Errungenschaften

linksbündig Stalins Wachstumsideologie

Sind Todestage Gedenktage? Oder eher mediale Selbstläufer? Man kann natürlich einige Motive dafür ergründeln, warum der hoch angesehene Pariser Le Monde zum 50. Jahrestag von Stalins Tod in seiner Ausgabe vom 26. 2. die fünfzigste Wiederkehr des Todestages von Stalin (5. 3. 1953) um eine Woche vorverlegte, um echt-exklusiv zu erscheinen. Das war er zumindest mit dem auf pompöse 24 Seiten gedehnten Supplement. Steht Stalin vor der Tür oder will man mit dem Coup den toten Schrecken »Personenkult« bannen, indem man ihn medial aufpumpt? In Frankreich blieb die KP unglaublich lange stalinistisch orientiert. Die 68er Campus-Maoisten-Kasper vom Schlage Glucksmann-Lévy-Finkielkraut Co. überboten den hausbackenen KP-Stalinismus, wofür sie zu Recht das Zertifikat von Ultrastalinisten erhielten. Seither fischen sie nur noch im Trüben und bemühen sich, ihr ramponiertes Image zu polieren.

Mittlerweile gibt es auch in der französischen KP kaum noch Stalinisten und die Hyperstalinisten vom Campus sind längst zu neoliberalen Konformisten und intellektuellen Kriegsfreiwilligen in Bushs Kreuzzug geworden. Auch hierzulande konvertierten viele ehemalige Linke zu Kriegsexperten und aus manchen ultralinken Studenten wurden bombenwillige Kriegsprofessoren, die Bushs Propaganda-Slogan predigen, wonach man Demokratie am besten durch Krieg herbeischießt. Und für jene, die den Krieg trotzdem noch ablehnen, haben die Bombenprofessoren wie 1991 die israelische Gasmaskenpropaganda als Scheinargument in der Hinterhand. Damit füllen sie das argumentative Loch, dass nämlich Saddam Hussein mit seinem kläglichen Raketenarsenal schon vor zwölf Jahren nicht über die Technologie verfügte, um chemische und biologische Waffen außerhalb des eigenen Landes einzusetzen.

Zumindest in einem Punkt sind Stalin, Hitler und Saddam sehr ähnlich: sie arbeiteten an nichts so konsequent wie an der Selbststilisierung zum Mythos. Was Intellektuelle und Parteisoldaten an Stalin faszinierte, war nicht die biedere Konstruktion des Dogmengebäudes »Leninismus« als »Marxismus in Aktion«, sondern die eiskalte Verrechnung der wirtschaftlichen Erfolge, die es gab, mit der vermeintlichen Notwendigkeit von Opfern. In diesem geschichtsphilosophisch-spekulativen Kalkül spielte der Begriff der »Errungenschaft« eine zentrale Rolle. In seiner Rede vom 7. November 1929 benannte Stalin die drei »Errungenschaften«: Arbeitsproduktivität, beschleunigte Akkumulation und Kollektivierung der Landwirtschaft. »Wir werden zu einem Land des Metalls, einem Land der Automobilisierung, einem Land der Traktorisierung«, deklamierte Stalin.

Sprachlicher Index des Kultes der Errungenschaften sind die Wortbildungen mit der Endung »-isierung«, die eine Vorwärtsbewegung suggerieren und die Kosten der Bewegung - die Opfer an Menschenleben, die staatliche Repression und die Beschädigung der natürlichen Umwelt - gleichermaßen unterpflügen. Der alte Schriftsteller Maxim Gorki brachte ab 1929 eine Zeitschrift mit dem Titel Unsere Errungenschaften heraus, deren Programm an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: »Wenn unsere Wirklichkeit auch schwer und widerspruchsvoll ist, so verdient sie es doch, heroisiert zu werden; und wir sollten sie heroisieren.« Von solcher Heroisierung und Selbstheroisierung lebte der Mythos Stalin. Der Diktator als Held und die Überlebenden in der permanenten Schlacht um »Errungenschaften« feiern sich im Namen von realen, vor allem »künftigen (!) Errungenschaften« auf den Kadavern der Opfer.

Stalinismus ist zuerst und vor allem ein bacchantischer Tanz um Produktion und Akkumulation, zu deren Steigerung alle Mittel bis hin zu Terror und Mord gerechtfertigt wurden. Eine ordinäre Wachstumsideologie mit systemtypischer Brutalitätskomponente. 1939 lobte Stalin den Kampf gegen erfundene »Verräter, Verbrecher und Saboteure des Fortschritts« als »grandiose Errungenschaft«. Noch Nikita Chruschtschow billigte Stalin in der Geheimrede vom 25. Februar 1956 den Irrtum zu, während seiner terroristischen Herrschaft - angeblich seinem subjektiven Glauben folgend - »im Interesse ... der Errungenschaften der Revolution« gehandelt zu haben.

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