Kaum eine Künstlerin bedient die Bildzirkulation im Netz so ausdrucksstark wie die in Amsterdam lebende Katja Novitskova
Foto: Sebastien Bozon / AFP / Getty Images
Wenn diese Woche in Berlin die Art Berlin Contemporary, kurz ABC, eröffnet, fehlt eine Galerie. Joanna Kamm hat die Kunstmesse im Jahr 2008 mit gegründet. Noch immer wird sie auf der Webseite der ABC als Mitglied des Boards geführt, obwohl sie ihre Galerie nach 13 Jahren in diesem Sommer geschlossen hat.
Von den Verkäufen in der Stadt könnten die wenigsten der in Berlin ansässigen Galerien leben. Für die vielen Kunsträume gibt es hier nicht genug Nachfrage. Das liegt am überbordenden Angebot, aber auch daran, dass in Berlin die Banken und Unternehmen und deren Besitzer fehlen. Ein kunstfreundliches Großbürgertum gibt es seit den 1930er Jahren nicht mehr. Die Industriellen haben sich nach dem Krieg nach Westdeutschland verzogen. Die alte
. Die alten Reichen kommen nur ab und zu vorbei, und die neuen Reichen lassen sich erst langsam in der Stadt nieder.So haben sich viele Galeristen auf eine nomadische Existenz verlegt. Sie ziehen von Messe zu Messe, nach Basel, London, Paris, Miami oder Hongkong, um dort ihre Waren anzubieten. Die Teilnahme an vier oder mehr Messen im Jahr ist nicht nur anstrengend und ermüdend, sondern auch riskant und teuer. Reisen, Stände, Transport und Logistik verschlingen leicht sechsstellige Summen, ohne dass man auf entsprechende Verkäufe zählen kann. Zu unsicher und volatil ist die Lage geworden.Alptraum der GaleristenKünstlerkarrieren sind oft kurz, sie können nach zwei Jahren schon wieder vorbei sein. In immer kürzeren Abständen werden neue Hoffnungsträger auf den Markt geworfen. Ebenso rasch verschwinden sie, wenn die Gunst der Käufer ausbleibt. Phänomene, die seit langem aus der Modewelt bekannt sind, werfen ihre Schatten auch auf die Kunst. Mit dem Unterschied, dass der Markt um Größenordnungen kleiner ist. Denn letztlich zählen hier wenige Tausend Großkäufer. Wenn man an einen falschen Sammler gerät, an einen also, der die Arbeiten nicht hält, sondern wieder verkauft, wird die Lage für Künstler wie Galeristen riskant. Dann landen die Künstler auf dem Auktionsmarkt, für einen Galeristen ein Alptraum, denn hier entgleitet ihm die Kontrolle über die Preise. Sie können in absurde Höhen steigen, nur um in der nächsten Saison ins Nichts zu fallen. Dann rufen die Sammler an und wollen die Werke wieder zurückgeben. Rückkäufe können so teuer werden, dass Galerien daran zugrunde zu gehen drohen oder schließlich die Künstler fallen lassen.Die Fühlung zum Bürgertum und zu einer Mittelklasse, die auch nicht mehr das ist, was sie einmal war, hat die Kunstwelt ohnehin weitgehend verloren. Nicht zuletzt deshalb, weil Spitzenpreise für international erfolgreiche Bluechip-Künstler wie Andy Warhol, Jeff Koons oder Gerhard Richter sich in den letzten Jahren in ungekannte Höhen verstiegen haben. Zwar gibt es in Berlin auch nach dem Ende der Nebenmesse Preview, die sich von 2005 bis 2013 jungen, aufstrebenden Künstlern verschrieben hatte, noch eine Messe für das ambitionierte Bürgertum, die Berliner Liste. Dort bieten Provinz- und Kleingalerien in ihren Ständen allerlei Gemälde, Zeichnungen, Bilder, Kleinskulpturen und Multiples an, das meiste für unter 5.000 Euro. Es ist nicht einmal ausgeschlossen, dort Entdeckungen zu machen, aber insgesamt ist der Abstand zum globalen Finanz- und Kunstkarussell zu groß geworden.Für die Kunstszene der Stadt bedeuten ABC und Berlin Art Week nach dem Sommer den Start in die Saison. Für Künstler ist es eine Gelegenheit, ihr Werk international bekannt zu machen. Und für Galeristen eine der günstigsten Messen überhaupt, bei Standpreisen ab 4.000 Euro.Gegenüber den großen internationalen Messen wirkt die ABC wie ein heimeliger Rückzugsort. Wie jede andere Messe verspricht und versucht aber auch sie immer wieder, internationale Laufkundschaft anzulocken. Alle hoffen auf die High-Net-Worth Individuals, die im NetJet einfliegen, sich in Limousinen von der Galerie zum Privatbesuch in Künstler-Ateliers und weiter zum Gala-Dinner chauffieren lassen. Wie immer wird wohl allen Versprechungen zum Trotz wieder nur ein Bruchteil des Finanz-Adels auflaufen, der sich lieber in London, Basel und New York umschaut.Berlin ist ein Platz der Künstler, keiner des großen Geldes, wenigstens noch nicht. Deshalb wird sich auch hier der „celebritive turn“, den der Kritiker Kolja Reichert unlängst in New York beobachtet hat, in Berlin in Grenzen halten. Deutsche Promis lassen sich eher auf der Flagship-Store-Eröffnung eines Kofferherstellers blicken als auf einer Kunstmesse. Auch die in Mexiko umgehende Sitte, Selfies vor Ausstellungen zu knipsen und ins Netz zu stellen, hat Berlin noch nicht erreicht.Aus dem Netz ins NetzNoch scheint die Infrastruktur von Galerien und Messen den Markt für Kunst zu beherrschen. Doch es gibt Entwicklungen im Netz, die daran mittelfristig etwas ändern könnten. Berlin ist in jüngster Zeit zu einem der Zentren einer neuen Kunstrichtung geworden, die sich Post-Internet-Art nennt. Die Vorsilbe „Post-“ behauptet nicht, dass das Netz vorbei sei, sondern im Gegenteil, dass es zu einem allgegenwärtigen Teil des Lebens geworden ist. Als schlichte Selbstverständlichkeit prägt es sämtliche Umgangsformen, auch die der Kunst, ohne dass es deshalb noch eigens bedacht werden müsste. Darauf, dass das Internet aus unserer Aufmerksamkeit langsam verschwindet, bezieht sich der Begriff Post-Internet. Anders als die Netzkunst der 1990er Jahre thematisieren die Künstler die digitale Kultur nicht mehr als solche, sondern gehen schlicht damit um – oft auf eine unkritische und konservative Weise.Für die Künstler der Post-Internet-Szene, die sich in Berlin lange in der Times Bar beim Hermannplatz getroffen hat, sind Äußerungen im Netz oft wichtiger als in Galerien. Nicht wenige haben ihre Werke zuerst online gezeigt, später dann in Ausstellungen. Der Erfolg hat dafür gesorgt, dass mittlerweile die meisten im gewöhnlichen Galeriebetrieb angekommen sind.Doch das Netz hat in den Kunstwerken Spuren hinterlassen. Neben der Präsenz im realen Raum spielt der Net-Appeal eine mindestens ebenso große Rolle. Der amerikanische Kritiker Mario Sanchez behauptete gar, die Gemälde der neuen Generation seien nicht mehr für Wände weißer Räume gemacht, sondern um gut auf Smartphones betrachtet werden zu können.Kaum eine Künstlerin bedient die Bildzirkulation im Netz so ausdrucksstark wie die in Amsterdam lebende Katja Novitskova. Ihre Skulpturen sind Transformationsobjekte, die Motive aus dem Netz nehmen, im dreidimensionalen Raum aufstellen, um sie von dort aus wieder als Bilder in Facebook oder anderen sozialen Medien ihre Kreise ziehen zu lassen. Aufmerksamkeit erhält, was auf Webseiten wie Contemporary Art Daily gezeigt wird, auf der kuratierten Video-Plattform Vdrome läuft oder auf Facebook viele Likes findet.Der Markt hingegen ist im Netz noch nicht wirklich angekommen. Maike Cruse, die Direktorin der ABC, verfolgt die Entwicklungen im Internet aufmerksam, sieht aber derzeit noch keine Auswirkungen auf die Messe. Zwar gibt es mittlerweile eine ganze Reihe digitaler Auktions-Plattformen, von großen wie Artsy zu kleineren wie Paddle8, doch die Kundschaft überschneidet sich wenig. Auf Paddle8 findet parallel zur Berlin Art Week eine Benefizauktion für Gaza statt, die von zwei israelischen Künstlern, Dani Gal und Assaf Gruber, organisiert wird. Die zu ersteigernden Werke sind während der Woche im „Kühlhaus Berlin“ zu sehen. Das Beispiel zeigt, wie hybride Formen entstehen, in denen Ausstellungsräume, Netz-Aktivitäten, Begegnungen in der wirklichen und in der Netzwelt einander ergänzen. Es ist nicht auszuschließen, dass hieraus ein neuer Markt erwächst. Einer, der Kunst wieder ein Publikum und einen Markt erschließt, der letztlich einem intellektuellen und politischen Anspruch vieler Künstler gerechter wird als das überambitionierte Streben in die Höhen der globalen Sammler-Elite.
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