Reden ist immer besser als schießen - selbst dann, wenn die Verhandlungen auf den ersten Blick zu »nichts« führen. So deprimierend solche Gespräche auch sein mögen: In dem Moment, da statt der Politiker die Waffen sprechen, wird aus diesem »Nichts« eine verpasste Alternative zu Tod, Vertreibung, Terror und Krieg.
Krieg? Gemessen an den bisherigen militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten scheint die Vokabel überzogen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Es gibt keine rivalisierenden Supermächte mehr, die ihre nahöstliche Klientel aufrüsten, unterstützen - und eben auch bremsen könnten. Nach den Maßgaben der »neuen Zeit« verdient das, was sich derzeit im Heiligen Land abspielt, durchaus die Bezeichnung Krieg - selbst wenn es nicht zu einer groß angelegten israelischen Militäraktion kommt. Die freilich würde den gesamten Nahen Osten nachhaltig erschüttern. Denn so schlimm die Bilder von Selbstmordanschlägen, erschossenen Babys, ermordeten Familienvätern, zerstörten Häusern und abgeriegelten Gebieten auch sind - es kann noch schlimmer kommen. Die Region läuft Gefahr, hinter Camp David zurück zu fallen. Camp David 1978 wohlgemerkt - als Begin und Sadat den ägyptisch-israelischen Frieden besiegelten; genauer: den Kriegszustand beendeten und damit eine historische Wende im Nahostkonflikt einleiteten.
Ein solcher Rückfall sähe Israel in der gesamten arabischen Welt vollständig isoliert. Der jüdische Staat käme einer hochgerüsteten Trutzburg gleich, mit schweren ökonomischen und mentalen Folgen für die eigene Gesellschaft. Noch härter aber träfe es die arabischen Nachbarstaaten. Sie müssten ihre neuerliche anti-israelische Frontstellung teuer bezahlen - mit dem Verlust an außenwirtschaftlicher Integration und gesellschaftlicher Transformation. Befreit vom disziplinierenden Korsett des Kalten Krieges und dem Druck der Globalisierung ausgesetzt, wären soziale und politische Verwerfungen programmiert. Die aber würden sich ihr Ventil auch in militärischen Auseinandersetzungen suchen. Der Kleinkrieg, wie wir ihn zur Zeit in und um Palästina erleben, würde Teil einer blutigen nahöstlichen Realität.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Forderung Ariel Sharons, erst wenn die Gewalt beendet sei, könnten Israelis und Palästinenser wieder anfangen, miteinander über Frieden zu reden, geradezu absurd. Das Gegenteil ist richtig. Ohne Gespräche steigt die Eskalationsgefahr unaufhörlich an. Zumal keine der beiden Konfliktparteien eine vollständige Kontrolle der eigenen Kombattanten gewährleisten kann. Wer unter diesen Bedingungen Ruhe zur Vorbedingung für Verhandlungen erklärt, macht sich zur Geisel der Extremisten. Vielmehr muss die Devise lauten: Wir reden, egal was passiert. Dafür freilich bedarf es Vertrauen - und genau das ist in den vergangenen Monaten gründlich zerstört worden.
Jede Vermittlung - durch wen auch immer - wird hier anknüpfen müssen; energisch aber illusionslos. Wenn die Staatschefs der G 8 jetzt Beobachter einsetzen wollen, dann klingt das wie ein Punktgewinn für Arafat, der diese Forderung seit Monaten erhebt. Allein der Streit, woher die kommen sollen - Sharon lässt allenfalls CIA-Leute zu - zeigt, dass damit nur ein weiterer, fruchtloser »Nebenkriegsschauplatz« eröffnet wird. Denn: Was sollen diese Beobachter anderes tun, als »Schuldfragen« zu klären? In Hebron, wo es sie seit Jahren gibt, beschränkt sich ihre Rolle auf die eines wirkungslosen Zuschauers. Isoliert von anderen vertrauensbildenden Maßnahmen, richten solche Beobachter wenig aus. Sie sind ein Signal, mehr nicht.
Wie Vertrauensbildung konkret aussehen könnte, hat die Mitchell-Kommission festgehalten. Doch selbst dieser, vergleichsweise bescheidene Plan scheint beide Seiten im Moment zu überfordern. Der Konflikt ist zu seinen archaischen Wurzeln zurückgekehrt - dem kompromisslosen Anspruch zweier Völker auf dasselbe Stück Land. In dieser Situation bleibt äußerer Druck nahezu wirkungslos. Frieden lässt sich nicht erzwingen. Wenn es gelänge, weitere Gewalteskalationen zu verhindern und die Region so vor einem Rückfall in Isolation und Konfrontation zu bewahren, wäre viel erreicht. Das aber heißt Schadensbegrenzung durch eine Politik der kleinen Schritte, die viel Geduld braucht, keine Schuldzuweisungen verträgt und auch deshalb wenig spektakulär ist.
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