Erben und Erbschleicher

Polen Versöhnung sieht anders aus: Freitag-Autor Rudolf Walther hält die Chefvertriebene Erika Steinbach für die größte Hürde eines deutsch-polnischen Neuanfangs

Nach langen Debatten um die Frage, wie man an die Vertreibung von Deutschen aus Osteuropa erinnern soll, kam es im September 2008 zur Gründung der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Mit 2,5 Millionen Euro im Jahr will die Bundesregierung die Einrichtung bis 2011 unterstützen. Es soll „ein sichtbares Zeichen“ gesetzt werden, das an das Schicksal von Vertreibungen in Europa erinnert, aber auch an die Versöhnung der Spätgeborenen auf beiden Seiten. Wie jede Stiftung hat auch diese einen Beirat, und in den will sich die Vorsitzende des „Bundes der Vertriebenen“ (BdV) – Erika Steinbach – hineinwählen lassen. Das kommt bei der polnischen Seite schlecht an. Es ist legitim an das elende Schicksal Vertriebener zu erinnern. Ebenso legitim ist es jedoch, darauf hinzuweisen, dass es eine großartige Leistung von BRD und DDR bleibt, diese Menschen, nach anfänglich schroffer Zurücksetzung, auf ihre je eigene Weise integriert zu haben. In der DDR wurden sie in kurzer Zeit zu gleichberechtigten Bürgern, in der BRD wurde ihr Schicksal obendrein mit Milliarden an Entschädigungen und wohlfeilen rhetorischen Streicheleinheiten des Adenauer-Staates – „Deutschland in den Grenzen von 1937“ – versüßt.

In der quälenden Debatte um die adäquate Erinnerung an ein komplexes deutsch-polnisches Erbe stellte sich eines heraus: wer sich in dieser Frage wie ein Elefant bewegt, kann viel Unheil anrichten. Dass der Streit um die Erinnerung an die Vertreibung alle paar Monate eskaliert, hat aber nicht nur mit der unsäglichen Frau Steinbach, die den EU-Beitritt Polens zu verhindern versuchte, und ihrem Verein zu tun, sondern auch mit dem fast neurotischen Nationalismus vieler ebenfalls sehr spät geborener polnischer Politiker. Es sind nicht reaktionäre Ultras vom Schlage der Kaczinski-Bürder, sondern der Liberale Donald Tusk und der in Polen hoch angesehene Widerstandskämpfer und Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski, die jetzt Alarm schlagen gegen die Nominierung von Frau Steinbach in den Beirat der Stiftung. Dass polnische Politiker beim Thema Vertreibung so empfindlich reagieren wie jüdische und israelische Organisationen auf die Erinnerung an die Vernichtung der Juden, ist verständlich. Steinbachs virtuelle Gleichsetzung von Vertreibung nach 1945 und Vernichtung durch den Nazi-Staat nach 1939, von der jüdische wie nichtjüdische Polen betroffen waren, ist unerträglich deutschnational.

Die Verlogenheit beginnt schon beim Namen. Natürlich handelt es sich bei den Mitgliedern des BdV zu über 90 Prozent nicht um Vertriebene, sondern um deren Kinder und Kindeskinder, die von ein paar Dutzend Berufsvertriebenen organisiert und agitiert werden. Der BdV war früher ein Veteranenverein, der seine Geschichte und Geschichten pflegte. Heute ist er ein Verein von selbst ernannten Erben und vor allem von politisch motivierten Erbschleichern. Und dass die 1943 als Einwandererkind in Polen geborene, heutige Vorsitzende des Erben- und Erbschleichervereins BdV noch 1990 im Bundestag gegen die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze votierte, ist kein Akt der Versöhnung, sondern der politischer Brandstiftung: „Man kann“, sagte Erika Steinbach damals, „nicht für einen Vertrag stimmen, der einen Teil unserer Heimat abtrennt“ - die „Heimat“, die ihr Vater 1943 als deutscher Soldat aus Hessen und Erika Steinbach als Ungeborene betraten und die sie als einjähriges Baby verließ. Wer Versöhnung mit Polen will, braucht anderes Personal.


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