Erst Amnesie, dann Amnestie

Osttimor/Indonesien Die Bartholomäus-Nacht vor der Unabhängigkeit des südostasiatischen Kleinstaates soll ungesühnt bleiben

In Osttimors Hauptstadt Dili wurde am 20. Mai auf die ganz große Feier verzichtet. Eigentlich hatte man diesen fünften Geburtstag des jüngsten Staates der Welt festlich begehen wollen, doch kurz nach der Vereidigung des neuen Präsidenten José Ramos-Horta - er war der Friedensnobelpreisträger des Jahres 1996 - drohten Straßenschlachten zwischen rivalisierenden Jugendbanden einen Festakt zu überschatten. Keine Überraschung, denn das Land ist politisch tief gespalten, wirtschaftlich bildet es das Schlusslicht in Südostasien, die überwiegend junge Bevölkerung plagen Arbeits- und Perspektivlosigkeit. Verstärkt wird die gärende Unruhe durch eine anhaltende Verhöhnung der vielen Opfer, die es zwischen 1999 und 2002 auf einem blutigen Weg in die Unabhängigkeit zu beklagen gab.

Trotz ihres wohlklingenden Namens betreibt die indonesisch-osttimorische Wahrheits- und Freundschaftskommission (TFC) ein wenig seriöses Geschäft - sie entsorgt jüngste Geschichte im Sinne der Täter. Es war am 9. März 2005, als der damalige Präsident Osttimors, Xanana Gusmão, und Indonesiens Staatschef, Susilo Bambang Yudhoyono, in Jakarta das Abkommen zur Gründung der TFC unterzeichneten. Danach sollte das Gremium paritätisch mit Personen aus beiden Ländern besetzt sein, auf der indonesischen Insel Bali tagen und jene Geschehnisse untersuchen, die im Sommer 1999 zu Mord, Terror und Brandstiftung in Osttimor führten.

Seinerzeit hatte sich die Mehrheit der Bevölkerung Osttimors zunächst in einem Referendum für das Ende der indonesischen Okkupation und die staatliche Souveränität entschieden. Daraufhin schändeten pro-indonesische Milizen mit Duldung ranghoher Militärs in Jakarta das kleine Land durch einen Amoklauf sondergleichen. Etwa 1.500 Menschen wurden massakriert, Tausende verletzt, Zehntausende zeitweilig ins benachbarte Westtimor vertrieben.

Als Osttimor schließlich am 20. Mai 2002 unabhängig wurde, nachdem es zuvor eine provisorische Administration der Vereinten Nationen gegeben hatte, die der Gewalt ein Ende setzte, warb deren damaliger Generalsekretär Kofi Annan mehrfach dafür, die Straftäter vor ein internationales Tribunal zu stellen. Doch letztlich setzte sich das Regime in Jakarta mit seiner Auffassung durch, es sei besser, die "Vorfälle von 1999", wie es offiziell hieß, selbst aufzuarbeiten. Dies geschah mit fatalen Folgen für die Opfer: Der TFC geht es bis heute im Wesentlichen darum, einen Schlussstrich unter der Vergangenheit zu ziehen, ohne die Täter strafrechtlich zu belangen. Überdies widmet sich die Kommission allein den Ereignissen von 1999, nicht aber den systematischen Menschenrechtsverletzungen, zu denen es während der Besetzung Osttimors durch Indonesien seit Dezember 1975 kam.

Am 15. Januar 2007 nun forderte die TFC eine Amnestie für sämtliche Straftäter, die ihre Vergehen gestehen und sich bei ihren Opfern entschuldigen. In den folgenden Monaten wurden mehrere Zeugen befragt, einschließlich hoher Offiziere und Politiker beider Länder. Darunter befand sich auch Indonesiens ehemaliger Oberkommandierender der Streitkräfte und Verteidigungsminister, General Wiranto, der als eigentlicher Drahtzieher der Verbrechen vom Sommer 1999 gilt. Am 5. Mai sagte dieser vor der TFC aus und besaß die Unverfrorenheit, jeglichen Kontakt zu den pro-indonesischen Milizen rundweg abzustreiten. Bei den Gewalttaten - so Wiranto - habe es sich lediglich um banale Straßen- und Bandenkriminalität gehandelt. Unter seinem Kommando sei es zu keinerlei Gräueltaten gekommen, ebenso wenig hätte Indonesiens Armee Milizen kontrolliert oder gar ausgerüstet. Gegen ihn erhobene Anschuldigungen seien schlicht "unsinnig und verrückt".

Kein Zweifel, dem Ex-General und seinen Paladinen ist viel daran gelegen, die Eruption der Gewalt vor nunmehr acht Jahren zu einem internen Konflikt Osttimors herunterzuspielen. Leider unterstützen ihn hochrangige Politiker des Kleinstaates dabei - sie tun es im Sinne falsch verstandener Nachbarschaftspflege und zum Schaden eigener Glaubwürdigkeit.


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