FREITAG: Schweden gilt als vorbildlich für eine gelungene Gleichstellungspolitik. Anfang des Jahres wurde nun auch in Deutschland ein an Schweden orientiertes Elterngeld eingeführt. Kommen wir damit an das schwedische Modell heran?
WIEBKE KOLBE: Seit der Einführung des Elterngeldes und zwei quotierten Monaten für den "anderen Elternteil", de facto für Väter, wie auch seit der Zielsetzung, ausreichende Betreuungsmöglichkeiten für Kinder unter drei Jahren zu schaffen, überwiegen tatsächlich die Gemeinsamkeiten. In Schweden wurde seit 1974 die Kinderbetreuung verstärkt voran getrieben. Unser Elternurlaubsgesetz bleibt ohne den forcierten Ausbau der Kleinstkindbetreuung ein Schritt ins Leere. Die Diskussion, die der Vorstoß Ursula von der Leyens zum Ausbau der Kinderbetreuung für unter Dreijährige hervorrief, zeigt, wie emotional geprägt dieses Thema nach wie vor in Deutschland ist.
Wie sieht das Verhältnis von Familien- und Gleichstellungspolitik in beiden Ländern aus?
Seit den sechziger Jahren besteht in Schweden eine enge Verzahnung von Gleichstellungs- und Familienpolitik. In der Bundesrepublik ist Familienpolitik dagegen häufig als Instrument einer konservativen Geschlechterpolitik genutzt worden, die die Erwerbstätigkeit von Ehefrauen und Müttern finanziell und sozial unattraktiv machen wollte. Ursula von der Leyen dagegen verbindet mit der Einführung des Elterngeldes 2007 ausdrücklich gleichstellungspolitische Ziele. Das ist ein absolutes Novum: Nie zuvor wurde in der Bundesrepublik in solcher Deutlichkeit und so offensiv (Väterquotierung!) Gleichstellungspolitik mit einer familienpolitischen Maßnahme in Verbindung gebracht, schon gar nicht von einer konservativen Regierung.
Warum kommt es gerade jetzt zu diesem Sinneswandel?
Diese gewandelte CDU-Politik gesteht indirekt ein, dass das vorherige konservative Konzept auf ganzer Linie gescheitert ist. Die Geburtenzahlen hierzulande sind gesunken, während sie sich in Ländern wie Frankreich oder Schweden erhöhten. Höchstwahrscheinlich hat nicht zuletzt die Einsicht, dass pronatalistische Ziele, die ja auch in der schwedischen und französischen Familienpolitik eine Rolle spielen, heutzutage nicht mehr ohne Gleichstellungspolitik zu verwirklichen sind, zu dem Politikwandel geführt, den wir derzeit beobachten können.
Gleichstellungspolitik in Schweden umfasst ausdrücklich auch Väterpolitik. Wie werden schwedische Männer in den Wohlfahrtsstaat einbezogen?
Seit 1974 haben Väter dieselben Möglichkeiten wie Mütter, Elternurlaub im Anschluss an die Geburt eines Kindes oder später zu nehmen. Außerdem haben sie das Recht, die eigene Erwerbstätigkeit auf drei Viertel zu reduzieren, bis alle Kinder acht Jahre alt sind. Diese Leistungen der Elternversicherung wurden in den letzten 30 Jahren stetig ausgebaut. Aktuell stehen einem Elternpaar 16 Monate Elternurlaub (mit einem Elterngeld in Höhe von 80 Prozent des letzten Nettoeinkommens für 13 Monate und in Höhe eines einheitlichen Sockelbetrags von rund 540 Euro für drei Monate) zur Verfügung, die flexibel bis zum achten Lebensjahr des Kindes genommen werden können. Hinzu kommen 60 Tage "gelegentlicher Elternurlaub" pro Kind und Jahr für Kinder bis zum 12. Lebensjahr, die in besonderen Situationen in Anspruch genommen werden können: wenn das Kind krank ist und zu Hause betreut werden muss, für Arztbesuche, Einschulungen oder sonstige Situationen, in denen Eltern ihr Kind nicht allein lassen wollen. Männer können außerdem zehn Tage Vaterschaftsurlaub nach der Geburt eines Kindes nehmen; das tun rund 90 Prozent aller Väter. Den Elternurlaub sollen sich Vater und Mutter möglichst gleichmäßig teilen, das sah bereits das erste Gesetz von 1974 vor.
Schwedische Väter nahmen anfangs kaum Elternurlaub oder nur sehr kurz. Wie reagierte die Politik darauf?
Die Regierung startete zahlreiche Kampagnen und gab diverse wissenschaftliche Studien in Auftrag, um die Gründe für die väterliche Zurückhaltung beim Elternurlaub zu erforschen. Als diese Maßnahmen das politische Ziel einer "gleichgestellten Elternschaft" noch immer nicht in greifbare Nähe rückten, quotierte die Regierung einen der Elternurlaubsmonate, das heißt, jeweils ein Monat konnte nicht dem anderen Elternteil übertragen werden, sondern verfiel, wenn man ihn nicht in Anspruch nahm. Diese "Papaquotierung" zeigte deutliche Resultate: Innerhalb von nur drei Jahren erhöhte sich der Anteil der Väter, die einen Teil des Elternurlaubs nahmen, von 50 auf 80 Prozent. Daraufhin wurde 2002 ein weiterer Monat quotiert, mit dem erhofften Ergebnis, dass sich der durchschnittliche väterliche Elternurlaub tatsächlich verlängerte.
Seit den achtziger Jahren stehen Väter somit vermehrt im Fokus der schwedischen Familienpolitik. Dabei werden einerseits ihre "Defizite" thematisiert, das heißt ihr verbreiteter Unwille, sich auch in Taten zum politischen Ziel einer gleichgestellten Gesellschaft zu bekennen, andererseits aber auch öffentlich betont und wissenschaftlich erforscht, wie wichtig Väter für ihre Kinder sind.
Was machen die "Neuen Väter" in Schweden anders als in Deutschland?
Eigentlich gar nicht so viel. In beiden Ländern ist der Wille vieler Männer zu einer aktiven Vaterschaft in den letzten drei Jahrzehnten gestiegen. Neu gegenüber der Generation ihrer eigenen Väter ist, dass sie nicht mehr nur "Freizeitväter" sind, sondern sich auch um die alltägliche Versorgung und Betreuung kümmern. Dieser Prozess ist in Schweden allerdings weiter fortgeschritten als in Deutschland. 85 Prozent aller schwedischen Väter übernahmen Ende der neunziger Jahre einen Teil der täglichen Versorgung ihrer Kleinkinder. Der entscheidende Unterschied gegenüber Deutschland ist, dass Väter auch in besonderen Situationen Verantwortung übernehmen und dafür Abstriche bei ihrer Erwerbsarbeit machen. Sie nehmen Urlaub, wenn ihr Kind krank ist oder um es die ersten Tage in einer neuen Tagesstätte zu begleiten; sie nehmen Vaterschaftsurlaub nach der Geburt und mehrheitlich 60 bis 70 Tage Elternurlaub. Die Möglichkeiten der Elternversicherung haben schwedische Väter in den letzten 30 Jahren in zunehmendem Maße genutzt. Heute liegt der Anteil der Väter, die gar keinen Elternurlaub in Anspruch nehmen, noch bei einem Fünftel.
Haben die Regierungskampagnen also Wirkung gezeigt?
Ein von der Regierung in Auftrag gegebenes Expertengutachten kam 2005 zu dem Ergebnis, dass erst die staatlich forcierten Maßnahmen, wie die "Papaquotierung", eine neue Haltung vieler Männer hervor gebracht haben, während die jahrzehntelangen Vaterschafts-Kampagnen in Bezug auf die erwünschte Einstellungs- und Verhaltensänderung von Vätern nur wenig bewirkt hätten. Eine in Schweden lebende deutsche Journalistin sagte kürzlich, der quotierte Elternurlaub habe das gesellschaftliche Klima verändert. Familienarbeit werde nun stärker anerkannt, da viele Männer diese Erfahrung jetzt auch machen.
Wie verträgt sich Schwedens Väterpolitik mit der Gleichstellungspolitik, die sich als geschlechterneutral versteht?
Seit den achtziger Jahren wurde die Geschlechtsneutralität tatsächlich de facto durch die zunehmend forcierte Väterpolitik aufgehoben. Zwar gibt es weiterhin Politikbereiche, in denen die Geschlechtsneutralität überwiegt, etwa in der Arbeitsmarktpolitik, doch gerade in den familienpolitischen Diskussionen ging es in den letzten Jahrzehnten viel mehr um Väter als um Mütter. Der Widerspruch lässt sich vermutlich genauso auflösen wie derjenige bei uns, Frauen mit dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter zu "fördern": Es geht um das Ziel einer De-facto-Gleichstellung. Dafür sind politische Maßnahmen, die vorübergehend ein Geschlecht besonders fördern oder benachteiligen, zulässig.
Das Gespräch führte Mechthild Veil
Dr. Wiebke Kolbe arbeitet an der Universität Bielefeld und forscht unter anderem über Sozial- und Familienpolitiken im deutsch-schwedischen Vergleich. Dieses Interview ist in voller Länge soeben in der Zeitschrift Feministische Studien 1/2007 erschienen.
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