Erwacht der fette Theatergott?

Berliner Volksbühne Nach stürmischen Jahren eröffnet das traditionsreiche Haus diese Woche unter neuer Leitung wieder seine Türen
Ausgabe 37/2021
Jetzt steht es wieder da, das Räuberrad vor dem Theater, das bekannte Volksbühnensymbol, das sich seinen Ort zurückerobert hat
Jetzt steht es wieder da, das Räuberrad vor dem Theater, das bekannte Volksbühnensymbol, das sich seinen Ort zurückerobert hat

Foto: Frank Hoensch/Getty Images

Wenn diese Woche die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin unter der neuen Leitung von René Pollesch ihre schweren Schwingtüren wieder öffnet, dann ist die Geschichte der beispiellosen Schlacht um das einst prägendste Theater im deutschsprachigen Raum eigentlich erst mal zu Ende.

Das zivilgesellschaftliche widerborstige Aufbäumen, das vor gut sechs Jahren die Ernennung des Museumsmannes Chris Dercon als Nachfolger von Frank Castorf ausgelöst hatte, machte auf einmalige Weise die kulturelle und symbolische Bedeutung von Theater erfahrbar und faszinierte sogar Menschen, die die Debatte ansonsten für völlig plemplem hielten.

Die nächste Erfahrung, die man dann machen konnte, war die der politischen Einsicht, was auch eher selten vorkommt, des nachfolgenden Kultursenators Klaus Lederer. Die Ernennung von Pollesch, des wichtigen Regisseurs der Castorf-Ära, befriedete den Protest, war angebotene Zurücknahme einer Fehlentscheidung, war versuchte Wiedergutmachung eines willkürlich verursachten Schadens.

Jetzt steht es wieder da, das Räuberrad vor dem Theater, das bekannte Volksbühnensymbol, das sich seinen Ort zurückerobert hat. Im Moment noch in der Mitte des Zirkuszelts, das auf dem Platz steht. Auf den Zirkuswagen die Aufschriften LOVE und HATE. Liebe und Hass haben den Streit bestimmt, doch jetzt ist die fahrende Wandertruppe mit den in alle Winde verstreuten Schauspieler:innen nach Hause zurückgekehrt, hat die Zelte wieder aufgeschlagen. So könnte man es lesen. Vertraute Gefühle stellen sich ein.

Stimmt es also tatsächlich, dass die Geschichte zu Ende ist? Oder geht sie einfach weiter? Geht das eigentlich, etwas Neues an diesem Haus? Das sind natürlich die großen Fragen, rätselrätsel, die jetzt das Zukunftsdeuten im Vorfeld der Eröffnung bestimmt haben. Kann Pollesch, der „Eigenbrötler“, das überhaupt? Was soll das sein, ein „Team aus Autor:innen und Schauspieler:innen“, die angeblich das Haus führen sollen? Das sind so die Themen. Dabei könnte die Frage auch lauten: Was wünschen wir uns denn, als Publikum, als Kritiker:innen für das Haus? Wollen wir denn nicht, dass hier wieder das bestmögliche Theater entsteht? Dass unter dem Teamplayer Pollesch das von alten Machtstrukturen gebeutelte Theatersystem vielleicht eine andere Organisationsvariante entfaltet? Dass im Anknüpfen an die Tradition der Volksbühne vielleicht wirklich etwas Neues erwächst? Ich wünsche mir das.

In einem TV-Interview sagte der Regisseur Herbert Fritsch einmal, unter der Bühne am Rosa-Luxemburg-Platz säße ein „fetter Theatergott“, den man nicht verärgern dürfe, der müsse einem gewogen bleiben. Sonst gehe hier gar nichts. Das göttliche Dickerchen kriegt nun erst mal Futter aus der gewogenen alten Zeit. Filme von Christoph Schlingensief, eine Neuauflage seiner Initiative Chance 2000 zur jetzigen Bundestagswahl 2021. Konzerte, Lesungen und die Tangonacht im Roten Salon. Kathrin Angerer und Martin Wuttke. Und für den Abend A Divine Comedy der neuen Choreografin am Haus, Florentina Holzinger, werden gerade Freiwillige gesucht, die sich während der Vorstellung hypnotisieren lassen. Warten wir also ab, ob der fette Gott in der Drehbühne erwacht oder ob er uns sein Unterbewusstes überlässt.

Info

Die Volksbühne eröffnet am 16. September mit der Uraufführung von Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen des neuen Intendanten René Pollesch. Eine Kritik folgt in der kommenden Ausgabe des Freitag.

Ein großes Gespräch mit Jan Speckenbach, der die Ästhetik der Volksbühne seit den Nullerjahren maßgeblich mitgeprägt hat, finden Sie hier

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