Erkennen sich drei als Ungarn

Theater In Budapest wird Kritik an den gegenwärtige Zuständen auf die Bühne gebracht
Ausgabe 24/2014

Ibsens „Volksfeind“ ist derzeit das meistgespielte moderne Stück in Europa. In Berlin war es neulich in gleich drei Versionen zu sehen – Thomas Ostermeiers Frage nach der Politik konkurrierte mit der erstmals als Frau Dr. Stockmann gezeigten Hauptfigur am Gorki-Theater, während der norwegische Volksbühnenberserker Vegard Vinge im Prater das Theater selbst als Kloake präsentierte.

In Budapest hat das Stück freilich einen anderen Resonanzraum. Dort, am Katona Színház, einem der wichtigsten Hauptstadttheater, hat Gábor Zsámbéki die Geschichte um den Badearzt, der seinem Kurort die Wahrheit über verschmutztes Wasser beschert und damit an der Majorität der Stadtoberen scheitert, quasi als Problemstück der eigenen Gegenwart inszeniert. Erst rückt die Zeitung Volksbote von Stockmann ab, dann erfährt er auf der Volksversammlung, auf der er sich alle aufrüttelnd verteidigen will, dass die Verfahrensordnung gerade geändert wurde. Jeder im Publikum versteht die Anspielung auf die zahllosen Gesetzes- und sogar Verfassungsänderungen der Orbán-Regierung, und manche brechen in schallendes Gelächter aus. Stockmann ist also Ungar und überlegt deshalb sogar, nach Amerika auszuwandern. Auch das steht so in Ibsens Stück der Stunde, der Beifall ist begeistert und dankbar.

Zum einen hat das fast immer ausverkaufte Katona den Schulterschluss mit einem kritischer eingestellten Publikum gefunden. Zum anderen erinnert das aber auch an jene Zeit der augenzwinkernden Anspielungskultur, in der die Wahrheit im geschützten Theaterraum aufgesogen wurde, weil sie außerhalb so nicht ausgesprochen werden konnte. Wie im Theater der späten DDR, wo die herrschende Meinung der Partei – zu Massenausreise und Misswirtschaft schweigend – in der listigen Übereinkunft zwischen Bühne und Publikum ausgehebelt wurde. Ob das im heutigen Ungarn ein Zeichen von Hoffnung ist oder der Rückfall in die machtbedrängte „Sklavensprache“, bleibt offen. Fest steht, dass das Katona die Aufgabe für sein Publikum wahrnimmt in einem Land, dessen Ministerpräsident neben Baumarktwerbung an der Autobahn Plakate mit der einzigen Parteibotschaft „Nur Fidesz“ unter seinem Konterfei kleben lässt.

Anders brisant ist das Projekt Emigranten, das Gábor Máté mit seinen Schauspielern entwickelt hat. Hunderttausende haben in den Orbán-Jahren seit 2010 das Land verlassen. Am Anfang per Video eine Straßenumfrage, was man sich als Thema im Theater wünscht. Natürlich Emigration, was ein bisschen wie eine ungelenke Absicherung wirkt. Alle Facetten von Skypen mit Zuhause bis zu Überraschungsbegegnungen im Ausland werden in knapp einem Dutzend Geschichten abgehandelt, mehr oder weniger lose verbunden. Bis auf eine Szene, in der ein in Holland arbeitender Arzt eine unversicherte Prostituierte untersucht und der Putzmann indiskret in den Behandlungsraum poltert. Die drei erkennen sich als Ungarn, was vorhersehbar war. Überraschend dann aber, wie das alles als bittersüße Komödie abgehandelt wird. Das Theater zeigt das Phänomen, behandelt aber kaum etwas darunter – oder eigentlich darüber. Ein Manko.

Tamás Ascher, Katona-Regisseur mit einem beachtlichen Konto an Auslandsinszenierungen, treffe ich in dem torartigen Hauseingang, der neuerdings Café und Buchladen ist. Eine Kantine offen zur Stadt, meint diese Geste in Budapests Wimmelviertel. Zu seiner im Februar kurz vor den Wahlen herausgekommenen Inszenierung von Maxim Gorkis Kinder der Sonne erklärt Ascher, dass es ihm vor allem um das Versagen der Intellektuellen in Ungarn gegangen sei. Das Stück handelt von einem verspinnerten Wissenschaftler, der weder Liebeshändel noch einen drohenden Volksaufstand zu durchschauen vermag. In der Inszenierung bricht am Ende der Pöbel durch die Wände der Villa, wo der Erfindertrottel im Soap-Opera-Format haust. Damit bringt es Ascher indirekt auf den Punkt: Es fehlt an Härte, Klarheit und Übersicht bei diesem Protesttheater im eingeschüchterten Mainstream, das sich mit seinem Publikum ansonsten einig weiß.

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