Ersehnte „Dritte Republik“

Italien Das rüde Gebaren der möglichen Regierungsallianz zeichnet eine Schreckensvision für die Zukunft. Wer kann verhindern, dass sie Wirklichkeit wird?
Ausgabe 20/2018
Silvio Berlusconi (rechts) taktiert und hofft auf Matteo Salvini
Silvio Berlusconi (rechts) taktiert und hofft auf Matteo Salvini

Foto: Tiziana Fabi/AFP/Getty Images

Was lange währt, wird endlich gut? Nicht immer. Bei der Hängepartie um die Regierungsbildung in Rom weiß man nicht mehr, ob man lachen oder weinen soll. „Die Sache wird langsam grotesk. Wir machen auf nationaler wie auf internationaler Ebene eine ganz schlechte Figur“, fand der rechte Hardliner Renato Brunetta (Forza Italia), ausnahmsweise muss man ihm recht geben.

Sein Chef, der unsterbliche Silvio Berlusconi, hat besser taktiert. Noch Anfang Mai hatte er die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) als „Partei der Arbeitslosen“ beschimpft, die er in seinem Mediaset-Konzern höchstens „zum Kloputzen“ einsetzen würde. Dann gab er plötzlich grünes Licht für eine Regierung mit Beteiligung ebenjener angeblich so gefährlichen Dilettanten. Ein Widerspruch? Nicht für Berlusconi. Instinktsicher hat er sich für das aus seiner Sicht kleinstmögliche Übel entschieden: eine Koalition mit Luigi Di Maio (M5S) und Matteo Salvini (Lega). Letzterer, so das Kalkül, wird sich bei seinem langjährigen Partner Berlusconi als Sachwalter von dessen unternehmerischen Interessen revanchieren. Schwer zu sagen, wie lange das ungewöhnliche Regierungsbündnis hält – wenn es denn zustande kommt. Möglich wurde es vor allem durch einen rasanten Rechtsruck der M5S. Die Partei, die nicht links und nicht rechts sein will, hat alles geschluckt, was die Lega ihr vorsetzte. Ganz oben auf der gemeinsamen Agenda stehen Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr und zur „inneren Sicherheit“; neue Gefängnisse soll es geben, der Zugang zu Waffen erleichtert werden. Der Wahlkampfschlager der Fünf Sterne, das (wenn auch keineswegs bedingungslose) Grundeinkommen, ist zu einer Art Sozialhilfe geschrumpft: Wer seinen Arbeitsplatz verliert, soll maximal zwei Jahre 700 Euro monatlich bekommen. Gegeben wird den Besserverdienenden: Mit der neuen „Flat Tax“ entfallen auf Jahreseinkommen über 80.000 Euro nur noch 20 Prozent Steuern (bisher 43 Prozent).

Neben den angekündigten Maßnahmen zur „Flüchtlingsabwehr“ ist es der rüde Ton der Protagonisten, der Angst macht. So versprach Di Maio, das „Einwanderungsbusiness“ zu bekämpfen. Salvini wiederum riet dem amtierenden Premier Paolo Gentiloni vom Partito Democratico (PD), zum Arzt zu gehen. Gentiloni hatte sich zu dem Satz hinreißen lassen, Italien brauche Einwanderung. Auch wegen solcher Verbalattacken markiert für den 80-jährigen Soziologen Domenico De Masi die mögliche Einigung zwischen Di Maio und Salvini den „schwärzesten Tag“ seit der Befreiung vom Faschismus. Recht hat De Masi mit seiner Warnung vor dem, was noch kommen kann. Innerhalb von zwei Jahren werde Salvini die Fünf Sterne „aufgefressen“ haben: Die 25 Prozent der rechten M5S-Wähler würden zur Lega überlaufen, die 45 Prozent der linken M5S-Anhänger dagegen der Partei den Rücken kehren.

Nach Ablauf der von Staatspräsident Mattarella eingeräumten Frist ist die Regierungsallianz allerdings noch immer nicht unter Dach und Fach. Es fehlt ein geeigneter Kandidat für das Amt des Premierministers, es zeigen sich aber auch Differenzen über die Arbeitsteilung. Mit Blick auf den bevorstehenden Sommer verlangt Salvini, der als Innenminister gehandelt wird, von Di Maio ausdrücklich „freie Hand“ beim Kampf gegen das „Einwanderungsbusiness“. Damit steht und fällt für ihn der Beginn der heiß ersehnten „Dritten Republik“. Eine Schreckensvision. Wer kann verhindern, dass sie Wirklichkeit wird?

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden