Erst Kommune, dann Metropole

Im Gespräch Thomas Flierl, ehemaliger Baustadtrat und Mitglied im Parteivorstand der PDS, über die schwierige Metamorphose Berlins zur Hauptstadt, und was der Osten dem Westen dabei voraus hat

FREITAG: Hat sich Berlin mit der Großen Koalition so verändert, dass es nicht nur der Filz ist, der eine neue Regierung in Berlin erzwingt?
THOMAS FLIERL: Natürlich. Berlin ist in einer sehr dynamischen Situation. Die Stadt wächst zusammen - von unten, vom Osten aus, vor allem in der östlichen Mitte der Stadt. Das, aber auch der Umzug der Regierung 1999 sind Katalysatoren für die Auflösung des alten politischen Systems Westberlins. Und das ist mehr als der Filz, da ist ein kultureller Umbruch zu verspüren.

Zu diesem alten System gehört, mit Prominenten als Bürgermeisterkandidaten zu arbeiten. Finden Sie das nicht anachronistisch?
Das ist vor allem eine Schwierigkeit der CDU, die seit Jahren ihre personelle Erneuerung verzögert hat, sie letztlich auch gar nicht will. Nur so kann man sich den Vorschlag der Konservativen erklären, eine Direktwahl einzuführen: Mit der Konkurrenz zwischen Eberhard Diepgen und Gregor Gysi meint man, Diepgen noch einmal eine Chance geben zu können. Das zeigt doch, dass in der CDU auch über Berlin hinaus kaum Alternativen erkennbar sind.

Die anderen Parteien können bessere Alternativen bieten?
Ich denke schon. Die SPD hat es geschafft, mit dem Fraktionsvorsitzenden Klaus Wowereit eine neue Figur zu präsentieren, und das verbunden mit einer offenen Rücknahme des Parteichefs Strieder, der auf seine weiteren Ambitionen verzichtet hat und offenbar auch auf sein Talent desintegrierend zu wirken. Und die PDS mit ihrem Berliner Personal plus Gregor Gysi kann auch eine ganz vernünftige personelle Alternative anbieten.

Eine über Berlin hinaus bekannte politische Prominenz der Stadt gibt es inzwischen nicht mehr. Von einer Hauptstadt müsste man doch genau das Gegenteil vermuten.
Genau das liegt an der Sondersituation Berlins als geteilter Hauptstadt: Es konnte bislang keine Tradition entstehen, sich in der Hauptstadt profilieren zu wollen und damit bundespolitischen Anspruch zu gewinnen. Die Kämpfe um Rom oder Paris dagegen waren und sind in Frankreich und Italien immer von nationaler Bedeutung. Das ändert sich nun in Berlin.

Also zeigt die gegenwärtige Krise, dass sich Berlin noch in einem Selbstfindungsprozess als Hauptstadt befindet?
Wir sind noch in einer Übergangssituation. Die Westberliner müssen heute begreifen, was für Ostberlin viel früher sichtbar war: Berliner Politik ist eben nicht mehr ausschließlich Berlin-Politik. Auch die Fusion mit Brandenburg wird besonders durch die Frage verzögert: Was ist die Stadt Berlin, im Unterschied zum Land und zur Hauptstadt? Und da gibt es neue Phänomene: die reale Kommunalisierung Berlins als Stadt, ihre Bedeutung als Hauptstadt und Berlin als Ort von Bundespolitik. Die müssen neu ins Verhältnis gesetzt werden.

Warum glauben Sie, dass es im Osten Berlins dafür früher ein Einsehen gegeben hat?
Weil der Osten die ehemalige Sondersituation Westberlins nie kennen gelernt hat, sich im Zuge der Einigung dort so gut wie alles änderte und man sich auf die Situation völlig neu einstellen musste. Außerdem die Einsicht, dass Berlin nun eine Stadt in Ostdeutschland ist, mit seinen spezifischen Problemen und umgeben von Brandenburg - diese mentale Öffnung hat es zuerst im Osten gegeben. Ich glaube schon, dass der Anpassungs- und Modernisierungsprozess notgedrungen im Osten früher stattgefunden hat, und die PDS kann da mit der notwendigen Sensibilität für die Westberliner Situation einige Erfahrung in die Senatspolitik einbringen.

Aber sie kann sich auch, wenn es ums Sparen geht, ziemlich die Finger verbrennen. Warum rühren sich deswegen so wenig Stimmen in Ihrer Partei, die vor einer Koalitionen warnen?
Es gibt mehr Stimmen, als Sie vermuten. Aber die rühren vor allem an der politischen Grundfrage: Wozu ist die PDS eigentlich da? Kann sie wirklich den Anspruch einlösen, den wir auf dem Cottbusser Parteitag auf die Formel gebracht haben, dass wir gesellschaftliche Oppositionspartei sein wollen und gestaltende Reformkraft? Können wir den Weg mit SPD und Grünen gehen ohne wie sie in den Strukturen aufgesogen zu werden?

Das sind Fragen, die eng mit der Programmdebatte verbunden sind ...
... und eigentlich ist es noch zu früh, sie heute konkret in der Praxis zu beantworten. Andererseits man kann sich den Zeitpunkt aber nicht aussuchen, und die Antwort in Berlin wird sicherlich ihre eigenen Impulse auf die programmatische Debatte haben. Doch die Mehrheitsmeinung nicht nur in der Mitgliedschaft, sondern auch in der Wählerschaft in Ostdeutschland gegenüber rot-roten Bündnissen ist eindeutig. Und gerade in Berlin mit der Stärke, die die Partei dort hat, wird sich die PDS der Verantwortung nicht entziehen können.

Aber wohl auch, weil die bundespolitische Bedeutung nicht zu verachten ist?
Als in Mecklenburg-Vorpommern die rot-rote Koalition geschlossen wurde, wurde das PDS-intern im Grunde auch als Wert an sich begriffen. Die Tatsache, dass die SPD mit der PDS in einem ostdeutschen Landtag koaliert, hat für die politische Kultur der Bundesrepublik vor dem Hintergrund des Einigungsprozesses alleine eine enorme Bedeutung. Natürlich gilt dies für Berlin umso mehr, weil die Mauer hier stand und nicht in Magdeburg oder Schwerin.

Wo sehen Sie den Platz der PDS in einer rot-rot-grünen Koalition?
Die Berliner PDS hat auch in den vergangenen Jahren immer die Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung anerkannt und sich nie nur als das bessere soziale Gewissen Berlins verstanden, sondern immer auch die Perspektive eines strukturellen Umbaus der Stadt im Auge behalten. Wie will man sich sonst erklären, dass Harald Wolf, der Fraktionsvorsitzende, als Haushaltsexperte allseits anerkannt ist. Deswegen werden wir in keinem Fall das soziale Deckmäntelchen einer Kahlschlag- und Sparpolitik abgeben.

Wo sehen Sie also die größten Sparpotenziale?
Ein Teil der gegenwärtigen Schulden entspringen noch immer der alten Westberliner Subventionswirtschaft, vor allem in der Wohnbauförderung, die eine eigene Bauwirtschaft schuf. Wir sehen Potenziale bei den überdimensionierten Entwicklungsgebieten, außerdem bei der Bündelung der Wirtschaftsförderung, bei der Bewirtschaftung öffentlicher Gebäude, die Aufgabe der U-Bahn-Projekte und die Umsteuerung anderer Großprojekte ...

Außer Frage steht auch der Personalabbau im Öffentlichen Dienst?
Ja, aber hier hat die PDS eine besondere soziale Verantwortung, auch um der weiteren Vereinigung der Stadt willen. Wenn es keine betriebsbedingten Kündigungen geben soll, sollten wir Modelle der solidarischen Umverteilung von Arbeit und Einkommen bevorzugen. Allerdings muss man hier die unterschiedlichen Rechtssituationen in Ost und West sowie zwischen Angestellten und Beamten sehen. Die Westberliner Angestellten im Öffentlichen Dienst haben für gewöhnlich fünfzehn Jahre Vordienstzeit angesammelt und sind im Grunde unkündbar, während die ostdeutschen Angestellten dazu noch gar nicht kommen konnten und die ersten sind, die abgebaut würden, wenn es nur nach diesem Kriterium ginge.

Das Gespräch führte Jörn Kabisch

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