Die SPD vergreist - die Jusos werden immer weniger: Während früher gut ein Drittel der SPD-Mitglieder unter 35 waren und eine Hausmacht für den jeweiligen Juso-Vorsitzenden zählen heute nur noch 85.000 Mitglieder zu der Jugendorganisation. Ihr Vorstand hat jetzt aus der Not eine Tugend gemacht. Benjamin Mikfeld wirbt in einem Thesenpapier für mehr "Mut zu einem schlanken Verband".
Freitag: Die SPD ist nicht mehr attraktiv für die Jugend. Welche Gründe gibt es dafür in der Partei?
Benjamin Mikfeld: Die SPD hat noch nicht die hinreichenden Antworten gefunden, wie solidarische oder sozialdemokratische Politik im 21. Jahrhundert aussehen kann. Auf der einen Seite haben wir den regierungsoffiziellen Pragmatismus, der keine Leitbilder mehr entwickelt, sondern nur die gegenwärtige Krise managt, auf der anderen Seite haben wir Strömungen in der SPD, die zu stark nach hinten blicken, sowohl die klassisch industriegesellschaftlich ausgerichtete Linke aber auch die linksalternative Linke. Sie romantisieren ihre eigenen Biographien, haben aber keine schlüssigen Antworten auf einen flexibler gewordenen Kapitalismus.
Das ist eine inhaltliche Kritik. Gibt es auch strukturelle Gründe?
Ja. Die Organisation der SPD hält noch zu stark am Territorialprinzip festhält und eine starre Organisationsweise hoch, z. B. die Kultur der Ortsvereine. Das widerspricht Ansprüchen, wie junge Leute heute Politik machen wollen, und setzt zunächst einmal die Mitgliedschaft voraus, oft auch langjährige Mitarbeit. Jugendliche entscheiden sich heute nach einem Kosten-Nutzen-Kalkül. Sie fragen: "Wo kann ich meine Interessen und Meinungen eher einbringen?" und entscheiden sich dann eben oft gegen Parteien.
Könnte die Attraktivität über die Veränderung der Partei zu einer Regierungspartei noch weiter verloren gehen?
Die Gefahr sehe ich durchaus, wenn das, was in Berlin gemacht wird, nicht in mittel- und längerfristige Reformkonzeptionen eingebettet wird. Nicht alles, was wir zu Oppositionszeiten aufgeschrieben haben, ist von heute auf morgen umsetzbar. Aber es muss klar sein, dass ein politisches Konzept abgearbeitet wird, dass es zumindest Schritte gibt in Richtung einer solidarischeren, demokratischeren Gesellschaft.
Besteht die Gefahr, dass sich innerparteiliche Diskussion der Regierungsverantwortung unterordnet?
Wir werden nicht von der Regierung verlangen können, dass sie den Job der Partei erledigt. Dazu muss sie zunächst wieder konfliktfähig gegenüber der Regierung werden. Die SPD muss sich selbst in die Lage versetzen, wieder gesellschaftliche Impulse aufzugreifen und sie in die Diskussion einzuspeisen. Um die Partei als entscheidendes Bindeglied zwischen Gesellschaft und Regierungsverantwortung zu erhalten, müssen sich aber die Strukturen ändern. Gegenwärtig verwenden wir - auch wir Jusos - 70 Prozent der Energie darauf, uns um uns selbst zu drehen, und nur 30 Prozent richten wir nach außen. Interne Parteidebatten entkoppeln sich von gesellschaftlichen Diskussionen, auch weil viele neue Lebensrealitäten überhaupt keine Berücksichtigung finden. Viele, die in flexibler gewordenen Jobs sind, haben keine Möglichkeit, zwei Mal die Woche abends auf eine Parteiveranstaltung zu gehen. Da müssen wir neue Formen entwickeln.
Die Jusos waren in den letzen 30 Jahren ein Gralshüter der alten Linken. Bedeutet das Thesenpapier(*) einen Kurswechsel?
Was vor dreißig Jahren richtig war, kann angesichts der Umbruchsentwicklungen heute nicht mehr tauglich für eine sozialistische Strategie sein. Wir brauchen eine Neue Linke auf Basis einer zeitgemäßen Analyse des Kapitalismus. Ich glaube, dass in anderen Ländern wie in Italien, in Frankreich, auch was die theoretische Diskussion angeht, bessere Beiträge vorliegen. Der Kapitalismus verändert sich, und die Linke muss die Kraft sein, die solidarische Antworten darauf entwickelt. Es geht gegenwärtig nicht um die Frage: Setzen wir einen Sozialismus durch oder nicht. Die Frage ist, bekommen wir einen Kapitalismus der Shareholder-Value und des Niedriglohnsektors, oder gibt es eine Erneuerung des Wohlfahrtsstaates auf der Basis neuer Realitäten.
In dem Papier wird die Hoffnung formuliert, dass noch linke Grundwerte in der Gesellschaft bestehen. Die Betonung liegt auf Solidarität. Warum ist dieser Wert so zentral?
Wenn man sich mal die Ergebnisse der aktuellen Shell-Jugendstudie anschaut, kann man feststellen, dass junge Leute sowohl Individualität als auch Solidarität wollen und miteinander in Beziehung setzen. Sie fragen aber auch: Was bringt mir Politik für mein eigenes Leben? Den Anspruch muss man aufgreifen.
Wir stehen gegenwärtig vor der Situation, dass sich die Generation spaltet. Die Sozialdemokratie war immer dann stark, wenn es gelang, Solidarität bis weit in die gesellschaftliche Realität zu organisieren. Und da müssen wir die ausreichenden Antworten noch entwickeln.
Dennoch scheint in dem Papier ein neuer Begriff von Solidarität auf - die Beobachtung, dass sich Solidarität vereinzelt und nur noch in kleineren Gruppen lebendig ist.
Nein. Wir sind der Auffassung, dass die These vom unternehmerischen Einzelnen, vom Individuum, das sich vollkommen lösgelöst von der Gesellschaft auf dem Markt feilbietet, totaler Unsinn ist. Übergreifende Klassensolidarität existiert zwar nicht mehr, und ich bezweifle, dass sie überhaupt noch existieren kann, aber das heißt nicht, dass die Menschen egoistisch und individualistisch geworden sind. An der Art, wie sie sich im sozialen Umfeld verhalten, ist Solidarität durchaus festzustellen, und diese Ressource greift die Linke gegenwärtig nicht ausreichend auf.
Was sollen mehr Netzwerke und eine höhere Professionalisierung von Politikern, wie sie Franz Müntefering gefordert hat, da leisten?
Die Parteien müssen stärker dorthin, wo Menschen sich aufhalten und dürfen nicht länger verlangen, dass die Menschen zu ihnen kommen. Die strategische Herausforderung liegt darin, die Interessen der ModernisierungsgewinnerInnen und -verliererInnen zusammenzuführen. Die Schlüsselfrage lautet: Wie verbinden wir Individualität und Solidarität, Flexibilität und Sicherheit.
Das Gespräch führte Jörn Kabisch
(*) Das Thesenpapier "Neue Zeiten Denken" ist unter www.spd.de/jusos/aktuell abrufbar.
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