Wer heute eine Feltrinelli-Buchhandlung in Mailand oder Turin betritt, sieht dem Unternehmen nicht an, dass sein Gründer für so verschiedene Dinge verantwortlich gemacht wird, wie den Nobelpreis für Boris Pasternak oder die Popularität des legendären Che Guevara-Fotos, das Alberto Korda einst geknipst hat. Da ist es gut, dass es Arte-Themenabende gibt. "Zwischen Moskau und Milano" ist der über den italienischen Verleger überschrieben, und verrät damit schon eine gewisse Laxheit des Zugriffs. Ja, Feltrinellis ist 1926 in "Milano" geboren, sein Aktionsradius erstreckte sich aber sehr viel weiter als nach "Moskau".
Als den mutigen Verleger von Werken wie Doktor Schiwago und Der Leopard führt ihn der Arte-Programmtext ein und zitiert einen Zeitgenossen über ihn: "Mit dem Kopf in den Wolken und den Füßen auf dem Boden". Der luftige Vergleich drückt verschnörkelt aus, was Feltrinelli vor allem auszeichnete: Er war reicher Erbe eines italienischen Industriellen und verstand sich als Revolutionär. Als erfolgreich und gescheitert bezeichnet ihn das Arte-Heft. Etwas ähnlich Klingendes könnte man auch über den Themenabend selbst sagen: Gut gemeint, aber ungenügend umgesetzt.
Einst waren sie der zentrale Kernpunkt des anspruchsvollen Fernseh-Kultur-Konzepts von Arte. Heute sind es meist nur noch Zusammenstellungen, wie sie die Privatsender genauso im Programm haben: Ein Spielfilm wird mit einer Dokumentation kombiniert, wobei die Dokumentation natürlich den schlechteren Sendeplatz bekommt, man will sich schließlich nicht die Quote verderben. Im Fall vom Feltrinelli-Themenabend bedeutet das, dass um 21 Uhr die David-Lean-Verfilmung des Pasternak-Romans zu sehen ist, satte 184 Minuten lang; erst im Anschluss, 10 Minuten nach Mitternacht, folgt dann die Dokumentation über den "Verleger und Revolutionär".
Die Kombination ist in dieser Form eigentlich ein Missverständnis: David Leans Filmversion des Doktor Schiwago hält sich zwar ohne große Abweichungen an das Handlungsgerüst des Romans, rückt aber in der Charakterisierung der Figuren doch deutlich von der Vorlage ab. Die Nuancen jedoch sind wichtig: Was bei Pasternak die Schilderung eines Epochenbruchs ist, wird bei Lean zum Melodram, in dem Kommunisten als Schicksalsmacht das Zusammenkommen der Liebenden verhindern. Feltrinelli hatte 1957 den Roman, den Pasternak in der Sowjetunion zunächst nicht hatte veröffentlichen können, in Italien verlegt - wie erwähnt sieht man in diesem Akt den entscheidenden Anstoß dafür, dass 1958 das Nobelkomitee für Pasternak votierte. Auf Druck von sowjetischer Seite, wie es so schön heißt, musste Pasternak die Ehrung ablehnen; er wollte auf keinen Fall ins Exil gehen müssen.
Das und noch viel mehr spricht die Dokumentation an. Sie beginnt mit Originalaufnahmen des Verlegers, in denen er Groucho Marx-ähnlich in die Kamera grimassiert und kommt schon bald zu dem seltsamen Tod, den er 1972 erlitt. Seine Leiche fand man in der Umgebung von Mailand in der Nähe eines Hochspannungsmasts. Die dazugehörende Geschichte löst noch heute Stirnrunzeln aus: Feltrinelli sei beim Versuch, den Masten zu sprengen ums Leben gekommen. Wenige Jahre zuvor war er in den Untergrund gegangen, da man ihn der Mittäterschaft in einem - ebenfalls bis heute nicht geklärten - Attentat auf eine Mailänder Bank beschuldigte. Feltrinelli hatte befürchtet, die Polizei würde Beweise gegen ihn fälschen und ihn so ins Gefängnis bringen.
In einem seltsamen Hin und Her versucht die Dokumentation, diese ungewöhnliche Biografie mit den Bildern des heutigen Treibens im Verlagshaus und den Buchläden zu verbinden. Ersichtlich wird dem Zuschauer daraus vor allem eins: das Eine hat wenig mit dem Anderen zu tun. Die Aufnahmen des heutigen Betriebs, die wohl den Aspekt des "Erfolgreichen" in Feltrinellis Lebenswerk illustrieren sollen, sind von der routinierten Langeweile der Feauture-Dutzendware des Fernsehens: Prominente Menschen werden für gestellte Aufnahmen zum Spaziergang durch Erinnerungs-Orte geschickt, der laufende Betrieb wird in Pseudo-Spontaneität aus ungünstigem oder halb verdeckten Blickwinkel gefilmt - vor dem Bücherregal küsst sich ein Pärchen, wie putzig. Eine besonders nervige Vorliebe legen die Macher in diesem Fall für "gespiegelte" Aufnahmen an den Tag; mehrfach sieht man den heute im Unternehmen aktiven Sohn Feltrinellis beim lockeren Plausch mit Schriftstellern als Schaufenster-Reflexion. Soll uns das etwas sagen?
Hoch spannend wird der Film dagegen, sobald Archivmaterial gezeigt wird: Man sieht Feltrinelli zu Besuch bei Castro, Feltrinelli auf dem Vietnamkongress in Berlin 1968, Feltrinelli mit einem Enteignet Springer-Button am Sakko-Kragen. Ereignisse und Zusammenhänge, die heute fast exotisch und fremd wirken, genauso wie die schwarz-weißen Fernseh-Aufnahmen von Literatursendungen von damals. Sie sind Dokumente einer beinahe gänzlich untergegangenen Intellektuellenkultur, in der Bücher den zentralen Platz einnahmen. Statt sich an der Ungeklärtheit und den Bizarrerien von Feltrinellis Leben wohlig zu delektieren, hätten die Dokumentationsmacher vielleicht besser recherchieren sollen, um entweder etwas Neues herauszufinden oder wenigstens die Widersprüchlichkeit seines Lebenswerks genauer auf den Punkt zu bringen. Die Feltrinelli-Buchläden stellten inzwischen mehr als einfache Buchgeschäfte dar. Neben Büchern würde diverse andere Produkte wie Musik, Videos und DVDs verkauft, heißt es wiederum in den Arte-Unterlagen zum Themenabend. Das aber mag einer der Gründe sein, weshalb man beim Betreten einer Filiale heute kaum mehr an den Gründer denkt.
Arte-Themenabend Zwischen Moskau und Milano. Doktor Schiwago und sein Verleger, am Dienstag, den 26. Dezember ab 21 Uhr
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