Eskalation

Kommentar Zwei Kriege in Nahost

Fast jeden Tag kommt es in Palästina und Israel zu neuer politischer Gewalt. Das böse Wort Krieg wird allseits vermieden, doch es ist einer, wenn auch mit niedriger Intensität. Eigentlich aber handelt es sich um zwei parallele Kriege: den mit Sprengstoff, Panzern und anderen Waffen geführten, und einen Krieg um die Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit. Die militärische Seite des Krieges zieht wegen des Blutvergießens und der dramatischen Bilder die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Gerade dort allerdings ist die Lage geklärt: Israel ist klar überlegen und kann den Krieg militärisch nicht verlieren.

Der politische Krieg verläuft etwas komplizierter, obwohl sich auch dort die Gewichte immer mehr zugunsten Israels verlagern. Vor allem Washington - und das ist entscheidend - nähert sich der Position Sharons immer weiter an, nachdem man zu Beginn der neuen Eskalationsrunde zunächst größere Distanz wahrte. Auch in der Öffentlichkeit zeigt sich eine Tendenz, die palästinensischen Attentate für das eigentliche Problem, und die israelischen Angriffe für "Vergeltung" zu halten. Diese Wahrnehmungsfrage ist das entscheidende Schlachtfeld des Konfliktes: hier wird sich die Zukunft der Region entscheiden.

Der Krieg- das gerät immer mehr in Vergessenheit - wurde vom jetzigen Ministerpräsidenten Sharon durch seinen Besuch auf dem Tempelberg bewusst ausgelöst. Nicht Israel ist von Palästina besetzt, keine palästinensischen Soldaten halten Tel Aviv unter Kontrolle, sondern umgekehrt: israelische Panzer stehen in Ramallah und Nablus, Yassir Arafat wird faktisch unter Hausarrest gehalten. Und während israelische Kampfflugzeuge und Hubschrauber die palästinensischen Polizeiposten bombardieren, beklagt man sich darüber, dass genau diese Polizei Israel nicht schütze. Was dann zum Grund weiterer Bombardierungen erklärt wird.

Drei Probleme sind für die gegenwärtige Katastrophe verantwortlich: erstens die Politik Sharons, die wohl letztlich auf den "Transfer" der Palästinenser (also ihre Vertreibung) zielt. Nur so ergibt seine Konfrontationspolitik einen Sinn. Zweitens die Politik Präsident Bushs, die Sharon einen Blankoscheck ausstellt. Es gibt gute Gründe, diese Politik mit der schwedischen Außenministerin für "idiotisch" zu halten. Und drittens das folgenlose Gerede der EU-Staaten, die zusehen, wie ihre Hilfsprojekte in Palästina in Schutt und Asche gelegt werden - und es bei verbalen Erklärungen bewenden lassen. Die palästinensische Autonomiebehörde ist inkompetent, korrupt und repressiv, keine Frage. Und die Attentate von Palästinensern auf israelische Zivilisten sind verbrecherisch. Aber all dies sollte uns nicht daran hindern, die gleichen Maßstäbe an beide Seiten anzulegen - ohne Ursachen und Folgen der gegenwärtigen Eskalation zu verwechseln.

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