Er ist wieder da

Kino Paolo Sorrentino stößt Silvio Berlusconi vom Sockel – mit einer Hommage
Ausgabe 46/2018

Man kennt Paolo Sorrentino als einen großen Ästheten des Kinos. Kein anderer klassischer Begriff beschreibt seine Arbeiten treffender als die Schönheit. Gefeiert hat er sie in seinem Oscarpreisträger La Grande Bellezza (2013), einer Hommage an und gleichzeitig einer Abrechnung mit der Ewigen Stadt Rom. Seine Signatur im europäischen Autorenfilm ist unverwechselbar; Pathos ist bei ihm nie ungebrochen, sondern stets mit Ironie verschränkt.

Der erste Teil von Loro stellt zunächst den Mythos Berlusconi in den Vordergrund. Er ist in aller Munde, Berlusconi, der Partykönig, Frauenverschlinger und Machtpolitiker. Wer Einfluss erlangen will, kommt an ihm nicht vorbei. Das weiß auch Sergio Morra (Riccardo Scamarcio). Um den Mediengiganten zu umgarnen, plant er eine dekadente Sexparty in direkter Nachbarschaft zu dessen Villa auf Sardinien. Erinnernd an die Banker-Fehden in Martin Scorseses Wolf of Wall Street setzt auch Sorrentino auf einen sich selbst entleerenden Reigen aus Drogen, Stelldicheins, nackten Models. In der Ästhetik von Musik- und Werbeclips spielt Loro mit Zeitlupen, Über- und Untersicht, Close-ups und Totalen. Für die Partyszenen zieht Sorrentino also alle Register. Während Frauen um den Pool tanzen, sinken Pillen wie Konfetti in Zeitlupe vom Himmel herab. Und wo nackte Haut sich zeigt, sind dann auch die hormonell gesteuerten Männer dieser patriarchalen Rauschwelten nicht weit.

Es gibt kein Halten, nahezu keine Grenze – bis auf eine: die Vergänglichkeit. In all seinen Filmen stellt sie der Regisseur in den Vordergrund, woraus bei ihm überhaupt erst die Fragen nach Sinn und Ordnung resultieren. Auch Berlusconi, der, genial gespielt von Sorrentinos Lieblingsakteur Toni Servillo, im zweiten Teil auftritt, wird vom Alter eingeholt, ohne es allerdings wahrhaben zu wollen. Um der Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit zu entfliehen, verlustiert er sich in seinem Park mit einem elektrisch betriebenen Vulkan oder einem Karussell. Man fühlt sich bei diesem Kreismotiv an die High-Society-Polonaisen aus La Grande Bellezza erinnert, die – frei nach dem Protagonisten – immer ins Nichts führen. Geld zirkuliert, Macht zirkuliert. Die Moral: Man muss nur selbst Teil der Maschinerie bleiben.

Doch sie ist in Loro nicht mehr als Kulisse. Spätestens als Berlusconi beim entlarvenden Finale von seiner Frau verlassen wird, zeigt sich die ganze Traurigkeit des dauergrinsenden Showmans. Bereits zuvor deutet eine brillante Montage sein Denken über Treue und Beziehung an: In einem Traum läuft ihm die Gattin als junge Frau vor der Mailänder Kathedrale entgegen, um ihm ihre Liebe zu gestehen. Auf die romantische Szene folgt ein harter Schnitt. Wir befinden uns im Garten der Villa, wo ein Arbeiter einer Schlange auf den Kopf schlägt und in die Kamera spricht: „Schädlingsbekämpfung.“ Dem Konzept der Liebe erteilt Berlusconi eine Absage.

Solcherlei Finessen in der Konstruktion zeichnen die Virtuosität Sorrentinos aus, der viele Jahre nach seiner Politsatire Il Divo (2008) über Giulio Andreotti nun erneut einen der großen Machthaber Italiens vom Sockel stürzt. Gerade weil er sich dabei nicht in reinem Zynismus ergeht, sondern zwischen den hedonistischen Orgien immer wieder auch ernsthafte Szenen zulässt, gewinnt Loro an Tiefenschärfe. So klingt der Film auch mit einem pathetischen Moment aus: Nach dem Erbeben in L’Aquila von 2009 wird inmitten von Ruinen und verzweifelten Menschen eine Jesus-Statue geborgen. Zwar wird Berlusconi die Bewohner schnell mit günstigen Neubauten versorgen. Aber bleiben wird angesichts des irdischen Verfalls nur das Ewige und Schöne.

Info

Loro Paolo Sorrentino Italien/Frankreich 2018, 104 Min.

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