Erlösung statt Erlös

Bühne In Berlin ging das 47. Theatertreffen zu Ende. Mit der Chronik des fortlaufenden ökonomischen Schwachsinns: "Die Kontrakte des Kaufmanns" von Jelinek und Stemann

Mit einem grandios ausufernden Theaterabend ging am Pfingstwochenende das Theatertreffen 2010 zu Ende. Das Kollektiv der Theatergänger atmete auf, als Nicolas Stemann mit seiner Einsatztruppe vom Thalia Theater Hamburg das neueste Konvolut der nimmermüden Textgeneratorin Elfriede Jelinek zur Wirtschaftskrise skandierte, sang und rezitierte. Ausdauernd seziert Jelinek in ihren Kontrakten des Kaufmanns, einem Stück aus dem Jahr 2008, das durch die Bankenkrise brisant wurde, die Logik des Geldes als eine der systematischen Täuschung. Endlos hackt sie auf der Rhetorik der Wirtschaftsmanager herum, auf der Einfalt der Groß- und Klein-Anleger. Und umkreist das Nichts, das die Spekulationsblase hinterlassen hat.

Verausgabung heißt das Gegengift des Stemann-Abends, der zwischen Performance, Ritual und Revue oszilliert. Schauspieler mit Textbüchern in den Händen, ein Regisseur, der als Conferencier und Musiker auf der Bühne steht und die Regieanweisungen verliest. Man sieht sich einem Team gegenüber, das alles gibt, um der Wirklichkeit den Zerrspiegel vorzuhalten. Antworten gab es keine, aber den Versuch, das Chaos der Wirklichkeit zu treffen.

Stemann hatte in seiner Vorrede das Publikum aufgefordert, Pausen selbst zu machen, die Türen blieben offen. Tatsächlich herrschte nach einer Stunde im Foyer und im Garten des Festspielhauses reges Treiben. Man echauffierte sich, aß eine Bulette mit Senf, spielte mit dem Blackberry und nahm wieder Platz. Am Ende des über vierstündigen Abends: tosender Applaus, Erlösung statt Erlös, man hatte gemeinsam etwas erlebt und Hoffnung geschöpft – weniger für die Wirtschaftswelt, aber immerhin für das Medium Theater.

Neben Stemanns Arbeit fiel Karin Beiers Adaption Ettore Scolas Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen, des italienischen Filmklassikers aus dem Jahr 1976, aus dem Rahmen. In einem schalldichten Container haust ein Clan auf engstem Raum. Verrohte Sitten, keinerlei Privatsphäre. Bis auf Fetzen hört der Zuschauer nichts von dem, was drinnen gesagt und geschrieen wird. Immer aufmerksamer beobachtet man, wie die Gruppe nach den Regeln der Unterwerfung funktioniert, wie Führungsanspruch durch sexuelle Gewalt und Besitz von Geld durchgesetzt wird.

Der thematische Schwerpunkt „Verwerfungen durch die Krise“ ermöglichte in der Zusammenschau all jener Arbeiten, die gesellschaftliche Deformationen anprangern, immerhin eine gewisse Vergleichbarkeit. Als deren Ergebnis man sich die Radikalisierung der theatralischen Mittel wünscht. Wenn zum Beispiel Luc Perceval mit seinem herausragenden Ensemble von den Münchner Kammerspielen Kleiner Mann, was nun? von Hans Fallada erzählt, ist das gutes Theater, das inhaltlich sogar aktuell sein mag.

Formal ist die Hermetik der Erzählung allerdings unangemessen für eine tiefgreifende Reflexion gegenwärtiger Fragestellungen und damit anachronistisch. Mut wünscht man also den Damen und Herren Regisseuren und der Jury des nächsten Theatertreffens. Den Mut, weniger perfekte, dafür aber waghalsige Ansätze zu präsentieren, die auf die kritische Reflexion unserer Wirklichkeit zielen, auch Protagonisten der freien Szene auf die Bühnen zu holen. Von denen gibt es in punkto Wagnis vielleicht etwas zu lernen. Und das Theatertreffen hat das Zeug dazu, ein noch lebendigeres Forum für solche Auseinandersetzungen zu werden.

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