Es knirscht

Ver.di Die größte Gewerkschaft hat ein Beschäftigungsproblem

Die Außenerfolge der größten deutschen Gewerkschaft ver.di sind beeindruckend. Der erste Tarifabschluss mit den öffentlichen Arbeitgebern war trotz leerer Kassen der Gegenseite ein Erfolg. Auch für den Vorsitzenden Frank Bsirske. Die Gewerkschaft legte Flughäfen lahm. Ihrem Aufruf zu einer Demonstration gegen die Verlängerung der Ladenschlusszeiten folgten 20.000 Beschäftigte nach Berlin. Bei strömendem Regen. Gerade aus der IG Metall war nach der Gründung von ver.di die Vermutung geäußert worden, diese neue Gewerkschaft sei nicht aktionsfähig. Das Gegenteil ist der Fall.

Der Zusammenschluss aus vier unterschiedlichen Gewerkschaften des DGB plus DAG galt als Wagnis. Auf dem Weg dahin strauchelte der ÖTV-Vorsitzende. Weil die Vorsitzenden aus DAG, IG Medien und Postgewerkschaft gleichzeitig das Rentenalter erreichten, war der Zusammenschluss möglich geworden. Um Widerstände aus den eigenen Reihen in den Verbänden abzubauen, brachte jeder Vorstand die jeweils höchsten Forderungen ein: Eine Beschäftigungsgarantie für die Angestellten bis 2007, keine offenen Wahlen in den Bezirken, dafür gesetzte Funktionäre nach Verbandsproporz. Falsche Angaben über Mitgliederzahlen gehörten ebenso dazu. Einige Kassen waren matt gefüllt. Ver.di lebt zurzeit von den Vermögen der DAG und der Deutschen Postgewerkschaft. Die Mammut-Organisation hat wegen ihrer inneren sozialen Sicherungen einen Personalüberhang von über 1.500 Personen bei gegenwärtig insgesamt rund 5.200 Stellen. Und genau zwölf Prozent ihrer Organisierten sind arbeitslos. Der Kreis der Vollbeitragszahler schmilzt.

Die größte Gewerkschaft im DGB hat mit Frank Bsirske einen Vorsitzenden, der völlig neu in diesem Amt ist. Und das ist im Innern zu merken. Der Vorsitzende gilt als Alleinunterhalter, der nicht delegieren kann. Ein enger Mitarbeiter von ihm: »Der leitet die Sitzung, gibt sich das Wort zum Referat und moderiert es dann auch noch selbst.« Am 10. Oktober 2002 begründete der bisherige stellvertretende Vorsitzende Gerd Nies von der früheren IG Medien seinen Rücktritt. Die Zusammenarbeit klappe nicht, schrieb er. Es habe wiederholt »zu zahlreichen Doppelzuständigkeiten und ungeklärten Schnittstellen geführt«. Im Oktober 2001 ließ sich der politisch grüne Vorsitzende Frank Bsirske ein Gehalt von 27.000 Mark bewilligen. Für 13 Monate im Jahr. Die Kritiker meinen, damit habe er bei ver.di die Selbstbedienungsmentalität von einigen Angestellten angeheizt. Die Abteilungsleiter aus der früheren Postgewerkschaft kassierten bei der Gründung 14.000 Mark monatlich, die aus der ÖTV über 9.000 Mark, Funktionäre aus der HBV hatten aus ihrem eigenen Verband schon einen sozialen Kahlschlag hinter sich. Wer bessere Gehälter bezog, wollte sich nicht herunterstufen lassen, die anderen orientierten sich an denen da oben.

Im zweiten Jahr ihrer Existenz gibt es bei ver.di noch keine einheitlichen Vergütungen und Gehaltstarife für die Angestellten. Selbst die Arbeitszeiten sind unterschiedlich geregelt. Sitzt eine Angestellte aus der früheren HBV mit einer aus der DAG in einem Raum, so hat die aus der HBV eine Arbeitszeit von 35 Stunden, die aus der DAG aber 38,5 Stunden. Nicht nur in der teuren Berliner Zentrale am Potsdamer Platz gibt es Personalüberhänge. Auch in den Ländern sind sie ein Problem. In Nordrhein-Westfalen sind es 120 Personen, im Bereich Schleswig-Holstein mit Mecklenburg-Vorpommern 38. Gegen Versetzungen gibt es Widerstände. Über Personalabbau will der Betriebsrat nicht mit dem Vorstand reden. Es knirscht im neuen Verband. Wer 50 Jahre Gewerkschaftsmitglied ist, bekommt in Berlin nicht einmal ein Karte zur Gratulation. Als vor drei Wochen bei ver.di in Kassel eine Angestellte 25 Jahre hauptamtlich war, wurden an einem Montag schon in der Frühe die Büros geschlossen, die Hauptamtlichen feierten tagsüber in einer Kneipe. Für den Fachbereich Handel aber bestand Großkampftag zur Vorbereitung von Aktionen gegen die Verlängerung des Ladenschlusses. Betriebsräte kamen ins Haus und fanden bis auf den Bereich Handel nur verschlossene Büros. Am Rosenmontag gab es in Kassel für die Angestellten von ver.di einen halben Tag frei. Die Teilzeitkräfte, die montags nicht arbeiten, schrieben sich dafür Überstunden auf. »Wenn es uns nicht gelingt, das Experiment ver.di erfolgreich zu schultern, dann kann sich die Gewerkschaftsbewegung für 20 Jahre abmelden.« So treffend der ver.di-Funktionär Rüdiger Timmermann aus Lübeck.

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