Es war ein Spiel, dass auf allen Ebenen und in allen Ländern gespielt wurde: Was wird sein im Jahre 2000? Ein Jahr nach dem Millenniumswechsel ist kaum mehr nachvollziehbar, was an dieser Zahl noch vor dreißig, ja noch vor zehn Jahren so sehr die Phantasien beflügelt hat. Und nur noch dumpf, wie an einen Rausch, erinnert man sich an den Ausgang all dieser Spiele: dass nämlich der weitaus größte Teil der Weissagungen schlichtweg nicht eingetreten ist.
Aus der Zukunfts- wurde Vergangenheitsforschung: Man vergleiche die Prognosen mit dem Eingetretenen und schon hat man ein Porträt der Zeitläufte des 20. Jahrhunderts. Zwar dürfte nur der geringste Teil der unzähligen Privat-Projekte unter dem Titel Wo und wer werde ich sein im Jahr 2000 dokument
2000 dokumentiert sein, die wenigen werfen aber ein bezeichnendes Licht auf diese Art der Betrachtung.1970, Lenins Geburtstag jährte sich im hundertsten Jahr, veranstaltete die Junge Welt, das damalige "Organ des Zentralrats der FDJ", ein Preisausschreiben. Das Aufsatzthema war vorgegeben, die jungen Leser im Alter zwischen 12 und 30 wurden aufgerufen zu schildern, wie sie sich ihren Alltag am 6. Januar 2000 vorstellen. Der Preis für 500 Auserwählte sollte sein: Ein Bankett am Sonnabend, den 8. Januar 2000. Obwohl alles so ganz anders gekommen ist, als von den damaligen Planung vorgesehen, hat das Bankett stattgefunden. Aber wie das so ist mit Klassentreffen, Jubiläen und anderen Gedenktagen - es passiert nur das, was man sich dazu denkt.Das mögen sich auch die beiden Dokumentarfilmer Olaf Jacobs und Holger Jancke gedacht haben, denn in ihrem Film Das Bankett sieht man rein gar nichts von der titelgebenden festlichen Veranstaltung. Stattdessen haben sie sich vier der Preisträger, drei Männer und eine Frau, herausgesucht und am 6. Januar 2000 mit der Kamera durch ihr wahres Leben begleitet. Zu Beginn, zwischendurch und auch am Ende dürfen die Protagonisten aus ihren Aufsätzen von damals vorlesen. Sowohl bei ihnen als auch beim Zuschauer ruft das zum Teil Lachen, Tränen und weitere zwiespältige Gefühle hervor.Wofür andere Dokfilmer Jahrzehnte ihres Lebens brauchen, haben die Autoren so an einem Tag in Kurzversion: eine Art Langzeitbetrachtung. Wir sollen sehen, wie diese vier Menschen sich vor 30 Jahren ihre Zukunft gedacht haben und was inzwischen aus ihnen geworden ist. Aber was wir sehen, sind einfach vier Menschen in der Mitte ihres Lebens, die zwischendurch aus einem Schulaufsatz vorlesen müssen - mit dem sie nicht gerade glänzen können, steht doch von vorneherein fest, dass ihre damaligen Prognosen auf inzwischen nicht mehr existenten Voraussetzungen beruhten.Was sich zuerst so interessant anhört, bekommt auf diese Weise schnell einen schalen Beigeschmack, weil auffällt, was man eigentlich schon wusste: Die Texte sind offiziös und brav, wie könnten sie auch anders sein. Sie könnten höchst indirekt etwas sehr persönliches über ihre Autoren verraten, nämlich deren damaligen Grad an Angepasstheit, aber vor solchen intimen Offenbarungen schützt sie gerechterweise der Filmschnitt. Weil es zum Genre des Ausschreibens gehörte, nicht wirklich Persönliches zu schreiben, ist es schwer, eine Verbindung herzustellen zwischen den uralten Texten und den Menschen im besten Alter, zehn Jahre nach der Wende.So lässt sich heraushören, dass abgesehen von den Stilblüten des Sozialismus ("der Weg des Neuen, das mit dem russischen Oktober 1917 die Welt zu verändern begann" oder auch "meine Generation hat sich die Schätze der Antarktis zu eigen gemacht") und sonstigen DDR-Eigenheiten auch hier die Phantasien von Wohlstand, neuester Technik, Automation aller Lebensbereiche und dem großen Frieden vorherrschten. Auf einmal wird aber auch klar, dass das Interesse an Voraussagen, die sich nicht erfüllt haben, schnell verbraucht ist. Was bleibt, ist das Interesse an der Differenz von damals und heute. Die vermutet man bei Lebensläufen aus der DDR stets besonders groß. Doch was der Dokumentarfilm Das Bankett unterschwellig und unauffällig zeigt, ist, dass es gar nicht auf die Fallhöhe von Erwartetem und Eingetretenem ankommt, nicht darauf, dass wer einst Lokomotivführer werden wollte, heute Psychologe ist, oder gar wer damals für den Sozialismus in den Krieg zu ziehen bereit war, später dem Bündnis 90 beitrat, sondern einfach darauf, welchen Anteil die jeweiligen Personen selbst an den Veränderungen hatten und wie viel eigenes im Lebensentwurf noch nach dreißig Jahren fühlbar ist. Aber darin dürften sich Ost und West kaum voneinander unterscheiden.Die einfache Herangehensweise des Films kontrastiert so letztlich mit der Komplexität dessen, was hier in den Blick kommt, nicht weniger nämlich als die Lebensgestaltung einer ganzen Generation.Das Bankett, von Holger Jancke und Olaf Jacobs. Ab 28. 7. im Berliner Kino Balasz, 18 Uhr.
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