Es bleibt alles in der Familie

Türkei Erdoğan betraut seinen Schwiegersohn mit den finanzpolitischen Herausforderungen des Landes. Doch wirtschaftlich steht „Sultan Tayyip Khan der Erste“ vor einem Dilemma
Ausgabe 28/2018
Wer es „Präsidialsystem“ nennt, der irrt sich
Wer es „Präsidialsystem“ nennt, der irrt sich

Foto: Kayhan Ozer/AFP/Getty Images

In der Türkei hat sich am Montag, dem 9. Juli 2018, das Regime – nicht das System – geändert. Wer es „Präsidialsystem“ nennt, der irrt sich. Das Präsidialsystem (USA) sowie das Halbpräsidialsystem (Frankreich) sind fest definierte Begriffe. Das Regime in der Türkei lässt sich mit keinem davon charakterisieren.

Außen- und Innenpolitik, die Finanzen, Verteidigung sowie Justiz sind nunmehr einzig Recep Tayyip Erdoğan untergeordnet. Bislang war das faktisch der Fall, jetzt ist es offiziell. Das Parlament wurde in einem für Europa nicht vorstellbaren Maß entmachtet. Der Präsident bündelte alle Staatsgewalt in seiner Hand. Ab jetzt werden Angehörige des Obersten Gerichtshofs, des Verfassungsgerichts, des Rechnungshofs und des Oberverwaltungsgerichts von ihm persönlich berufen. In den sozialen Medien wird er seit einigen Tagen ironisch „Sultan Tayyip Khan der Erste“ genannt.

Erdoğan gibt weiter Vollgas, das zeigt sich auch am Kabinett, das er im Anschluss an seine Vereidigung vorstellte. Gemäß der Verfassungsänderung gehört kein Minister dem Parlament an. Unternehmer, die bis dato keine politische Erfahrung aufweisen, sowie Erdoğan-treue Kader übernehmen die Posten. Am aufschlussreichsten ist, wie der Präsident in Sachen Wirtschaft agiert: Das Finanzministerium und das Schatzamt werden zusammengelegt, gänzlich mit der Lenkung der Wirtschaft betraut und in die Hände von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak gelegt.

Albayrak kann weder in der Türkei noch auf internationaler Ebene eine Karriere in genau diesem Bereich vorweisen; Energiefinanzierung ist sein Fachgebiet, er besuchte eine Hochschule, die Buchhalter für große Firmen ausbildet – niemand weiß, ob er diese abgeschlossen hat oder nicht, sein Diplom ist nie aufgetaucht, was ihn jedoch nicht davon abhält zu behaupten, er habe Wirtschaftswissenschaften studiert. Was ihn wirklich prädestiniert: Er verehrt seinen Schwiegervater, ist diesem treu ergeben. „Das Geld der Staatskasse und die Führung der Wirtschaft bleiben in der Familie“, heißt es in den sozialen Medien. Tatsächlich aber liegt beides an sich in der Hand des Präsidenten selbst.

Die Regeln der freien Marktwirtschaft, die Unabhängigkeit der Zentralbank, die Festlegung der Zinsen nach den Regeln der Finanzwelt, die Relation der Staatsdefizite zum Bruttosozialprodukt wie auch die Regulierung der Inflationsrate – all das bereitet Erdoğan Kopfschmerzen. Vor allem die Unabhängigkeit der Zentralbank ist ihm ein Dorn im Auge. Die hohen Zinsen sind ihm – auch aus religiösen Gründen – zuwider; er strebt danach, sie per Staatsgewalt zu regulieren.

An diesem Punkt allerdings fängt sein Dilemma an. Die türkische Wirtschaft kann nur durch Kredite der internationalen Finanzinstitutionen überleben. Ihre Mehrwertproduktion ist extrem niedrig, die Inflationsrate liegt bereits bei knapp 16 Prozent. Die internationalen Kreditgeber sind so lange großzügig, solange das Land imstande ist, die Kredite zu annehmbaren Zinsen zurückzuzahlen.

Kurzum: Die Türkei trat in ein neues Regime und dieses neue Regime steht an der Schwelle zu einer wegen wirtschaftlicher Präferenzen zunehmend verschärften ökonomischen Krise. Um das zu sagen, bedarf es keiner wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung.

Aydın Engin ist langjähriger Autor der türkischen Tageszeitung Cumhuriyet

Übersetzung: Gülcin Wilhelm

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