Es ist so dunkel

Theater René Pollesch und Fabian Hinrichs lassen den Schrecken der Einsamkeit über die größte Revuebühne Europas toben. Am Ende funkeln die Sterne
Ausgabe 42/2019

Einen Abend von René Pollesch und Fabian Hinrichs zu beschreiben, ist eigentlich der Horror. Voller Hoffnung ist man gerade aus dem Theater gestrauchelt, fühlt sich irgendwie erkannt, möchte aber erst einmal allen eine reinhauen, die argwöhnisch oder interessiert oder kritisch wissen wollen, was das denn bitte sei, dieses besondere Pollesch-Hinrichs-Gefühl?

„Aber das betrifft ja alle“, ist ein Satz aus Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt. Ja, dieses Gefühl hat alle 1.500 Zuschauer erfasst, die in den Friedrichstadt-Palast drängen; diesen Revuetempel, mit Shows so toll wie in Las Vegas, bei denen man jedoch befürchten muss, einen Herzinfarkt zu bekommen von dem schrecklich zuckenden Laserlicht, dem ganzen Getanze und Gehupfe. Tatsächlich hofft man bereits beim Einlass, da überhaupt lebend wieder rauszukommen: „Willkommen im Palast!“, grinsen die Türsteher verschwörerisch, als hätte man was Teuflisches gewonnen.

Zu diesem ganzen Gewese passt es dann, dass der Schauspieler Fabian Hinrichs zu Beginn ausgerechnet in dem Kostüm über die gähnende Leere der größten Bühne Europas schreitet, mit dem sich Ludwig XIV. in seinem eigenen Theater gerne als „Le Roi Soleil“, als tanzender Sonnenkönig, inszenierte, samt dem abstrusen, fontäneartigen Federpuschel auf dem Kopf.

Schlaksige Entspanntheit

Doch dann beginnt er als verlassene Sonne über die „Einsamkeit, die das ganze Leben bestimmt“, zu sprechen, und Hinrichs fragt, was das eigentlich sei, diese „Dunkelheit“, die uns umgibt, und dieser „unendliche Schmerz, dass es kein Zuhause gibt“? Am Ende des 70-minütigen Abends schwebt und kreiselt Hinrichs dann mithilfe der Revuepalasttechnik vor einem funkelnden Sternenmeer, ist nur noch eine Sonne von vielen, und verspricht dem Publikum, dabei einen Songtext der Smiths elegant streifend: „Es ist so dunkel. Aber ich kann euch sehen. Denn: Es gibt ein Licht, das niemals ausgeht.“

Zwischen diesem Anfang und Ende spannt sich indessen die große Frage des Abends auf: Wie gelingt es, verdammt noch mal, von der Jeder-ist-sich-selbst-sein-eigener-Fixstern-Vereinzelung zu einer gelingenden Verbindung mit seinem Gegenüber zu kommen, sich in der höllischen Weite dieses Weltalls irgendwie zu erkennen? Denn dass das „meistens nicht gelingt“, ist ja gerade „der Schrecken“.

In einigen Kritiken wurde bereits wieder über das angeblich weinerliche „Diskurstheater“ Polleschs genölt: der mit seiner ewigen Kapitalismuskritik und dem nervigen Individuum, das sich in der Großstadt nach Liebe sehnt. Doch solchem Gemecker fehlt der Sinn für die Sprachbilder, die Hinrichs in seiner einzigartigen Verbindung von charmanter, schlaksiger Entspanntheit und präzisem Denkvermögen auf der Bühne auslegt. Permanent drängt hinter den Worten die Gegenwart herein: „Um uns herum nur noch Wasser und Pakete.“ Ein schlichter Satz, in dem der durch die Konsumhypertrophie erzeugte Klimawandel ein Bild findet. Oder wenn Hinrichs, durchs Publikum streifend, die Geschichte eines Jungen erzählt, der sich die Pulsadern aufschneiden will, verdeutlicht das die geraubte Zukunft der nächsten Generationen: „Ich weiß nicht, wie ein sechs Jahre altes Kind überhaupt so etwas planen kann.“ Verstörend auch der Song über Wolf Biermann mit Manfred-Krug-Melodie. Hier verweist Pollesch auf die Geschichte des Prestige-Palasts der DDR, schließlich wurde Krug hier während eines Konzertes von der Stasi öffentlich geschasst, nachdem dieser sich mit Biermann solidarisiert hatte. Überhaupt diese ganze Wendegeschichte, die uns noch so bleischwer in den Knochen sitzt, wie Helmut Kohl, der „genau auf dem Platz da, da, wo du jetzt sitzt“, auf „Erich Honecker draufsaß. Und deshalb ist die DDR untergegangen“, erklärt Hinrichs einem Zuschauer. Da kreischt das Publikum vor Vergnügen. Magisch auch die riesige Showbrücke, die über die Bühne rauscht und heimlich davonfährt, wenn sich die Tänzer der Palast-Compagnie unter ihr zur Ruhe legen. Wie unbewohnbar ist die Welt eigentlich geworden, wenn selbst die Brücke kein Zuhause mehr bieten mag?

In diesen poetisch verdichteten Theaterbildern, oft von hinreißender und rätselhafter Schönheit, ist die Gegenwart fühl- und spürbar. Und es ist auch überhaupt nicht unwesentlich, nach der Bedeutung und dem Gelingen menschlicher Beziehungen zu fragen. Die Welt scheint in immer größere Dunkelheit zu sinken, Hoffnung erwächst höchstens noch aus dem, was zwischen den Menschen sein kann. Und dem Glauben an die Möglichkeit einer Erneuerung.

Für Pollesch und Hinrichs ist diese Hoffnung im Theater, auf der Bühne zu finden – und vielen Menschen scheint das etwas zu sagen. 1.500 Zuschauer und ausverkaufte Vorstellungen, um einen einzelnen Schauspieler und 27 Tänzerinnen und Tänzer zu sehen, die in ihrer jeweiligen Individualität, als viele menschliche Möglichkeiten, in Erscheinung treten. Da ist es wieder, das Pollesch-Hinrichs-Gefühl.

Info

Glauben an die Möglichkeit der völligen Erneuerung der Welt Regie: René Pollesch, Co-Regie: Fabian Hinrichs Friedrichstadt-Palast, Berlin, 23.10., 6.11., 10.11. und 27.11.2019

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