Er war Amerika

Muhammad Ali „Ich bin der Teil, den ihr nicht anerkennen wollt.“ Ein Nachruf auf den Mann, der weit mehr war als Schwergewichtsweltmeister im Boxen
Ausgabe 23/2016
Muhammad Ali (17. Januar 1942 - 3. Juni 2016)
Muhammad Ali (17. Januar 1942 - 3. Juni 2016)

Foto: Keystone/Getty Images

Den Leichnam haben ein Flugzeug und eine schwarze Limousine nach Hause gebracht in seine Geburtsstadt Louisville/Kentucky. Auf den Schwergewichtsweltmeister Muhammad Ali wartete ein regelrechtes Staatsbegräbnis mit Ex-Präsident Bill Clinton als Trauerredner, ein Riesenereignis, zu dem „ein jeder kommen darf“, wie die Hinterbliebenen mitteilten. Ali habe „die Welt wachgerüttelt“, sagte Barack Obama auf die Todesnachricht hin. „Und die Welt ist besser geworden.“ Lobsprudelnde Nachrufe taten sich streckenweise schwer mit Erinnerungen an die Welt, die Ali wachgerüttelt hat.

Der Boxkampf hält der Gesellschaft den Spiegel vor. Schon vor Muhammad Ali hat es große schwarze Boxer gegeben, die sich verprügelten zum Vergnügen und Profit weißer Zuschauer und Unternehmer. Es waren Boxer, die Afroamerikaner mit unbändigem Stolz erfüllten: Joe Louis, der „Braune Bomber“, wie man ihn nannte, versetzte dem Deutschen Max Schmeling 1938 im New Yorker Yankee-Stadion nach zwei Minuten und vier Sekunden den technischen K.o.

Ali war eine Klasse für sich, weil er seinen Überzeugungen treu blieb und die an der Macht, die Weißen, herausgefordert hat. 1960 gewann der Boxer olympisches Gold im Halbschwergewicht, wurde aber nicht bedient in den Lokalen von Downtown Louisville. 1964 legte er nach Erkämpfen des Schwergewichtstitels seinen „Sklavennamen“ Cassius Clay ab, trat der im weißen Amerika verhassten Nation of Islam bei und wurde zu Muhammad Ali. Wenn er prahlte, er sei doch der „größte und hübscheste Champion“, war das mehr als Eitelkeit: ein radikales Bekenntnis zur schwarzen Identität.

1967 sagte er Nein zum Einberufungsbefehl der Army, eine einsame Entscheidung, als die Anti-Vietnamkriegs-Bewegung noch am Anfang stand. Die Begründung: Er werde doch nicht Bomben auf braune Menschen in Vietnam werfen, während Schwarze in den USA schlechter behandelt würden als Hunde. Ali musste beinahe ins Gefängnis und durfte mehrere Jahre nicht professionell boxen. Millionen hassten ihn damals, schrieb David Remnick, Autor des Buches King of the World. Ali habe „die Rassenordnung bedroht“; er sei für viele Amerikaner so „destabilisierend wie für viele Schwergewichtsboxer gewesen, die nicht verstanden, warum er nicht in die Ringmitte kam und wie ein richtiger Mann kämpfte“. Als amerikanisches Idol medial weichgespült wurde Muhammad Ali nach Bekanntwerden seiner Parkinson-Erkrankung Mitte der 80er Jahre, als der Athlet nicht mehr kämpfen und bald auch kaum mehr sprechen konnte.

Er ist zu lange im Circus Maximus der Boxindustrie geblieben. Mediziner diskutieren, ob und wie stark die vielen Schläge auf den Kopf ein Krankheitsbild wie Parkinson verursachen. Die Zeitschrift des US-Ärzteverbandes forderte bereits 1983, Boxen in „zivilisierten Ländern“ zu verbieten wegen chronischer Gehirnschäden. Boxen ist heute kein bedeutender Sport mehr in den USA. Und die Footballindustrie, eine Art Nachfolgerin in puncto Gewalt, ist wachsam: Falls die Untersuchung eines Spielers ergibt, dass sein Gehirn geschädigt ist, werden die betroffenen Athleten von der Football-Liga NFL entschädigt.

Barack Obama zitiert in seiner Kondolenzbotschaft Ali von 1970: „Ich bin Amerika. Ich bin der Teil, den ihr nicht anerkennen wollt. Aber gewöhnt euch an mich – schwarz, selbstbewusst, dreist. Mein Name, nicht eurer. Meine Religion, nicht eure. Meine Ziele, meine eigenen. Gewöhnt euch an mich.“

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