gebäude: ein rechtwinkliges System von Höfen und Blöcken, das Scheiben und Türme als Riesenbaukasten in horizontale und vertikale Teile gliedert und sich doch zu einem autonomen Ensemble schließt. Julius Posener bezeichnete diese eindrucksvolle Silhouette von Solitärbauten "als bewegt systematisch". Eine kühl berechnete Rationalität, die geringfügig die Höhe der Gebäude variiert, doch ausreichend ist, um eine leichte Bewegung in das strenge Planungsraster zu bringen. Im Mai 1969 hatte die Jury den Ersten Preis an ein junges Architektenteam vergeben. Nach sechs Jahren Planung und Ausführung wurde das von den Architekten Klaus Köpfe, Peter Kulka, Katte Töpper, Wolf Siepmann und Helmut Herzog entwickelte "bewegte System" auf seine Funktionstüchtigkeit, aber auch auf seinen ästhetischen Minimalismus ernsthaft geprüft. Die Akzeptanz der 6.500 immatrikulierten Studenten hielt sich in Grenzen. Die Planungsbedingungen waren an den seriellen Details der Betonfassade ablesbar: ein Zeitdokument, das man aus der Distanz respektierte. Die Größe der Universität, die Wiederholung baulicher Grundelemente und die nüchterne Funktionalität der Innenräume hatten aber auch emotionale Vorbehalte offen gelegt, die die puristische Ästhetik der Architektur nicht aufheben konnte. Und so konsequent die sparsame, auf technische Bauteile beschränkte Farbgebung auch schien, die Apparatur einer Lernfabrik war damit vorgegeben. Auch in Bielefeld bemerkt man die ordnende Hand des Staates. Waren zunächst 100.000 Quadratmeter Nutzfläche für 6.500 Studenten vorgesehen, so wurde einige Jahre später das Raumprogramm auf knapp 140.000 erweitert. Doch der Druck auf die vorhandenen Räume verstärkte sich. Das ständige Kommen und Gehen der zur Zeit 20.000 immatrikulierten Studenten brachte das Reformprogramm der Gründungsväter durcheinander. Die Flexibilität ist innerhalb des Universitätsbereiches ausgeschöpft und eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit nur in engen Grenzen möglich. Auch der Rückzug vom normalen Universitätsgeschehen in kleinteilige Gruppenräume ist für Studenten erheblich eingeschränkt, die 240 Meter lange, glasüberdachte Kommunikationsstraße ein Basar für Nachrichten und Konsum geworden. Die Überbeanspruchung der Räume durch wachsende Studentenzahlen hat sich auf das Kernstück der Planung, die aus Stahl und Glas errichtete Eingangshalle, welche die kammartig angeordneten Fakultätsgebäude mit der Basarstraße verbindet, negativ ausgewirkt. Grau und schmuddelig ist der mit Zigaretten und Papier beschmutzte Noppenboden, an den Wänden eine unübersehbare Nachrichtenflut, deren Informationswert gegen Null tendiert. Es ist das kleine Einmaleins eines sozialen Verhaltens, das Gefühl für Intimität und Ästhetik, das viele Studenten verloren haben. Ein Vierteljahrhundert genügte, um diese erstaunliche Diskrepanz zwischen dem äußeren und dem inneren Erscheinungsbild herbeizuführen. Das Umfeld der Universität ähnelt noch immer einer Bastion, deren durchdeklinierte Geometrie von Rasenflächen und Wegen dem Planungsraster folgt. Die Natur muss sich den architektonischen Vorgaben unterordnen: Bäume in straffer Reihung, im Süden weite, offene Rasenflächen, die - sanft ansteigend - zum Höhenzug des Teutoburger Waldes überleiten. Eine überlegt herausgearbeitete Spannung zwischen kompakten Baukörpern und weiträumigen Flächen, ein belebender Wechsel zwischen wuchtigen, vertikalen Erschließungstürmen und kleinteiligen Fensterbändern an den Fassaden, die den geschlossenen Baukörpern durch ihre Transparenz einen Teil ihrer Härte nehmen.Kargheit als Tugend Es ist eine Architektur, die sich der Rationalität verschrieben hat und unterschiedliche Funktionsbereiche durch eine differenzierte Behandlung der Fassade hervorhebt. Wer hier auf die Eigenständigkeit einer funktionalistischen Ästhetik hofft, wird enttäuscht. Raumvolumen, Struktur und Textur sind gleichermaßen diesem generalistischen Entwurfskonzept unterworfen. Es ist die konsequente Umsetzung eines ökonomischen Denkens mit dem Zukunftsmodell Lernfabrik. Eine technische Vorliebe für Röhren, Leitungen und Klimaanlage ist nicht zu übersehen. Die riesige Zielscheibe an der Südostseite der Universität steht hier als ein Signet für Frischluftaustausch und technischer Fortschritt. Konstruktionsteile wie Aluminiumröhren und Leitungen bleiben unverhüllt. Die Transparenz einer von Technik und Wissenschaft bestimmten Welt wird hier zum philosophischen Überbau eines neuen Bauens deklariert. Kargheit als Tugend, Farbe und Materialästhetik als notwendiges Zugeständnis: Die rigorose Logik dieses Programms besitzt einen mentalen Charme, ist mehr intellektuelles Vergnügen, das sich aus Sparsamkeit und Pragmatismus speist. Dabei sind die Vorteile räumlicher Verdichtung nicht zu übersehen: kurze Wege und räumliche Nachbarschaft, großzügig angelegte Fachbibliotheken, die erst am späten Abend schließen. Freilich, ohne die 240 Meter lange Erschließungshalle wäre die Universität ein Torso. Sie verbindet das südöstliche Auditorium Maximum mit der nordwestlichen Schwimmhalle, bündelt Hörsäle, die Mensa, Cafés, Läden, Bank und Post zu einem Dienstleistungsunternehmen, das mancher berühmten Shoppingmail an Virulenz überlegen ist. Es ist die Welt der alten Passage, die für kurze Zeit in Erscheinung tritt, ein halböffentlicher Raum, durchzogen von Treppen und Galerien, in dem sich der Rhythmus der Universität widerspiegelt. Ein Energiezentrum mit beschränkter Hoffnung, das auch in Zeiten studentischen Aufbegehrens seine gesellschaftlichen und politischen Ambitionen mit Kalkül und Witz inszenierte und nun ein wenig müde geworden das Terrain der Administration überlässt. Reformuniversität? In Debattierklubs mag man bisweilen streiten. In Bielefeld hat die Lernuniversität ihre Kapazitäten ausgeschöpft, ist im Gravitationsfeld einer Massenuniversität angekommen. Es geht um die Neuverteilung der Gewichte: Der Produktionszirkel "Staat - Wirtschaft - Wissenschaft" hat auch hier eine neue Ordnung geschaffen und das utopische Ferment aus dem Lehrplan genommen. Die geläufigen Parameter für architektonische Qualität sind zu sparsam, um eine Tugend daraus zu machen. Eine doppelte Stagnation ist eingetreten: Neben fehlender Reformbereitschaft haben sich Gleichgültigkeit und Schmuddeligkeit eingeschlichen. Zeit für die Bildungspolitiker, sich mit Umgangsformen und Lebenskultur zu beschäftigen.
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