Von manchen Plakaten begrüßt uns der neueste vom Comic auf die Leinwand gekommene Super-Held mit einer irgendwie vertrauten, wenn auch etwas beängstigenden Geste: Er scheint sich auf uns stürzen zu wollen. In starker perspektivischer Verzerrung erkennt man zuallererst die bildfüllende riesige Hand, die nach einem greift, zwischen Daumen und Zeigefinger dann den relativ kleinen Kopf der grünen Gestalt und über der noch kleineren Schulter dahinter sieht man gerade noch ein paar Hochhäuser, die in Fish-Eye-Manier gegeneinander zu fallen scheinen. Die dynamische Körperhaltung erinnert an Superman; das kühne Raumdurchmessen an Spiderman, derin roter Ganzkörpermaske von den Hochhäusern herunterflog. Um was es bei Hulk geht, wird sichtba
Hulk geht, wird sichtbar, wenn man das Plakat als Vexierspiegel betrachtet, und nur ganz leicht die Perspektive wechselt: Es ist eine machtvolle Geste, mit der der grüne Mann aus dem Bild greift, eine Ermächtigung so sehr wie eine Bedrohung. Und gleichzeitig ist es eine Geste der Hilflosigkeit. Er greift nach uns wie nach einem Rettungsanker. Das ist das Besondere an Hulk, das Moment, das ihn von den anderen Super-Helden unterscheidet: die Super-Power, die ihm verliehen wird, geht mit einem Super-Kontrollverlust einher, in dem absolute Hilflosigkeit und absolute Macht fast ununterscheidbar werden.Mehr noch als die anderen Comicverfilmungen ist Hulk deshalb eine Abhandlung über Ambivalenz. Der "Hulk" führt nicht nur eine Doppelexistenz wie Super- und Spiderman, die als Superhelden etwas tun, was ihren "normalmenschlichen" Existenzen nicht möglich wäre; er muss auch nicht nur mit einem ungewöhnlichen und gleichzeitig gefährlichen Talent umgehen lernen wie die X-men; der "Hulk" erlebt seine Verwandlung als Rausch, der ihn gerade dadurch erschreckt, dass er ihn sogar genießen kann: "Was mir am meisten Angst macht, ist, dass wenn es passiert, wenn es über mich kommt, wenn ich völlig die Kontrolle verliere, dass ... es mir gefällt", heißt es in einer Schlüsselszene. Womit die Schnittstelle des Konfliktes sehr genau benannt wäre: Nur ein zivilisiertes Subjekt kann den eigenen Genuss denunzieren. Nur wer den Kontrollzwang der Zivilisation abzulegen im Stande ist, kann genießen.Das Rauschgift des "Hulk" ist die Wut. Grün und groß wird Bruce Banner (Eric Bana), wenn er wütend wird. Ansonsten besteht der Plot aus hinlänglich vertrautem Material: Bruce Banners Vater ist ein zum mad scientist verkommener Gen-Forscher, der am eigenen Kind Experimente durchführt, aus Versehen die eigene Frau umbringt und abseits der Gesellschaft immer noch seinen Visionen nachhängt. Bruce wächst bei Adoptionseltern auf und schlägt doch den gleichen Berufsweg ein wie sein Vater. Ein Strahlen-Unfall im Labor bringt hervor, was sein Vater mit ihm angerichtet hat: Der sanftmütige, fast lethargisch anmutende junge Mann verwandelt sich in Wut zum riesenhaften grünen Monster. Er wird zur Gefahr für die Gesellschaft und dementsprechend gejagt - von den Verteidigern der Ordnung, anderen ehrgeizigen Wissenschaftlern und dem eigenen Vater. Doch je wütender ihn das alles macht, desto schwieriger ist es, gegen ihn anzukommen ... Das Ende, so viel sei hier verraten, kündigt uns Hulk, die Fortsetzung an.In Gestalt des "Hulk" ist Bruce Banner eher ein Monster als ein Superheld und steht damit dem zeitweise ebenso tobenden King Kong näher als Clark Kent oder Peter Parker. Während sich das Kind in uns stets mehr mit deren "zivilen" Vertretern als mit deren Superhelden-Gestalt identifizierte, ist es bei Hulk umgekehrt. Wo der vor lauter Gefühls- und Erregungsunterdrückung fast reglose Wissenschaftler Bruce uns fremd bleibt, schlägt der zivilisatorische Rückfall, den er als Hulk erleidet, in den Bann. Mitfühlend schauen wir mit an, wie mächtig und hilflos zugleich ihn seine Wut macht. Wie bei King Kong spüren wir Verständnis und sogar so etwas wie eine heimliche Solidarität: unter uns Monstern, die wir immer mal gegen die Zwänge der Zivilisation aufbegehren.Hulk zeigt die Wut als einen Gefühlszustand, der nicht gezähmt werden kann, für den es auch nur unzulängliche Kultivierungen gibt. Es ist auch eine Wunscherfüllung, einmal so wütend sein zu dürfen; "es" herauszulassen. So beängstigend sie einerseits ist, so sehr steckt sie auch zur Nachahmung an. Es gibt wenig, vor dem man in den westlichen Zivilisationen mehr Angst hat als vor der Wut des Nachbarn, der Anderen. Mit Hulk entpuppt sich "Wut" als das zentrale Thema dieses Kinojahres, das die verschiedensten Genres durchzieht. Den deutlichsten Bezug zur unmittelbaren Gegenwart zeigte dabei die Komödie Die Wutprobe: Adam Sandler wird hier als friedfertiger Flugpassagier von der zuständigen Stewardess so lange ignoriert, bis er doch leicht die Stimme hebt. Dann weigert er sich zuzugeben, dass er sie angeschrieen hätte, und wird alsbald vom Sicherheitspersonal - "Es sind schwierige Zeiten für unser Land" - per Elektroschockpistole ruhig gestellt. Tatsächlich stellt man sich Terroristen stets wütend vor.Die Wutprobe parodiert weniger die grassierende Terrorangst als vielmehr den Eifer einer Gesellschaft, die glaubt, durch massives Bekämpfen auch der kleinen Wutausbrüche der ganzen Sozietät zum Frieden verhelfen zu können. Ein Kampf, der tendenziell überall Wut im Keimstadium ausmacht, also zur Paranoia verdammt ist - nicht umsonst stellt Jack Nicholson als Wuttherapeut fest, Zynismus sei nichts anderes als des Ärgers hässlicher Cousin. Zugleich führt die Wutprobe beispielhaft vor, dass die Tabuisierung von Wut unweigerlich Wut erzeugt. Darüber hinaus zeigt sie mit Komödienlogik, dass Wut zu Chaos führt, was, wie ja schon Brecht meinte, die beste Zeit ist.Die Angst vor der Macht von Wut, der Rage bildet auch den Stoff der Horrorvision in 28 Days Later, der vor wenigen Wochen in die Kinos kam. Hier beginnt die Katastrophe damit, dass Tierschützer Menschenaffen aus einem Labor befreien. Die Affen sind mit "Wut" infiziert. 28 Tage später gibt es auf der britischen Insel nur noch wenige Nichtinfizierte, die verzweifelt versuchen, den tobenden Gestalten mit blutunterlaufenen Augen zu entkommen, die vor allem nachts ihr Unwesen treiben. Als die "Gesunden" im Überlebenskampf sich auch nicht viel zivilisierter benehmen als die "Infizierten", muss die Hauptperson - ohne Infektion - all ihre Wut mobilisieren, um "menschlich" zu bleiben. Wie die komödiantische Wutprobe handelt auch der Horrorfilm 28 Days Later von der prekären Balance der Zivilisation, die Wut nicht ausrotten, sondern nur beherrschen lernen kann. Überlegen ist der, der freiwillig wütend sein, den Ärger aber auch wieder eindämmen kann. "Sie wollen doch nicht, dass ich wütend werde", droht am Ende Bruce Banner kokett mit Kontrollverlust in Hulk. Dass Wut eine mächtige Psychotechnik und ein hervorragendes Mittel gegen Verzweiflung ist, legt auch bald Arnold Schwarzenegger in Terminator 3 dar.Ang Lees Hulk anzusehen ist ein Vergnügen, weil man sich ergötzen kann daran, wie die Wut hier jemand Schwaches riesig, stark und überlegen macht, der Film aber zugleich diesen Machtrausch nicht feiert. Er lässt sich Zeit zu zeigen, wie schmerzvoll und wie paradox es ist, dass man Wut nicht loswerden kann, in dem man sie "rauslässt" - und führt vor Augen, dass die Psyche des Menschen eben nicht nach dem gleichen Prinzip wie die Dampfmaschine aufgebaut ist. Eher ist sie ein Perpetum Mobile, mit der Wut als unerschöpflicher Energiequelle, nicht zuletzt an Vitalität.Das Gegenstück zum "Hulk" bildet, wie kann es anders sein, eine Frau. Jennifer Conelly spielt Bruce Banners Kindheitsfreundin Betty Ross. Obwohl wie dieser ein Opfer traumatischer Erlebnisse in der Kindheit, antwortet Betty auf alle Zumutungen mit verzeihender Sanftmut. In ihr personifiziert sich die weibliche Zivilisationsaufgabe: Wut besänftigen. Ob der eigene Vater Verrat an ihr begeht, ihr Liebhaber sie verlässt oder der verrückte Wissenschaftler böse Intrigen gegen sie spinnt - sie hat Verständnis und nimmt der Wut die Spitze. Sie kann einen zur Weißglut treiben.
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