Kaum einer kennt sich im Verkehrssektor so gut aus wie Axel Friedrich. Er arbeitete jahrelang als Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, wurde für seinen kritischen Blick auf die Automobilwirtschaft gefürchtet. Im Jahr 2005 gründete er zusammen mit anderen die NGO International Council on Clean Transportation. Er war maßgeblich am Aufdecken des VW-Skandals in den USA beteiligt.
der Freitag: Herr Friedrich, die USA haben VW wegen der Abgasmanipulationen nun auf eine Milliarden-Entschädigung verklagt. Warum passiert das hierzulande nicht?
Axel Friedrich: Wir haben kein Unternehmensstrafrecht in Deutschland. Im Koalitionsvertrag ist ein solches Vorhaben zwar enthalten, aber die Umsetzung lässt weiter auf sich warten. Die EU hat für Pkw schon 2007 eine Richtlinie erlassen. Demnach muss im nationalen Recht geregelt werden, dass Maßnahmen zur Umgehung der Abgasreinigung bestraft werden. Eigentlich hätten die EU-Staaten das bis Februar 2009 umsetzen müssen.
Jetzt hat das Europaparlament beschlossen, dass in Zukunft die Abgase auf der Straße gemessen werden. Dafür werden jedoch auch die Grenzwerte angehoben. Ist die deutsche Regierung gerade froh, dass es bislang noch keine Mittel gibt, VW ans Leder zu gehen?
Ja. Der Einfluss der Autoindustrie ist in Deutschland sehr groß. Diese Lobby lässt solche Sachen nicht einfach so zu.
Aber in den USA geht es doch auch.
Der Unterschied zu den USA ist, dass dort die Zuständigkeiten bei den Umweltbehörden liegen. Dort hat das Verkehrsministerium überhaupt nichts mitzureden, wenn es um Abgaswerte geht. Wir haben hier in Deutschland einfach ein Strukturproblem.
Zur Person
Axel Friedrich hat Technische Chemie studiert und arbeitete fast 28 Jahre lang für das Umweltbundesamt. Heute ist er weltweit als freier Berater zu Verkehrsthemen gefragt, war unter anderem für die Weltbank und die Asian Development Bank tätig
Foto: Star-Media/Imago
Die EU-Kommission will die nationalen Zulassungsbehörden wie das Kraftfahrt-Bundesamt entmachten und Strafen einführen …
Die EU-Kommission macht mit diesen Ankündigungen einen Befreiungsschlag, um von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Der erste Zeuge, der vor den Untersuchungsausschuss des Europaparlaments vorgeladen wird, ist wahrscheinlich ein ehemaliger EU-Kommissar! Das wird interessant.
Aber der Schritt der EU-Kommission an sich ist richtig?
Nein. Mit einer Kontrolle aus Brüssel haben Sie weder mehr Transparenz noch eine wirkungsvolle Kontrolle. Das muss auf nationaler oder regionaler Ebene geregelt werden. Die Umweltverbände verlangen seit Jahren, dass die Messungen auf der Straße gemacht werden und die Daten sofort veröffentlicht werden.
Hat Sie die VW-Abgasaffäre überrascht?
Nein, die grundlegenden Fakten sind unter Fachleuten schon seit Jahren bekannt. Es war reiner Zufall, dass die Sache nun hochgekocht ist. In den Städten werden seit langem viel zu hohe Stickstoffdioxidwerte gemessen, vor kurzem hat das Umweltbundesamt erneut davor gewarnt. Dass die Belastung von den Dieselfahrzeugen kommt, ist auch bekannt. Der eigentliche Skandal ist, dass bisher niemand auf diese Informationen reagiert hat.
Ist „Dieselgate“ also auch ein Staatsversagen?
Ja. Die Politik tut, als ob sie jetzt das erste Mal von alldem hört. Das ist ungeheuerlich. Und die Dieselabgase sind ja längst nicht der einzige Fall. Nehmen Sie Holzheizungen: Dort liegen die Emissionen ebenfalls um ein Vielfaches höher als in den Labortests. Aber auch acht der zwölf von uns getesteten Kettensägen überschreiten den Grenzwert. Das alles ist bekannt – es kümmert aber anscheinend niemanden.
Was müssen Gesetzgeber und Behörden anders machen?
Wir haben eine unzureichende Kontrolle. Nehmen Sie ein Bundesland wie Mecklenburg-Vorpommern: Wenn dort die eben angesprochenen Kettensägen mit zu hohem Schadstoffausstoß verkauft werden, wird das von den Behörden gar nicht bemerkt. Die Regierung hat erklärt, dass sie keinen einzigen Beamten für die Marktüberwachung stellen kann.
Man kann den Betrug also gar nicht verhindern?
Entscheidend ist, dass wir keine Strafen haben. Das gilt für die Kettensägen, aber auch für den Abgasbetrug. Wenn Sie hohe Strafen hätten, dann bräuchten Sie keine hohe Kontrolldichte.
Welches Ziel hat VW mit den Manipulationen verfolgt: Ging es darum, den Konzern zur Nummer eins in der Welt zu machen?
VW hat einfach Geld gespart – zulasten der Menschen und der Umwelt. Eine bessere Abgasanlage hätte etwas mehr Geld gekostet. Bei der Suche nach den Ursachen muss man zur Frage zurück, wer eigentlich von diesen Manipulationen betroffen ist. Es sind die Menschen, die an Hauptverkehrsstraßen wohnen. In der Regel sind das die sozial benachteiligten Menschen, die hier massiv belastet werden. Das ist der eigentliche Skandal, der allerdings in der Diskussion viel zu wenig beachtet wird.
Abgasbelastung klingt erst mal harmlos. Sind Menschen durch die Manipulationen ernsthaft zu Schaden gekommen?
Wir wissen, dass die Luftbelastung nicht nur krank macht, sondern die Stadtbewohner auch früher sterben lässt. In der Europäischen Union sterben jedes Jahr ungefähr 430.000 Menschen vorzeitig an Luftverschmutzung – 60.000 davon allein in Deutschland. Diese Zahlen sind so erschreckend, dass man schon längst etwas hätte unternehmen müssen. Das Problem ist: Es werden immer die anderen belastet. Die, die nicht im Auto sitzen. Ich produziere die Abgase, die anderen bekommen sie ab.
Hat nur VW manipuliert oder haben das auch andere Dieselfahrzeug-Hersteller getan?
Praktisch alle Hersteller tun das. Wenn die Schadstoffwerte in allen Städten viel zu hoch sind, dann kann das nicht nur von einem Autohersteller kommen. Der Bundesverkehrsminister hat eine Überprüfung angekündigt. Wenn das richtig gemacht wird, dann werden sicher noch weitere Hersteller auffliegen. Allerdings liegen die Ergebnisse seit November in der Schublade von Alexander Dobrindt. Warum rückt er sie nicht raus?
Glauben Sie, dass es zu weiteren Aufdeckungen kommen wird?
Die Umweltverbände bemühen sich juristisch darum. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.
Kommentare 7
Sollte Herr Friedrich mit seinen Aussagen richtig liegen, dann ist der Skandal perfekt. Aktionäre großer Hersteller sind wohl gut beraten, ihre Anteile eher jetzt als zu spät zu verkaufen.
belange des umwelt- und verbraucher-schutzes,des (wettbewerbs-) rechts, der entwicklungs- und verkehrs-politik ,der gesundheit etc. sollten nur vom geneigten ohr des wirtschaftsministers abhängen.
dann erst zeigt sich deutlich die lukrative seite des junior-partner-seins.
und goslar wird wieder "kaiser´s"-pfalz.
Aus der Sicht der Autoindustrie werden von ihnen nur gesetzliche Lücken bzw. Interpretationsspielräume ausgenutzt. Darüber kann man im Detail streiten; offensichtlich war es ja auch schwierig für Herr Friedrich bzw. die Umweltverbände, die "seit langem bekannten" Verstösse nachzuweisen.
Die erste Skandalebene scheint mir darin zu liegen, dass es in der EU keine Umweltbehörde mit ähnlicher Konsquenz wie die EPA bzw. (in Kalifornien) CARB gibt. Darauf weist er ja auch hin.
Aber innerhalb der bestehenden Struktur und mit dem geltenden Recht hätten die an den Verkehrsministerien angedockten Institutionen (zB bei uns das KBA) tätig werden müssen. Mir ist nicht klar, ob das KBA nur die seit Jahrzehnten währende Praxis der Anpassung an die Wünsche der Industrie fortgesetzt hat oder ob es Denk- und Prüfverbote von oben (Verkehrsministerium) gab.
Dem Verkehrsminister ad personam hier die Schuld zu geben, ist müssig. Natürlich tun er bzw. seine Ministeriumspappen der Autoindustrie nix, das hat noch kein Verkehrsminister getan. Er ist ja auch kein Minister für Umwelt oder für Verbraucherschutz.
Die Untätigkeit der Minister Hendricks und Maas sind für mich die eigentlichen Skandale.
Am Ende wird wieder nur der Endverbraucher bestraft. Diesmal eben alle Verbraucher von Luft. Es ist nicht gerecht, daß sich ausgerechnet die größten Verschmutzer bald einen neuen Planeten mit sauberer Luft kaufen werden. Alle werden es toll finden, weil der Bau des Raumschiffs Arbeitsplätze schafft und mit 100% Öko-Strom aus regenerativen Quellen fliegen wird. Made in Germany eben.
Machen wir uns doch nichts vor, kontrollen und strafen sind "end of the pipe"-massnahmen. Die können zwar das risiko erhöhen, erwischt zu werden, aber nicht das eigentliche problem lösen.
Und das sind die verbraucher - dh. die autofahrer und gleichzeitig luftnutzer; mit dem sauerstoff, den ein mensch am tag braucht um atmenderweise zu überleben, fährt ein auto gerade mal einen kilometer weit (wenn überhaupt - je mehr SUV, um so kürzer).
Wenn die autonutzer ihr suchtverhalten besser in den griff bekommen würden (und nur noch verbrauchs- und schadstoffarme gefährte kaufen würden), wäre der industrie vielleicht beizukommen. Aber da die verbraucher mitmachen und sich selbst irrational verhalten, kann die autoindustrie straffrei weitermachen.
Denn die etablierte politik hat schon genug ärger mit Pegida & co., da muss sie sich nicht noch den zorn der autoverrückten deutschen zuziehen. Dass es hier keine strafen gibt ist teil des verkommenen politisch-sozialen systems, das viele jammerer kennt, aber keine konseqeunzen zieht.
Eine Emissions-Begrenzung ohne Vorshriften und ohne Kontrollen?
Wenn die autonutzer ihr suchtverhalten besser in den griff bekommen würden ...
Wenn die Menschen und die Umstände perfekt wären, bräuchten wir keine Politik(diskussionen).
von wegen "die die nicht im auto sitzen" - gerade die die im auto sitzen , besonders die berufskraftfahrer und alle die anderen langstreckenfahrer bekommen auf den autobahnen die emissionen der vorwegfahrenden ungeschützt in die nasen - über die fenster und auch über die lüftungsanlagen und sie sitzen dann oft noch bei geschlossenen fenstern inmitten der russverschmutzen
und mit abgasen verseuchten umgebungsluft .
oft stundenlang .
und da hilft kein katalysator oder das üblicherweise im fahrzeug
vorgesehene filter in der lüftungsanlage
leider gibt es dazu auch keine (veröffentlichen ) statistiken und untersuchungen