Im Januar 1904 widersetzten sich die vom expandierenden Siedlerkolonialismus in ihrer Existenz bedrohten Herero im mittleren Landesteil des damaligen "Deutsch-Südwestafrika" einer "Schutzherrschaft" des Kaiserreichs und griffen zu den Waffen. Als die Aufständischen am 11. August 1904 nach der Schlacht am Waterberg und dank eines vom Oberbefehlshaber der deutschen Kolonialarmee erlassenen Vernichtungsbefehls (Oktober 1904) besiegt waren, entschieden sich die Nama im Süden für den antikolonialen Guerillakrieg. Sie hatten gesehen, wie unerbittlich die Deutschen vorgingen, und begriffen, vor der Fremdherrschaft gab es kein Entrinnen mehr.
Zehntausende Herero und Nama, aber auch Damara und San, ließen auf dem Gebiet des heutigen Namibia zwischen 1904 und 1907 ihr Leben
ihr Leben in Schlachten und Gefechten, in Konzentrationslagern und bei der Zwangsarbeit. Auf den Trümmern ihrer zerstörten Gesellschaften wurde ein Herrschaftssystem aufgebaut, das danach in seiner südafrikanischen Variante als Apartheid berüchtigt und weltweit geächtet wurde.Versöhnung als Leitmotiv einer späten Unabhängigkeit Bis heute, 15 Jahre nachdem Namibia 1989/ 90 als letzte Kolonie im südlichen Afrika seine Souveränität erlangte, sind die Folgen des ersten Genozids im 20. Jahrhundert spürbar, besonders die ungleiche Verteilung von Land. In der früheren "Polizeizone", der Zitadelle des deutschen Kolonialismus, ist das kommerzielle Farmland im Privatbesitz von weniger als 5.000 zumeist - aber nicht mehr ausschließlich - weißen Landwirten. Viele von ihnen sprechen noch immer Deutsch. Nicht etwa, dass sie recht üppig und ohne harte Arbeit (auch ihrer nach wie vor kärglich entlohnten Arbeiterschaft) ihr Dasein bestreiten. Farmer in Namibia - oder in "Südwest", wie manche unter ihnen auch heute noch lieber sagen - zu sein, das ist kein leichter Broterwerb und selten romantisch. Ländliche Idylle in unberührter afrikanischer Natur wird allenfalls Touristen suggeriert, die den zahlreichen Jagd- und Gästefarmen das oft dringend nötige Zubrot bescheren.Trotzdem bietet die ungelöste Landfrage eine nahe liegende Projektionsfläche, geht es um die Aufarbeitung der Vergangenheit und das "nation building", das 1989/90 unter Führung der South West African People´s Organisation (SWAPO), der "Befreiungsbewegung an der Macht", begonnen wurde. Dabei zu Tage tretende Defizite verführen manch populistischen Politiker in Windhoek zu der bequemen Methode, mittels radikaler Rhetorik alle Verantwortung an heutigen Miseren (und derer gibt es einige) noch immer und allein dem kolonialen Erbe anzulasten. Nicht, dass die historische Schuld hinfällig oder abgetragen wäre - sie fordert nach wie vor zur überfälligen Auseinandersetzung und zu symbolischen wie materiellen Taten heraus, aber die Versäumnisse der post-kolonialen Ära sind nicht nur externen Faktoren und Besitzverhältnissen geschuldet, die 1990 eine der sozial heterogensten Gesellschaften weltweit hinterließen.Über die auch von der SWAPO verursachten internen Widersprüche lässt sich allerdings dank der augenfälligen kolonialen Reminiszenzen, die weiße Farmer wecken, zumindest vorübergehend hinwegtäuschen. Sie erlauben es, eigene Verwicklungen in die heutige Eliten- und Privilegienwirtschaft zu kaschieren. Natürlich sind die kommerziellen Farmer weder Unschuldslämmer noch Opfer. Bislang haben sie in materieller Hinsicht oft wenig bis nichts im Sinne einer Versöhnung getan, die einmal als Leitmotiv der Unabhängigkeit präsentiert wurde.Vorrangig die Nachkommen der seinerzeit vertriebenen Herero und Nama haben allen Grund, sich mit Bitterkeit der vor mehr als 100 Jahren begonnenen Enteignungs- und Vernichtungsprozesse zu erinnern. Sie sind politisch marginalisiert geblieben, denn gesellschaftliche Macht wird allein von der SWAPO ausgeübt. Deren Wurzeln liegen seit den fünfziger Jahren in der Kontraktarbeiterschaft der Ovambo, die nördlich der "Polizeizone" lebten und seit den Vernichtungskriegen vor 100 Jahren mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung Namibias bilden. Dieses Arbeitskräftereservoir wurde, als die Herero und Nama weitgehend ermordet oder vertrieben waren, von den Deutschen erschlossen und später als institutionalisiertes System der Kontraktarbeit von den Südafrikanern übernommen. Nicht etwa, dass es den Ovambo unter dieser Form indirekter Herrschaft besser ergangen wäre, aber das Land als ursprüngliche Grundlage ihrer Reproduktion wurde ihnen nicht geraubt.Auch die Hauptlast des antikolonialen Widerstands können die Ovambo kaum für sich reklamieren. Folglich wird die heutige Erinnerung an den Völkermord zu Beginn des 20. Jahrhunderts von offizieller Seite eher zögerlich und halbherzig gepflegt. Gedenkmeetings der Herero steht die SWAPO-Regierung reserviert gegenüber, zumal politisch ambitionierte Herero-Traditionalisten die Landfrage auf eine Angelegenheit der Herero zu reduzieren trachten. Der konkurrierende Anspruch auf Land, wie er aus der Herkunftsregion der SWAPO laut wird, ist indes keinesfalls weniger geschichtsklitternd, sollen doch in diesem Fall historische Vorgänge durch neue Ungerechtigkeiten korrigiert werden. Wen wundert es da, dass die Regierung in Windhoek kein sonderliches Interesse an einer authentischen Rekonstruktion dessen zeigt, was vor 100 Jahren wirklich geschah.Die hohe Politik und die feine Diplomatie drücken sichDer offiziellen deutschen Position kommt diese Ambivalenz entgegen. Zwar hatte sich die alte Bundesrepublik bereits 1989 durch eine Parlamentsentschließung zu einer besonderen historischen Verantwortung für die einstige Kolonie bekannt, vorher allerdings herzlich wenig zur Unterstützung des antikolonialen Befreiungskampfes der SWAPO gegen die völkerrechtswidrige südafrikanische Besatzung beigetragen. Dieses Feld internationaler Solidarität blieb weitgehend der DDR überlassen, die dadurch bis heute in der Erinnerung älterer SWAPO-Genossen weiterhin besser gelitten ist als die BRD jener Zeiten. Seit der deutschen Einheit - im gleichen Jahr vollzogen wie die Proklamation der Unabhängigkeit Namibias - ist das deutsch-namibische Verhältnis von realpolitischer Nüchternheit geprägt, das die historischen Dimensionen als Anlass für Sonderbeziehungen nimmt. Deutschland ist größter Einzelgeber staatlicher Entwicklungshilfe, das heißt, Namibia erhält die höchste Quote von Hilfsgeldern pro Kopf der Bevölkerung. Damit soll erklärtermaßen historisches Unrecht kompensiert werden. Eine offizielle Entschuldigung gibt es freilich nicht. Die nämlich könnte von US-Gerichten, bei denen derzeit die (wenig aussichtsreiche) Privatklage einer Herero-Initiative anhängig ist, als entschädigungsrelevant ausgelegt werden. Die namibische Regierung unterstützt solche Reparationsansprüche im Übrigen nicht. Ihr ist es recht, dass dem staatlichen Fiskus die deutschen Entwicklungsgelder zugute kommen und nicht Projekten, von denen überwiegend Herero und Nama profitieren würden (von den Damara und San ist ohnehin nie die Rede). Eilfertig stimmt die Bundesregierung statt dessen der regierungsamtlichen Auffassung in Windhoek zu, wonach es keine innernamibischen Sonderregelungen geben dürfe, die ethnische Konflikte auslösen könnten. Dass die geradezu provoziert werden, wenn historische Tatbestände völlig unbeachtet bleiben, fällt unter den Tisch.Auch sah die Bundesregierung 15 Jahre lang keinen nennenswerten Handlungsbedarf in Sachen Landreform. Schon gar nicht, was die Bereitstellung von Mitteln zum Erwerb von Farmen durch die Regierung Namibias nach dem zur Grundlage erklärten (und damit der Wahrung kolonialer Besitzverhältnisse verpflichteten) Prinzip "(frei-)williger Verkäufer - williger Käufer" betraf. Das mochte einen nachvollziehbaren Grund in dem unausgesprochenen, aber keinesfalls unberechtigten Misstrauen haben, dass der Landerwerb gerade nicht landlosen Unterprivilegierten zugute kommen könnte, sondern Funktionsträgern in politischen oder staatlichen Ämtern (in Namibia wie anderswo in der Region aufgrund ihrer Selbstbereicherungsgelüste "fat cats" genannt). Offen benannt wurde dieses Ressentiment nicht, geschweige denn ein Modus angeregt, der dies hätte verhindern können. Die hohe Politik und die feine Diplomatie drückten sich lieber, einen konstruktiven Beitrag zu einer notwendigen politischen Debatte zu leisten.Stattdessen wurde im Juni 2004 aus Anlass der 100. Wiederkehr des Völkermords ein neuerlicher Bundestagsbeschluss gefasst, der kaum über die wohlfeilen Bekundungen von 1989 hinaus geht. Eine Entschuldigung kam unter den wachsamen Augen des Außenministeriums darin erneut nicht vor. Die im ursprünglichen Entwurf enthaltene konkrete Verpflichtung zur Hilfe bei der Landreform wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) vorsorglich wieder gestrichen, bevor der Antrag passieren durfte. Es waren dann prompt Abgeordnete der CDU, die den Text ob seiner Unverbindlichkeit kritisierten. Einzig der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele hatte als einer der Antragsinitiatoren aus der rot-grünen Koalition die Ehrlichkeit, in der auf eine halbe Stunde befristeten parlamentarischen Aussprache vor gelichteten Reihen enttäuscht zu Protokoll zu geben: er hätte sich diesen Entschluss anders gewünscht.Die Langfassung dieses Textes finden Sie im INKOTA-Brief 129, September 2004 (Preis: 3,- Euro). Bestelladresse: inkota-brief@inkota.de, Tel. 030/4289111. Der Autor kam 1967 als Sohn deutscher Einwanderer nach Namibia, trat dort 1974 der SWAPO bei und leitete 1992 bis 2000 die Namibian Economic Policy Research Unit (NEPRU) in Windhoek. Er ist seither Forschungsdirektor am Nordiska Afrikainstitutet in Uppsala/Schweden.
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