EU-Recht im Ausnahmezustand

Im Gespräch Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Andreas Fisahn über Konjunkturprogramme, Staatshilfen für Unternehmen und den europäischen Wettbewerbskanon

FREITAG: Wird das EU-Wettbewerbsrecht durch mögliche Liquiditätshilfen der Bundesregierung für deutsche Unternehmen verletzt, die wegen der Rezession ins Schleudern kommen? Im Prinzip handelt es sich doch dabei um eine Subvention.
ANDREAS FISAHN: Den Begriff Subvention kennt das EU-Wettbewerbsrecht nicht, es spricht in solchen Fällen von Beihilfen. Im Artikel 87 des geltenden EG-Vertrages heißt es, dass Beihilfen unzulässig sind. Um genau zu sein, zitiere ich: "Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar."

Wettbewerbsverfälschung soll auf jeden Fall vermieden werden ...
...genau, danach dürfen vom Staat an Unternehmen grundsätzlich keine Beihilfen gezahlt werden. Aber Artikel 87, Absatz 3 des gleichen Vertrages spricht von Ausnahmen, die mit dem Gemeinsamen Markt als vereinbar angesehen werden können. Mit anderen Worten, es handelt sich um keine Muss-Vorschrift. Die letzte Entscheidung liegt bei der EU-Kommission. Lassen Sie mich der Vollständigkeit halber noch sagen, es gibt auch Artikel 87, Absatz 3b. Danach gelten Ausnahmen für Beihilfen "zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse" und - jetzt kommt das Entscheidende - "oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats".

Wer befindet darüber, ob eine solche Störung vorliegt?
Darüber entscheidet die EU-Kommission, die sich im Bedarfsfall auf die von ihr selbst beschlossene "Leitlinie der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten" beruft. Passt schon vom Titel her wie die Faust aufs Auge.

Wie war das bei den jüngst von vielen EU-Staaten gegebenen Liquiditätshilfen für angeschlagene Banken?
Die Bürgschaften für die Banken fielen natürlich ebenso unter die Beihilfe-Regelung. Da hatte die Kommission von Anfang zu verstehen gegeben, sie wolle großzügig sein. Bei Automobilunternehmen wie Opel oder anderen ist es allerdings schwieriger, weil die Mitbewerber nicht benachteiligt werden dürfen und keine Wettbewerbsverzerrungen stattfinden dürfen. Opel könnte daher zu Ausgleichsmaßnahmen verpflichtet werden, Kapazitätsabbau zum Beispiel.

Ist es mit dem EU-Wettbewerbsrecht vereinbar, wenn nationale Konjunkturprogramme aufgelegt werden, die ja auch einzelnen Branchen und Firmen zugute kommen können?
Das können gleichfalls Beihilfen sein. Es ist dann eben die Frage, was genau getan wird. Steuererleichterungen, wie sie die Bundesregierung ansteuert, sind natürlich keine Konjunkturprogramme, also auch keine Beihilfen. Konjunkturprogramme sind heute eher mit Blick auf das berühmte Defizitkriterium, die Verschuldensobergrenze problematisch, an der auch Deutschland immer herumlaviert.

Es wird auch über Investitionsprogramme geredet.
Ja, das könnten Beihilfen sein, weil damit Unternehmen gefördert werden. Andererseits darf der Staat natürlich Investitionen tätigen - zu bestimmten Zeiten unter Umständen mehr als gewöhnlich. Auch bei den berühmten drei Prozent Verschuldungslimit beim Staatshaushalt sieht die Kommission derzeit nicht so genau hin. Es ist sozusagen der Ausnahmezustand ausgerufen, das ganze EU-Recht ist in seiner grundsätzlichen Zielbestimmung derzeit mehr oder weniger aufgehoben oder besser: aufgeschoben.

Das Gespräch führte Lutz Herden

Andreas Fisahn lehrt als Professor an der Universität Bielefeld Öffentliches Recht.

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