Erinnern schadet nicht

Jazz Der Dresdner Musiker Günter Baby Sommer setzt sich mit der deutschen Vergangenheit kritisch auseinander

Schreie sind zu hören, Schläge, ein dumpfes Dröhnen. Im Hintergrund Weinen. Und: zarte Melodien, ruhig, voller Trauer und würdiger Schönheit. Rhythmen, die sich mit Kraft aufladen, bis ihre Vitalität sich zum Tanz steigert. Eine Musik, die fremd ist in der Art, wie die Töne aufeinanderfolgen, wie die Sprünge zwischen den Höhen bewältigt werden, wie die Stimmen sich ihrem Ziel nähern, eher sanftes Gleiten als präzises Ansteuern. Was auf Songs for Kommeno nur als Leerstelle zu vernehmen ist, ist der harte Takt der Stiefel, das Bellen der Kommandos, die Brutalität der Mordtruppen.

Veränderte Voraussetzungen

Mit dem Album erinnert der Dresdner Schlagzeuger Günter Baby Sommer an die Opfer eines Massakers, das deutsche Soldaten 1943 an den Bewohnern eines Dorfes auf dem westgriechischen Festland verübten. 317 Menschen starben, nur wer zufällig unterwegs war, überlebte.

Sommer, neun Tage nach dem Verbrechen von Kommeno zur Welt gekommen und prominenter Vertreter des DDR-Jazz, stieß auf die deutsche Hinterlassenschaft, als er vor vier Jahren bei einem Festival in Kommeno gastierte. Der dortige Bürgermeister gab ihm ein Buch, in dem die Hintergründe des Massakers beschrieben werden.

Das neue Wissen ließ Sommer nicht mehr los, es veränderte die Voraussetzungen, unter denen er in Griechenland spielte. Nur mit musikalischen Mitteln könne er als Musiker mit der Last der Geschichte umgehen, und so schrieb er den Zyklus von Kompositionen, der nun auf CD veröffentlicht und nach einer Uraufführung zum Gedenktag im Sommer beim Berliner Jazzfest erstmalig in Deutschland zu hören war. Für das Projekt stellte Sommer eine Band zusammen, zu der neben ihm nur griechische Musiker zählen: Sängerin Savina Yannatou, Multi-Instrumentalist Evgenios Voulgaris, Kontrabassist Spilios Kastanis sowie Klarinettist und Saxofonist Floros Floridis.

Zwischen Trauer und Triumph

Sommer ging es auch darum, der düsteren Erinnerung durch die Schönheit der Musik Hoffnung und Zuversicht abzugewinnen. Entsprechend kündet das Album vom Farbenreichtum der griechischen Musik, verwendet Melodien, Rhythmen, Phrasierungen aus dem weit zurückreichenden Fundus griechischer, byzantinischer, ottomanischer Musiktraditionen und konstruiert aus ihnen einen Zusammenhang, in dem diese neben der Klage und dem Schrecken die Lebendigkeit einer dörflichen Kultur erahnen lassen.

Es sind zarte, fragile Klangfarben, die Sommer ins Spiel bringt: die Tönungen von Voulgaris’ Saiteninstrumenten, der gestrichenen türkischen Langhalslaute Yayli Tanbur und das perkussive Pluckern der Oud, dazu das sonore Holz von Floridis’ Klarinetten, der seidige Hauch von Yannatous Gesang und das tiefe Grummeln von Kastanis’ Kontrabass. Besonders stark wirkt das Spannungsfeld zwischen Trauer und Triumph in dem Moment, wo die Musik entsteht.

Die Brückenschläge zwischen alter Musikkultur und modernen Improvisationstechniken, zwischen griechischer Folklore und den afroamerikanisch inspirierten Trommelschlägen eines deutschen Schlagzeugers bereiteten den Berliner Jazztagen einen seiner emotional gefeierten Höhepunkte. Nicht nur dem Berliner Publikum bescheren Sommers Lieder für Kommeno einen steten Wechsel zwischen Ergriffenheit und Durchatmen.

Songs for Kommeno Günter Baby Sommer, Savina Yannatou, Floros Floridis, Evgenios Voulgaris, Spilios Kastanis Intakt Records

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