Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen

Saftplatz Es ist vorderhand nicht einzusehen, warum man die properen, prallen Früchte der Lebensmittelgattung Gemüse, jene aus dem Erdreich gewühlten oder an ...

Es ist vorderhand nicht einzusehen, warum man die properen, prallen Früchte der Lebensmittelgattung Gemüse, jene aus dem Erdreich gewühlten oder an Sträuchern gedeihenden und meist knackigen und schmackhaften Prachtsamkeiten: eigentlich außer waschen und mampfen auch noch zerhacken, zermanschen und zu Säften verwursten soll. Gleichwohl, hat es den Anschein, muss das heute immer öfter sein; eventuell als ein den siechen Handel vitalisierender Effekt der fickrigen Fitnessbedürfnisse der trendsetzenden 30- bis 49-Jährigen. Die wollen pausenlos saufen, und zwar nichts Richtiges, sondern neben isotonischem Bluff und unter bleischwerdämlichen Hantelgeräten eben niedergeknüppelte Rübenkleinodien.

Ich gebe zu: Seit ich irgendwann irgendwo, wahrscheinlich in der Bild-Zeitung und der dortigen informellen Rubrik "Studie amerikanischer Wissenschaftler beweist", die Meldung zur Kenntnis nahm, die Tomate repariere durch ihre segensreichen Ingredienzien jeden Kater, mache jede Lumperei ungeschehen und verlängere und vor allem verschönere das sowieso prächtige Dasein, bin ich nicht nur der originalen Frucht, nein: obendrein der versafteten Version erlegen, ja verfallen. Kaum ein Tag verstreicht, ohne dass ich nicht meine eineinhalb Liter wegschütte, und den mürben Schädel kuriere ich gewöhnlich per Überdosis - so heißt er vermutlich - T-Saft.

Das Bequeme und Sympathische am Tomatensaft und an den Brudermixturen: Solch schlichte Getränke kennen kaum Qualitätsschwankungen, zumindest sensorisch merkliche nicht; die Herstellung verlangt nicht über Gebühr Geschick. Wir werden mühsamer Prüfungen, Erkundungen, Abwägungen enthoben, die Last des Luxus entfällt. Jeder Griff ins Regal ist ein guter. Gewiss, der Tomatensaft des Hauses Rabenhorst, biologisch kontrolliert an sämtlichen Fronten, produziert in Willy Brandts ehemaligem Wohnort Unkel/Rhein, hebelt den frech kostendünnen A aus, derart dick-cremig und vollweich rinnt und ölt, ja schlingert er den Hals hinab. So einen A aber, den kann man sehr wohl genauso trinken, zumal der zitterzart süßlichen, wachsweich runden Konsistenz wegen. Wofür die "sonnengereiften Freilandtomaten ausgewählter europäischer Erntegebiete" gerade stehen.

Die universal und streng beachtete "schonende Verarbeitung" der armen Ursprungssubstanzen stellt die Multifunktionalität der "Getränke zu allen Mahlzeiten" sicher; man gießt sie in Wodka oder Suppen oder nimmt sie pur - was zuverlässig eine ideologiefreie Trinkbetätigung garantiert, trotz des bäurischen Hautgouts. Noch haftet den Gemüsesäften nichts Semiotisches, Überkandideltes an. Sie existieren bloß, Labsale, Erquicker, Gesundbrunnen und Ferraribrausen. Nicht stets freilich schlagen die Ökomodelle die Handelswaren. Rabenhorsts Gemüseklassiker schiebt den Sellerie und die Petersilie zu streng nach vorn, während Grünhorst-Gemüsesaft (Penny-Markt GmbH Köln), ein hochfeines Konzentrat und Konglomerat aus unter anderem der unverzichtbaren Tomate, der Paprika, dem leckren Lauch, der Kresse und der hierzulande sträflich geringgeschätzten Zwiebel, still und ohne Blasenwurf triumphiert; und mir zuweilen den T-Saft-Konsum streicht zugunsten eines fruchtfleischfeisten 0,75-Liter-Vergnügens; selbst wenn der letzte Schluck, genaugenommen kein echter Schluck mehr, wenn diese Pfütze allerweil brackig schmeckt. "Es gibt" halt "kein richtiges Leben in Flaschen." (Hermann L. Gremliza)

Mütter, die im Zuge der Schwangerschaft reichlich Karottensaft tanken, entdeckten kürzlich "amerikanische Wissenschaftler" (Bild), gebären Kinder, die lieber den salzig-gemüsigen Verlockungen denn den süßen Sauereien und fetten Schweinereien erliegen. Wohl ihnen, und wohl den Älteren, die - jammert ein Freund - auf Grund zu großer Quanten Karottensaftes gelb im Gesicht anlaufen.

Ob hier womöglich eher der traditionell beigegebene Honig die Schuld trägt und einen Zwittertrank ungünstig legiert, der lediglich sporadisch genossen sein will, möchte ich nicht entscheiden. Sollten jedoch demnächst Gemüsesäfte im Tetra-Pak und auf den flachen Trikotbrüsten der Fußballer serviert oder via Aktienemission volkswirtschaftlich nobilitiert werden, steige ich wieder aus. Dann kann mich meine Gesundheit mal gepflegt am Knie kratzen.


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