Für das Interview schlägt Salomé Balthus ein Café am Paul-Lincke-Ufer in Berlin-Kreuzberg vor. Mittags sei dort wenig los, dann habe man seine Ruhe. Sie will über die Themen Escort und Sexarbeit sprechen. Und über ihre Agentur Hetæra, die sich durch ein solidarisches und kollektiv verwaltetes Konzept auszeichnet.
der Freitag: Frau Balthus, wieso heißt Ihre Agentur Hetæra?
Salomé Balthus: Der Begriff Hetäre kommt aus der Antike und spielt auf eine Epoche an, in der unsere Tätigkeit Achtung fand. In der klassischen Antike unterteilte sich das Milieu der Prostituierten in mehrere Kategorien. Es gab zum Beispiel Straßenmädchen und Bordellprostituierte, die Sklavinnen waren. Und dann gab es die Hetären, die sich freigekauf
tituierte, die Sklavinnen waren. Und dann gab es die Hetären, die sich freigekauft hatten und selbstständig waren. Im Gegensatz zu anderen genossen die Hetären mehr Freiheiten und konnten sich frei in der Öffentlichkeit bewegen.Und wie unterscheidet sich Ihre Agentur konkret von anderen?Die meisten Agenturen verlangen eine Provision von 30 Prozent, obwohl sie vielleicht nur einen Anruf entgegennehmen – dabei sind es die Frauen, die die Leistung erbringen. Wenn eine ganze Nacht 3.000 Euro kostet, verdient die Agentur daran 1.000. Wofür eigentlich? Ich finde es besser, die Kosten für die Website und Organisatorisches zu teilen, alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam zu treffen und keine Provision zu verlangen. Es ist mir wichtig, dass wir auf einer Augenhöhe agieren, schließlich arbeite ich genauso als Escort wie die anderen. Wir sind Kolleginnen, wir machen das gemeinsam. Ich bin wie der Typ in dem besetzten Haus, der halt den Abwasch macht, obwohl ihm das Geschirr nicht gehört. Irgendjemand muss sich immer um den Abwasch kümmern.Placeholder infobox-1Gibt es denn bestimmte Voraussetzungen für eine Bewerbung? Ihre Kolleginnen entsprechen in meinen Augen schon einem sehr bestimmten Bild von Schönheit.Ich kenne Agenturen, die eine bestimmte Körpergröße oder ein Höchstgewicht verlangen – da sind wir anders. Es geht in erster Linie darum, dass die Frauen ein eigener Typ sind. Ich treffe mich mit jeder Frau einzeln und lerne sie kennen. Sie dürfen nicht ängstlich wirken oder eingeschüchtert, sondern stark und frei. Wir unterscheiden uns von anderen Agenturen, weil wir Frauen annehmen, die Individualistinnen sind. Frauen, für die das nicht ein heimlicher Nebenjob ist, sondern ein Lebensstil. Sie bringen eine gewisse Stärke gegenüber den Kunden mit, weil es für sie auch etwas ist, worüber sie sich identifizieren. Es gibt so viele verschiedene schöne Frauen. Ein Ausschlusskriterium gibt es für mich jedoch: künstliche Brüste.Wieso das?Wenn eine Frau ihren Körper künstlich manipuliert durch das Hinzufügen von Plastik-Fremdkörpern, weil sie sich sonst nicht schön findet, dann finde ich das so falsch, dass ich sagen würde: Du bist bei uns nicht richtig.Es hört sich so an, als würde man für einen Abend in eine andere Welt tauchen. Das erinnert mich an eine Performance im Theater. Lässt sich das vergleichen?Auf jeden Fall. Wenn der Kunde sich die Website ansieht, dann hat er den Wunsch, einem Wesen aus einer anderen Welt zu begegnen. Meistens fängt man auf diese Weise an und öffnet sich dann mehr und mehr. Es ist nicht so, dass man dem Mann komplett was vorspielt, es ist eine Art Spiel mit Identitäten, ein bisschen so wie Theater. Es ist der Spaß am Spiel, aber ohne den Zwang, das wirklich durchzuziehen.Fällt es manchmal schwer, in der Rolle zu bleiben?Ja, natürlich. Ich habe viel Spaß an dieser Tätigkeit. Zumal es immer wieder lustige Situationen gibt. Einmal hatte ich zum Beispiel einen Kunden, der vor Aufregung einen Schluckauf bekam und ihn nicht mehr loswurde. Jedes Mal, wenn ich angefangen habe, ihn anzufassen, ging es wieder los. Am Ende haben wir die ganze Zeit lachend auf dem Bett verbracht.Das klingt nach einem Abend, der nicht zwangsläufig auf Sex hinausläuft. Ist Escort trotzdem eine Form von Sexarbeit?Die Tätigkeiten, die vom Staat unter dem Namen Prostitution zusammengefasst wurden, sind sehr verschieden. Die Arbeit einer Domina ist völlig anders als die von einer Frau im Bordell. Wenn der Staat sagt, ich bin Prostituierte, genau wie die Frauen auf dem Straßenstrich, dann ist das keine Interpretation mit Rücksicht auf meine individuelle Befindlichkeit, sondern ein machtpolitisches Faktum. Aber genau das vereinigt uns Prostituierte über alle sozialen Unterschiede hinweg und fordert unsere Solidarität. Wir dürfen uns nicht gegeneinander ausspielen lassen!Würden Sie den Begriff Prostitution dennoch benutzen?Wenn die Gesellschaft sagt, dass ich eine Prostituierte bin, und die anderen werden diskriminiert, dann sage ich natürlich, dass ich Prostituierte bin. Ich würde auch sagen, ich wäre Jüdin, wenn ich merke, Juden werden diskriminiert. Das ist eine Frage der Haltung. Falsch und geradezu ein Unwort finde ich aber den Begriff „Zwangsprostituierte“. Frauen, die zum Sex genötigt werden, sind keine Prostituierten. Frauen, die zum Sex genötigt werden, werden vergewaltigt. Es ist eine Unverschämtheit, diese Frauen Prostituierte zu nennen. Zwangsprostitution ist ein schrecklicher Euphemismus, der dazu führt, dass diese Frauen sich noch mehr schämen und zögern, sich Hilfe zu holen.Ab dem 1. Juli 2017 müssen sich Prostituierte unter anderem persönlich in einer Datenbank registrieren lassen. Bietet das neue Gesetz mehr Sicherheit?Ein Escort kann nie absolute Sicherheit haben, so wenig wie ein Taxifahrer absolute Sicherheit haben kann, wenn er nachts allein auf der Straße mit dem Taxi unterwegs ist. Es ist verständlich, dass ein Gewerbe Regeln haben muss, aber es gibt eben auch Regeln, die so absurd sind, dass sie es praktisch unmöglich machen. Ich denke, viele Sexarbeiterinnen haben Angst, weil die Ausführungsbestimmungen bei dem Gesetz so unsicher sind. Im Gesetz steht, dass eine besondere Vorsicht zu wahren ist mit den Daten, aber es ist völlig unklar, wie das geschehen soll. Ich finde es richtig, dass es etwa denjenigen an den Kragen geht, die Sex ohne Kondom anbieten. Ich finde es auch richtig, dass Frauen offiziell das Recht haben, Honorare einzuklagen.Kann man sich aus dieser Datenbank wieder löschen lassen?Eben nein, und wenn man zum Beispiel Lehrerin werden möchte oder Betreuerin, dann kann es vielleicht dazu führen, dass man später diesen Beruf nicht ausüben kann. Da kommen viel Dinge auf uns zu, die wir nicht abschätzen können. Was passiert, wenn es den Hurenausweis gibt? Hat auch der Vermieter das Recht auf Einsicht in diese Datenbank?Einige Feministinnen plädieren für ein Verbot der Prostitution.Dass die Öffentlichkeit darüber streitet, was eine Frau tun darf, bin ich gewohnt – nicht nur als Hure, auch als Frau. Margarete Stokowski schreibt in ihrem bemerkenswerten Buch,dass Schönsein Arbeit ist, die von Frauen einfach erwartet wird. Dabei kostet es Zeit und Geld. Da kann man sich als emanzipierte Frau entweder von diesen Zwängen frei machen – was eine coole Haltung ist. Oder man sagt: Ich erfülle die Erwartungen, aber dafür müsst ihr zahlen. Der Punkt von Alice Schwarzer ist ja, dass wir eine bloße Ware seien, was mit der Menschenwürde unvereinbar sei. Doch ich bin nicht die Ware, sondern ich erbringe eine Dienstleistung. Das ist der Unterschied zwischen Ware und Produktionsmittel. Schwarzer fehlen die Denkmittel der marxistischen Dialektik. Die Frage ist, ob Frauen, die anderen Frauen sagen, was sie mit ihrem Körper machen sollen, sich Feministinnen nennen dürfen.Wie gehen Sie mit Ihrer Arbeit privat um?Ich erzähle es meinen engsten Freunden. Auch ich habe das Bedürfnis, für das gemocht zu werden, was ich bin. Manchmal bin ich überrascht, wenn ich es Menschen erzähle, die ich lang kenne und merke, dass es zu viel war. Das ist dann enttäuschend, aber ich würde es nicht rückgängig machen wollen. Ich wünsche mir eine gesellschaftliche Debatte. Sexarbeiterinnen sollten als denkende Menschen ernst genommen werden.
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