Die Gefahr, dass die Demokratie unter die Räder kommt, ist stark gewachsen. Auch, weil darüber nur wenig diskutiert wird. Es könnte ja der Bundespräsident eine große Rede über den Zustand dieser Demokratie und den Ausbau von Bürgerbeteiligung halten. Fehlanzeige. Oder Kurt Beck oder Angela Merkel. Auch Fehlanzeige. Im Gegenteil: Das Schwinden der Wahlbeteiligung wird nicht selten zur Stärke der Demokratie umgedeutet, mit dem Hinweis, darin könne sich eine grundsätzliche Zufriedenheit ausdrücken.
Es gibt Tendenzen, welche die Demokratie schleichend schwächen, weshalb sie im politischen Alltag leicht vergessen werden. So hat es ausgerechnet das Parlament, das einzige direkt gewählte Gremium, sehr schwer, sich Einfluss zu verscha
zu verschaffen. Die politische Bürokratie selbst, die Spitzen von Parteien, Verbände, Lobbyisten, wichtige Medien, die Spitzen von Regierung und Regierungsfraktionen spielen meist die entscheidende Rolle. Diese Verschiebung der Macht zugunsten der Exekutive hat sich mit der Abgabe von Kompetenzen an europäische und internationale Gremien verschärft, die haben den für die Demokratie entscheidenden Nachteil, nur wenig legitimiert zu sein; weder durch Wahlen noch eine ausreichende parlamentarische Kontrolle. Mit diesem Verlust an Einfluss geht ein Verlust an Ansehen der Parlamente einher, verstärkt durch eine national wie international unaufhaltsame wirtschaftliche Konzentration. Großkonzerne sind geballte wirtschaftliche und damit zugleich politische Macht: Sie verhindern Wettbewerb, schwächen die Position von Mittelstand und Konsumenten. Sie dirigieren Zehntausende von Beschäftigten, lenken Investitionsströme von zig Milliarden Euro, prägen mit ihren Marketing-Maßnahmen öffentliches Bewusstsein, bestimmen in ihren Forschungslabors über die Zukunft aller. Begleitet ist dies zeitgleich von einer kräftigen Privatisierung ehemals vom Staat oder der öffentlichen Hand erledigter Aufgaben. Eine Privatisierung, die fast immer mit einem Verlust an öffentlicher Kontrolle einher geht. Damit gilt die Gleichung: mehr Privatisierung, weniger Demokratie.Und schließlich tun die Eliten alles, um den Staat nach allen Regeln der Kunst madig zu machen. Die Demokratie braucht jedoch einen starken und angesehenen Staat. Er sichert als Rechts-Staat die Regeln, nach denen die Demokratie nur funktionieren kann, er schafft als Sozial-Staat die materiellen Grundlagen, damit die Bürgerrechte nicht nur formale, sondern auch materielle Rechte sind. Dieses Verächtlichmachen korrespondiert mit einer ideologischen Beschreibung der Wirklichkeit, indem über Sachzwänge und angebliche fehlende Alternativen geredet wird. Wäre es so, dann könnte Politik nur noch Unabweisbares vollziehen, wäre also blanke Bürokratie und nicht mehr Politik.Es kommt zu diesen gängigen Momenten einer latenten Demokratie-Gefährdung noch hinzu, dass der Sozialstaat schweren Erschütterungen ausgesetzt ist und sich das Arbeitsleben grundlegend ändert. Der Sozialstaat schützt nicht nur vor der Unbill des freien Marktes, er verschafft auch denen eine Identität, die seine Leistungen in Anspruch nehmen müssen, indem er sie nicht als Bittsteller behandelt, sondern als Rechtspersonen. Dieser lange erkämpfte Status wird inzwischen Stück für Stück wieder aufgekündigt. Es wird zwar immer wieder, aber meist nur am Rande erwähnt, dass dieser Prozess auch elementar die Demokratie berührt. Wer soziale Rechte abbaut, der macht nicht nur den betroffenen Bürgern, sondern auch der Demokratie und damit allen Bürger das Leben schwer.Von welcher Demokratie ist überhaupt die Rede? Denn auf die Demokratie lässt ja keiner etwas kommen in dieser Republik. Es geht um eine Demokratie, in der sich Bürger eingeladen und nicht von irgendwelchen Eliten abgeschreckt fühlen. Die Sorge gilt nicht einer Eliten-Demokratie, in der mal die eine, mal die andere Parteien- und Wirtschaftselite mit dem Regierungsgeschäft betraut wird.Zwei wichtige Zahlen liefert hierzu eine Studie der Friedrich Ebert-Stiftung, die Mitte 2006 unter dem Titel Gesellschaft im Reformprozess veröffentlicht worden ist. 63 Prozent der Befragten sagen demzufolge, ihnen machten die gesellschaftlichen Veränderungen Angst. Knapp die Hälfte (46 Prozent) spricht von einem ständigen Kampf des Überlebens. Das kann nicht überraschen. Die Arbeitswelt von heute ist eine grundlegend andere. Unternehmen entlassen Menschen, weil sie Verluste machen. Unternehmen entlassen Menschen, weil sie zu geringe Gewinne machen. Und Unternehmen entlassen Menschen, weil sie noch höhere Gewinne machen wollen. Dann gibt es noch Unternehmen, die stellen Menschen ein, aber nur befristet oder in Teilzeit oder für ein Projekt oder zu einem sehr geringen Lohn oder nur auf Provision und eigenes Risiko. Am allerliebsten übersehen Unternehmen das "Oder" und bieten befristete, schlecht bezahlte Teilzeit-Projekte auf eigenes Risiko an. Die festangestellten Arbeitnehmer ängstigen sich vor der nächsten Entlassungswelle, die anderen passen und strengen sich an, um ihr Projekt oder ihre befristete Stelle verlängert zu bekommen. Alle Kraft wird gebraucht, um die jetzige Krise zu bewältigen oder sich auf die nächste vorzubereiten. Davon abgesehen, dass diese Entwicklung betriebswirtschaftlich eine ungeheure Vergeudung von Ressourcen - nämlich von Engagement und Kreativität - bedeutet, werden auf diese Weise Unternehmen zu Zonen der Diktatur: Die Kraft wird für alles benötigt, für den Widerspruch ist keine mehr da. Dazu passt, dass die Mitbestimmung nicht mehr als Scharnier zwischen sozialer Demokratie und sozialer Marktwirtschaft hochgehalten, sondern angegriffen wird, wann immer es geht. Begleitet wird dies von der staatlich organisierten Privatisierung der Lebensrisiken (Rente, Gesundheit). Es findet also eine Addition von Risiken auf Kosten und zu Lasten des Arbeitnehmers statt. Die besonderen Folgen für die jüngeren Generationen: Die Herausforderung, das eigene Leben zu gestalten, war noch nie so groß wie heute und dessen Verlauf noch nie so unsicher. Was bleibt da noch, um Demokratie zu leben?Ist die Demokratie deshalb in akuter Gefahr? Ein Großteil der politischen Eliten hat ihr einst etwas kräftigeres Bekenntnis zur Demokratie in ein vages zugunsten einer pluralen Eliten-Demokratie umgewandelt. Nicht nur linke Wissenschaftler wie Elmar Altvater oder Noam Chomsky ("moderne Form des Totalitarismus"), auch klassische bürgerlich-liberale Denker wie Ralf Dahrendorf ("Diebstahl von Teilhaberechten") melden sich mit Bedenken zu Wort. Der renommierte Sozialwissenschaftler Helmut Dubiel warnt: "In der politischen Apathie der Bürger im elitendemokratischen System ... ist die Gefahr der autoritären Entgleisung der liberalen Demokratie immer vorhanden." Nur der Historiker Paul Nolte, einer der Vordenker der Konservativen, frohlockt: Es habe in Deutschland eine stillschweigende Verschiebung der Legitimation von Demokratie gegeben. Danach sei Demokratie "nicht die öffentliche Angelegenheit, nicht die res publica, nicht die vita activa, sondern dasjenige System, das am ehesten ein Leben in privater Ungestörtheit ermöglicht."All die gravierenden Veränderungen in Wirtschaft und im Sozialen werden von der Linken und den Gewerkschaften angeprangert und Alternativen vorgelegt. Aber auch sie sprechen im politischen Alltag die damit verbundenen Folgen für die Demokratie nicht als zentrales Moment an. Das kann verhängnisvoll sein, droht sie doch in einem gefährlich unspektakulären lang andauernden Prozess um ihren Kern gebracht zu werden.
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