Entsorgte Hirnmasse

Fernsehen Im ZDF wird kalter NSU-Verschwörungsbrei aufgetischt: „Dengler – Die schützende Hand“
Ausgabe 44/2017

Machen Sie was Schönes am 6. November. Gehen Sie essen, ins Theater, treffen Sie sich mit Freundinnen bzw. Freunden oder aktualisieren Sie alle zehn Sekunden Ihre Facebook- oder Twitter-Timeline. Alles ist relevanter, als sich die Verfilmung des achten Schorlau-Romans Dengler – Die schützende Hand im ZDF anzuschauen.

Abseits einer gefühlt bereits Hunderte Male gehörten, längst widerlegten und nun noch verfilmten Verschwörungstheorie, die auch durch abgekühlte Blaustichromantik nicht aus ihrer Langeweile befreit wird, bleibt eine Erkenntnis: Dieser Film thematisiert ebenso wenig wie der Roman die entscheidenden Fragen rund um den NSU-Komplex. Nein, er relativiert und negiert durch Nicht-Thematisierung den zugrunde liegenden Rassismus.

Daran ändert auch der Versuch der kurzen filmischen Darstellung des Bombenanschlages in der Keupstraße in Köln nichts. Er ist, ebenso wie die Morde und weiteren Anschläge – wie NSU-Watch in der Kritik zum Roman bereits anmerkte – „ein lediglich emotionalisierender Nebenstrang“. Nicht einmal da kommt das Wort „Rassismus“ vor. Gleichzeitig schreckt Lars Kraumes Film nicht davor zurück, längst vorliegende und veröffentlichte Erkenntnisse der Untersuchungsausschüsse im Bund und in Thüringen – insbesondere zu den Ereignissen um den 4. November 2011 in Eisenach – bewusst und aktiv zu ignorieren. Denn die würden den Verschwörungsbrei ungenießbar machen – gemixt aus selektiver Aktenrecherche, stumpfen „Die da oben“-Tendenzen, berechtigter Kritik am Verfassungsschutz, durchgekauten und nicht mehr offenen Fragen, ergänzt durch angeblich fehlende Gehirnmasse sowie eine ferngesteuerte Explosion, serviert im Aluhut, mit einer Prise Drogen dekoriert.

Um nur Beispiele zu nennen, wenn Sie es doch nicht lassen können und wenigstens sieben Unterschiede zur Realität finden wollen. Erstens: Angeblich fehlende Feuerwehrfotos vom Einsatz am 4. November liegen dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss seit mehr als zwei Jahren vor. Zweitens: Hirnmasse wurde im Wohnmobil gefunden, jedoch (und das ist verwerflich und zu kritisieren) in Teilen entsorgt. Drittens: Die Gerichtsmedizin wurde durch die Polizei zum in Eisenach-Stregda befindlichen Wohnmobil geholt, blickte in das Fahrzeug hinein, betrat es jedoch nicht, da die Tatortgruppe noch nicht vor Ort war. Sie wollte den Tatort nicht verändern.

Lieber was Schönes lesen

Oder viertens: Wenn es brennt, steigen der Rauch sowie jedes heiße Gas nach oben – dass in Uwe Mundlos’ Lunge keine Rußpartikel festgestellt wurden, könnte sich also mit der kurzen Zeit zwischen Feuerlegung und Selbsttötung erklären. Fünftens: Aus den Bildern, die am 4. November von Journalisten angefertigt wurden, ergibt sich, dass das Wohnmobil nicht im 40-Grad-Winkel abgeschleppt wurde. Sechstens: Dass nach dem Selbstmord von Mundlos die Hülse der Pumpgun ausgeworfen wurde, ist – nach Untersuchungen von Waffenexperten – technisch möglich.

Und zuletzt: Die dem Thüringer NSU-UA vorliegenden polizeilich angefertigten Spheron-Aufnahmen des Wohnmobils in der Halle belegen im Vergleich mit Feuerwehr- und anderen Bildern der Polizei, dass durch den Abtransport im Wohnmobil vergleichsweise wenig durcheinanderkam. Sogar die Patrone auf dem Tisch im Wohnmobil befand sich noch an Ort und Stelle.

Bald beginnen die Nebenklägerinnen und -kläger im NSU-Prozess mit ihren Plädoyers. Angehörige der Mordopfer, Betroffene der Bombenanschläge und deren Anwälte werden sprechen und ihre Fragen aufwerfen – die entscheidenden im NSU-Komplex. Diese Perspektive ist die zentrale. Der gesellschaftlich legitimierte Rassismus. Das Netzwerk des NSU. Die Auswahl der Opfer. Das Versagen des Staates. Die Ignoranz der Gesellschaft. Es geht nicht um Kollateralschäden. Es geht um zehn tote und Dutzende verletzte Menschen. Sie haben Namen, die man wenigstens richtig aussprechen könnte. Sie haben Geschichten, die nicht zur besten Sendezeit einem breiten Publikum erzählt werden.

Ersparen Sie sich den Film. Lesen Sie Heimatschutz von Dirk Laabs/Stefan Aust, schauen Sie sich im Theater die NSU-Monologe an, unterstützen Sie nsu-watch.info, besuchen Sie den Prozess, thematisieren Sie Rassismus. Agieren Sie dagegen.

Katharina König-Preuss (Die Linke) gehört im Thüringer Landtag dem NSU-UA an

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