Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) Südafrikas gilt als erfolgreiche Alternative zur chilenischen, von der Armee dominierten Kommission für Wahrheit und Versöhnung. Ihre Arbeit war bisher ein wesentlicher Schritt, um die Lasten einer politischen Vergangenheit in Dialogform aufzuarbeiten, und einer der Gründe dafür, dass nach dem Ende der Apartheid ein Bürgerkrieg verhindert wurde. Mit dem unter Vorsitz von Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu stehenden Gremium ging es nie um eine Generalamnestie, sondern eine möglichst vollständige, öffentliche Behandlung von Repressionsmechanismen und Menschenrechtsverletzungen. Dies schloss die strafrechtliche Verfolgung begangener Verbrechen nicht aus.
FREITAG: Inwieweit hat die Arbeit des TRC tatsächlich nationale Versöhnung erleichtert? Wurden nicht eher neue Wunden aufgerissen?
MARTIN COETZEE: Unser Leitmotiv war stets "Die Wahrheit schmerzt - aber Schweigen tötet". Wir waren der Auffassung, nur das Bekenntnis zur Wahrheit öffnet den Weg zur Versöhnung. Wir wollten keinen kollektiven Verdrängungsprozess.
Haben Sie damit beispielsweise die chilenischen Erfahrungen mit der Versöhnung und Bewältigung von Vergangenheit weiterentwickelt?
Mehr als das. Wir glauben, dass die Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen ein Anrecht auf die volle Wahrheit haben. Wir wollten nicht verschweigen, wer wem was angetan hat - darum waren die Anhörungen auch öffentlich. Die Medien berichteten darüber. Gesicht und Name der Täter wurden gezeigt und genannt. Dieses Verfahren war eine sinnvolle Alternative zu Generalamnestie und Verdrängung. Die Demokratie in Südafrika sollte nicht auf einer kollektiven Lüge aufbauen.
Hatte die Arbeit des TRC in dieser Hinsicht den gewünschten Erfolg?
Zumindest haben die Regierungen unter Mandela und jetzt unter Mbeki ihre Zusage voll eingehalten und den Versöhnungsprozess zu einer Hauptaufgabe erklärt. Es gab keinen Tag der Rache. Wir haben im ganzen Land Workshops abgehalten, um möglichst viele sehr schnell mit dem Geist und der Arbeit der Wahrheitskommission vertraut zu machen. Vor allem in ländlichen Gebieten, wo viele Verbrechen kaum registriert oder aufgedeckt wurden, war es wichtig, die Menschen zur Aufklärung zu ermutigen.
Gab es nicht auch Gegenstimmen, die sagten: Das ist zu einfach. Die Leute bekennen ihre Verbrechen und bleiben dann straffrei. Wo bleibt die Gerechtigkeit?
Der Sinn des Prozesses liegt ja tiefer. Wenn Sie einen möglichen Täter anklagen, verteidigt er sich, versucht, sich zu rechtfertigen, bekennt nur, was offensichtlich ist, streitet anderes ab, verkleinert seine Schuld und übernimmt keine volle Verantwortung für seine Taten. Wir haben die Menschen eingeladen, die Möglichkeit einer Amnestie im Austausch für die volle Wahrheit zu nutzen. So hörten die Täter, was die Opfer zu sagen hatten, soweit sie noch lebten. Und die Gewalttäter mussten erklären, warum sie Verbrechen verübt hatten.
Nach diesem Prinzip haben wir in über 7.000 Fällen gearbeitet. Dabei war klar, dass wir weder den chilenischen Weg noch den des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals gehen wollten. Es ging ja auch um einen historischen Kompromiss zwischen alter und neuer Regierung. Denn die alte Elite sagte klar, wir haben Verantwortung für diejenigen, die für uns gearbeitet haben. Und viele, die Amnestie beantragten, sagten uns, wir haben nur getan, was unser Job war. Die Mission des TRC bestand also darin herauszufinden, hat sich etwa ein Polizist an die damaligen Gesetze gehalten. Er konnte ja als Ausführender die Gesetze nicht ändern. Es gab viele, die in den Anhörungen sagten, "wäre uns die ganze Wahrheit bekannt gewesen, hätten wir uns nicht dazu hergegeben, zu tun, was wir getan haben." Das einstige System hatte die Definitionsmacht und erklärte die ANC-Kämpfer eben zu Terroristen, die ausgerottet gehörten. Das Resultat jahrzehntelanger Indoktrination.
Südafrikas "Aussöhnungsmodell"
Grundlage der Arbeit des Truth and Reconciliation Commitee (TRC) ist das "Gesetz zur Förderung der nationalen Einheit und Versöhnung" das vom Parlament Südafrikas am 28. Juni 1995 verabschiedet wurde (Promotion of National Unity and Reconciliation Act, 1995. Act No 34 of 1995). Dabei besteht das TRC im Einzelnen aus dem "Komitee für Amnestie", dem "Komitee für Reparation/Rehabilitation" sowie dem "Komitee für Menschenrechtsverletzungen". Die Antragsstellung auf Amnestie konnte für alle Taten mit einem politischen Hintergrund, die zwischen dem 1. März 1960 bis zum 6. Dezember 1993 begangen wurden, erfolgen. Später wurde der Zeitraum bis zum 11. Mai 1994 ausgedehnt. Das letzte Datum für einen Antrag auf Amnestie war der 30. September 1997, 0.00 Uhr. Bei nicht erfolgter Selbstanzeige wurden die Täter für später aufgedeckte Verbrechen voll zur Verantwortung gezogen. Insgesamt gingen 7.060 Anträge auf Amnestie ein. Eine Zwischenbilanz des TRC ergibt folgendes Bild: Nach Anhörung wurde in 60 Fällen Amnestie gewährt. In weiteren 80 wurde nach einer Verhandlung eine Amnestie ausgesprochen. In 45 Fällen wurde sie verweigert. Abgelehnt wurde sie auch dann, wenn die Antragsteller ihre Schuld nicht anerkennen wollten (140 Fälle), sie aus persönlicher Bereicherungsabsicht Straftaten begangen hatten (282 Fälle), die Taten keinen politischen Hintergrund hatten (2.625 Fälle) oder der Antrag nach dem Schlussdatum eingegangen war (458 Fälle).
Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen, weshalb halten Sie Ihr Modell für sinnvoller als das Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, das chilenische Modell oder den Haager Gerichtshof?
Ich glaube, das Erfolgsgeheimnis liegt darin, dass beim TRC die Politik nicht vertreten war und wir versucht haben, das ganze Volk einzubeziehen. Die Politik hat zwar beschlossen, die Wahrheitskommission zu installieren, sich dann aber völlig herausgehalten. Opfer wurden als Opfer gesehen, unabhängig von ihrem politischen Hintergrund. Die Ausschaltung des Einflusses von Politik erhöhte die Glaubwürdigkeit der Entscheidungen.
Der entscheidende Unterschied zu Chile?
Der Irrtum in Chile war der, dass man glaubte, für sich selbst oder die eigenen Leute eine Amnestie verfügen zu können, wie das schon während und nach dem Ende der Pinochet-Ära geschehen ist. Das erscheint unglaubwürdig. Wir haben statt dessen klare Bedingungen und Grenzen für eine Amnestie festgelegt. Ist das nicht der Fall, haben Sie eine Generalamnestie.
Sie wollten aber eine überprüfbare Amnestie statt einer kollektiven Amnestie.
Richtig.
Das Gespräch führten Martina und J. F. Hartkemeyer.
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