Maskenauflagen werden massenhaft missachtet, eine Horde rechtsextremer versucht, den Reichstag zu stürmen: Die Corona-Demonstration am letzten Samstag war von solch beängstigenden Bildern durchzogen. Die rechtsesoterische Szene versucht, sie als hehre Akte zivilen Ungehorsams zu vermarkten. Etablierte Medienhäuser wie der rbb übernehmen diese Begrifflichkeit, eine Entwicklung, die der „ungehorsame“ Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht hinnehmen sollte. Denn es wird gefährlich, wenn die Gesellschaft zivilen Ungehorsam mit solchen Regelverstößen in einen Topf wirft. Entweder, weil dadurch tatsächliche Aktionen zivilen Ungehorsams an gesellschaftlichem Rückhalt verlieren. Oder – noch gefährlicher – weil antidemokratische Intentionen durch eine Gleichsetzung verschleiert werden.
Doch wann ist ein vorsätzlicher Regelbruch ein Akt zivilen Ungehorsams? Als wichtiges Kriterium kann gelten, dass er einen gewissensgeleiteten Akt des Widerstandes gegen gesellschaftliche – illegale oder legale – Ungerechtigkeiten darstellt. Ziviler Ungehorsam dient dazu, Grundrechte zu verteidigen oder die Demokratie bzw. ihre Rechtsprechung weiterzuentwickeln. Genau dieses Trugbild versuchen Maskenverweigerer zu erzeugen: indem sie sich mit Slogans wie „Gesundheit = wertvoll, Menschenwürde = unantastbar“ als wackere Verteidiger*innen unserer Individualrechte inszenieren.
Aber das sind sie nicht. Selbstverständlich sind in einer Demokratie Grundrechtseinschnitte prinzipiell kritisch darauf zu prüfen, ob sie verhältnismäßig bleiben. Aber gerade weil diese Überprüfung funktioniert und mit sinkenden Infektionszahlen bereits die stärksten Einschränkungen der Freiheitsrechte gelockert wurden, wird man den Eindruck nicht los, dass es bei den „Corona-Rebell*innen“ um etwas anderes geht: darum, kein nerviges Stück Stoff vor dem Mund zu tragen oder andere als unangenehm empfundene Coronaauflagen loszuwerden. Solche Infektionsschutzauflagen als unaushaltbare Verletzung der Grundrechte hinzustellen und damit eine massive Gefährdung vulnerabler Bevölkerungsgruppen zu fordern, ist lächerlich und traurig zugleich. Es ist kein ziviler Ungehorsam, die eigenen Privilegien auf Kosten der Gesundheit anderer durchzuboxen. Und noch weniger ist es ziviler Ungehorsam, mit Reichsflaggenträger*innen ein Symbol unserer Demokratie anzugreifen.
Der Unterschied zum zivilen Ungehorsam der Klimagerechtigkeitsbewegung ist offensichtlich. Anstatt eigene Privilegien – z.B. das Recht auf frischen Luftzug um die Mundregion – auf Kosten anderer zu schützen, geht es darum, auf eine eklatante Ungerechtigkeit hinzuweisen: Unsere Art zu wirtschaften und zu konsumieren ist eine existenzielle Gefahr für diejenigen, die bisher am wenigsten dazu beigetragen haben – jüngere Generationen und Menschen im globalen Süden. Das sagt uns die Wissenschaft.
Und hier sind wir bei dem zweiten großen Unterschied, dem Verhältnis zum wissenschaftlichen Konsens. Schutzauflagen können natürlich nur für diejenigen verhältnismäßig wirken, die den wissenschaftlichen Kenntnisstand zu Corona anerkennen: dass das Virus existiert und für Risikogruppen lebensgefährlich ist. Genauso kann radikaler Klimaschutz nur für diejenigen verhältnismäßig wirken, die der Wissenschaft glauben, dass große Teile unserer Welt unbewohnbar werden, wenn wir nicht die Emissions-Notbremse ziehen. Das Wissenschaftsverhältnis der Klimagerechtigkeitsbewegung könnte zu dem der Maskenverweigerer und Reichtstagsstürmer kaum gegensätzlicher sein: Die einen setzen sich für die Beachtung des wissenschaftlichen Konsens ein, die anderen dagegen. Es ist traurig, dass manche Politiker*innen den wissenschaftlichen Kenntnisstand zur Bedrohlichkeit der Klimakrise anscheinend so wenig kennen, dass sie pauschal Klimaaktivismus als wissenschaftsfern oder Klimaungehorsam als demokratiefeindlich abstempeln.
Ziviler Ungehorsam für’s Klima: Jetzt erst recht
Der Komplex Klima ist längst nicht mehr von der Bedrohung der Demokratie durch Hetze und Faschismus zu trennen. Die aktuellen Geschehnisse zeigen erneut: Aktivismus für Klimaschutz ist mehr als das Wedeln mit Zukunftsszenarien und Prognosen. Er passiert auf dem Boden bestehender Diskriminierungsverhältnisse in einer volatilen politischen Landschaft. Die Klimagerechtigkeitsbewegung ist von der Überzeugung geeint, dass die Ungerechtigkeit der Klimazerstörung und ihren Auswirkungen untragbar geworden ist. Nach Berlin ist sie mehr noch als zuvor angehalten, gegen Ideologien der Ungleichwertigkeit laut zu sein – egal ob sie durch Organe des Staates vertreten werden oder von jenen, die dem Staat seine Legitimität absprechen.
Dabei wird die Demokratie nicht ausschließlich von rechtsextremen Krakeeler*innen und Verschwörungsidelog*innen in Gefahr gebracht. Sie wird auch von politischer Tatenlosigkeit angesichts der Klima- und ökologischen Krise bedroht. Von leeren Versprechen und von kraftlosen Beschwichtigungsversuchen, dass demokratisch nicht mehr drin sei als eine Klimamogelpackung und ein Kohleverlängerungsgesetz. Dabei hat das vergangene Jahr doch gezeigt: Ambitioniertes Handeln ist geboten – und die gesellschaftlichen Mehrheiten sind da. Das weiter zu leugnen, bedeutet nicht nur die Abkehr von den physikalischen wie empirischen Realitäten, sondern auch vom Vertrauen in die transformative Kraft einer lebendigen Demokratie. Es wäre ein gefährlicher Trugschluss, anzunehmen, dass es der Demokratie – jetzt, da ihre Gegner die Stufen des Reichstags hochrennen – einen Dienst erweisen würde, wenn die Klimagerechtigkeitsbewegung ihre Anklagen und Forderungen hinten anstellen würde. Tatsächlich hätte diese vermeintliche Schonhaltung den gegensätzlichen Effekt.
Die Demokratie stärken heißt die sozial-ökologische Transformation jetzt anpacken
Denn die Klimakrise verstärkt soziale Krisen, die sich an bestehenden gesellschaftlicher Konfliktlinien entzünden. Deshalb wird sie auch als „Multiplier of threats“, als Multiplikatorin von Bedrohungen bezeichnet. Wenn die klimatischen und ökologischen Schäden zunehmend soziale Konflikte befeuern, ist das Ende freiheitlicher Demokratien kein unwahrscheinliches Szenario. Im Gegenteil.
Jene, die der Demokratie kraftlos attestieren, dass politisch nicht mehr drin sei, müssen deshalb genau jetzt daran erinnert werden, welches enorme konstruktive Potenzial in einer lebendigen Demokratie steckt. Dazu werden wir auch in Zukunft auf kreativen gewaltfreien zivilen Ungehorsam setzen und zeigen, dass die sozial-ökologische Transformation nicht nur die Herausforderung, sondern auch die Chance unserer Zeit ist. Schließlich steckt in der Freiheit zur Mitbestimmung ihrer Gestaltung nichts weniger als die ursprüngliche Verlockung der Demokratie: Das respektvolle und ergebnisoffene Beratschlagen über eine andere, bessere Zukunft für alle.
Rebecca Fleischmann ist Psychotherapeutin in Ausbildung, lebt in Berlin und engagiert sich bei Extinction Rebellion Deutschland
Judith Pape studierte Soziologie in Hamburg in Freiburg, lebt in Berlin und ist bei Extinction Rebellion Deutschland aktiv
Jakob Hagenberg studiert Staatswissenschaften in Passau und engagiert sich bei Fridays for Future und Extinction Rebellion Deutschland
Kommentare 10
Berichterstattung in Zeiten der Großen Aufregung, Folge 08/15.
Immer wieder erstaunt es, wie viele Worte dafür verschwendet werden, um mit plakativen, wenig aussagekräftigen Begriffen um sich zu werfen.
Wer Dinge verändern möchte, sollte auf folgende Aspekte achten:
Erstens den Ist-Zustand zu beschreiben - und nicht mit Floskeln und Plattitüden zu verkleistern. Wer oder was die "rechtsesoterische Szene" ist, interessiert - jedenfalls im vorliegenden Kontext (außer zur Stigmatisierung der Anderen) - nicht die Bohne. Wohl aber, welche dummen Sprüche dort abgesondert werden.
Zweitens die Kritik deutlich zu machen: Was will ich - und warum ist das wichtig?
Drittens: Wie möchte ich das umsetzen?
Den bereits vorliegenden Phrasen weitere blubbernd hinzufügen: geschenkt.
Klartext. Jetzt.
»Woher kommt dieser Hass?«
Danke für die persönliche Einladung.
Ich werde den Text zu vorgerückter Stunde bei einem guten Tropfen und meiner Abendpfeife lesen und gedanklich durchdeklinieren.
Thanx for the friendly service. ^^
Nun gab es bis gestern in Berlin keine Maskenpflicht im öffentlichen Raum ...... !?!
Und dann der Teilsatz: "....... der Wissenschaft glauben ....... " Wissenschaft kommt von WISSEN und das hat nun mal mit GLAUBEN recht wenig zu tun.
Auch der Rest des Textes ist für mich verzichtbar: Mainstreammäßig wird da "rechtesotherisch" etc. aufgezählt.
Statt daß hier Argumente genannt werden, geht es eher in Richtung administrativer Maßnahmen. Kritik an der offiziellen Informationspolitik unterbleibt, aber gerade die intransparente Informationspolitik ist es doch die Verschwörungstheorien gedeihen läßt.
Nebenbei sind alle 3 Author*** bei "Extinction Rebellion" aktiv wie hier steht; also eine "Organisation" die auch schon mit rassistischen Bemerkungen in Verbindung gebracht wurde.
Kurz, ich finde die Hygienemaßnamen der Bundesregierung richtig! Schlimm finde ich, wie sich AfD Leute noch brüsten und Kollegen in Häftlingskleidung auf Plakaten zeigen, die selber Arzt sind! AfD Saale-Orla ist stolz auf Demo in Berlin | Bad Lobenstein ...
www.otz.de › regionen › bad-lobenstein › afd-saale-orla-i...
AfD Saale-Orla ist stolz auf Demo in Berlin. Peter Hagen. Aktualisiert: 01.09.2020, 09:32. Schleiz. Während sich der Landesverband distanziert hat, feiert die AfD ...
… Diese Leute sollten man immer kritisch hinterfragen, denn ihre Absichten sind immer besser durchschaubar, da sollte man schon abwägen, dort mitzumarschieren. Schwarz – Weiß – Rot ist in der Corona - Krise nicht hilfreich.
Es grenzt schon an eine Mischung aus Arroganz und Ignoranz, wenn seitens der Corona-Schutzlogiker gebetsmühlenartig vorgetragen wird, dass die Maskenpflicht dem Schutz anderer dient und der Maskenzwang als Eingriff in das Persönlichkeitsreccht hinzunehmen sei.
Dazu nur zwei Hinweise: Im Sinne eines richtig verstandenen Subsidiaritätsprinzip ist es zuallererst Sache des Einzelnen, Veranwortung für seine Sicherheit zu übernehmen, wovor immer er sich auch fürchten mag. Das heißt: Kauf Dir eine anständige Maske (FP2 aufwärts) statt des peinlichen Stofflappens, Halte Abstand und meide Situationen, in denen Du mit möglicherweise Infizierten zu eng zusammen kommst. Damit steigen Deine Überlebenschancen auf gefühlte 99 Prozent.
Und zweitens: Der angebliche Schutz durch Masken wird auch von Experten, die man gewiss nicht als Verschwörungstheoretiker wird diffamieren können, deutlich in Frage gestellt: So zum Beispiel von Prof. Franz Allerberger (Leiter für Öffentliche Gesundheit in Österreich). Und es gibt aktuell Länder und Gesellschaften, die sehr bewusst auch ohne diesen angeblich unverzichtbaren Schutz durch die Krisensituation kommen: Von Schweden oder Norwegen bis Tschechien.
Die Maske ist und bleibt das Symbol öffentlich sichtbaren Gehorsams. Vergleichbar mit dem legendären Gesslerhut. Mit Demokratie hat das alles jedenfalls nichts zu tun ...
Das Autorentrio meint:
>>Das Wissenschaftsverhältnis der Klimagerechtigkeitsbewegung könnte zu dem der Maskenverweigerer und Reichtstagsstürmer kaum gegensätzlicher sein: Die einen setzen sich für die Beachtung des wissenschaftlichen Konsens ein, die anderen dagegen.<<
So einfach kann die Welt sein, wenn man sich auf einen ominösen "wissenschaftlichen Konsens" beruft, den es, wenn man Wissenschaft richtig versteht, nicht geben kann. Die Klimabewegten sind nach dieser Einlassung die Wissenschaftsadepten, die Corona-Politik-Kritiker die Aluhüte, weil sie nicht die Rolle der regierungstreuen Ja-Sager erfüllen.
Es gibt keinen unterstellten wissenschaftlichen Corona-Konsens. Allein die Virologen und Epidemiologen neigen zu divergierenden Einschätzungen. Was soll der treue Maskenträger davon halten, wenn der Chefvirologe Drosten plötzlich davon spricht, die Quarantänezeit könne von 14 auf fünf Tage verkürzt werden. Wenn er auf einmal zur Erkenntnis gelangt, eine Wiederansteckung könne es zwar geben, diese sei aber nicht gefährlich. Epidemiologen, die das von Beginn an sagten, galten bis dato als Verschwörer. So schnell kann sich die Welt der Wissenschaft drehen. Sie agiert nicht im Elfenbeinturm, sie ist auch von einem Wirtschaftssystem abhängig, das die Regeln mitschreibt.
“Die Maske ist und bleibt das Symbol öffentlich sichtbaren Gehorsams.“ Das ist doch Quatsch, habe mich beruflich mit Aerosolen und Ausbreitung befasst – wenn man keine Ahnung hat, einfach mal schweigen! Siehe: Ignaz Philipp Semmelweis Hygiene-Vorschriften usw. Ich hoffe, bei der nächsten OP niest Ihnen keiner in die Wunde, Masken sind ja so "sinnlos"...!?
Wenn Ihnen die Differenzierung schwer fällt zwischen sinnvollen Masken im OP oder im vergleichbaren medizinischen Kontext eonerseits und der politischen Symbolik einer hygienetechnisch weitestgehend sinnfreien Zwangsmaskierung der Menschen im öffentlichen Leben andererseits, dann darf ich Ihnen das freundliche Gebot zu schweigen postwendend zurück geben.
Und wenn Sie mir erlauben, Ihrem offensichtlichen Defizit an sachlicher Information ein wenig nachzuhelfen, dann setzen Sie sich bitte mit einem aktuellen Beitrag aus der Deutschen Apotheker Zeitung auseinander - Sie werden weder das Medium noch den Autor im verschwörungstheoretischen Milieu verorten können. Also bitte lesen, bevor Sie wieder reflexhaft Belehrungen verteilen: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2020/daz-33-2020/hauptsache-maske?fbclid=IwAR1QpvscPdHE91FAthpKx0Jyy2uta5CLVqys0K43EmhmrqMlsmDGc3tbXtk
Vorschlag zur Güte: Folgendes kleines Experiment! Da es wieder kalt wird, Maske auf und Reden oder Singen und beobachten wie sich der “Nebel“ verteilt mit und ohne Maske! Oder, Staub in der Wohnung, selbes Experiment und Sie werden bemerken, wie die Flocken tanzen... Es geht vor allem um die Dosis, was sozusagen “herauskommt“ … und es ist bitte kein Geheimnis, wer hinter einer Lehrmeinung steht - nur ein Vorschlag, keine “Missionierung“ von mir! … in diesen Sinne, bleiben Sie gesund!