Über vier Jahre nach dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien und der Abtrennung des Kosovo von dessen Staatsverband beginnen am 14. Oktober in Wien erstmals wieder Direktverhandlungen zwischen serbischen und kosovo-albanischen Politikern - geleitet von Harri Holkeri, dem Chef der UN-Verwaltung im Kosovo (UNMIK). Ausgeklammert bleibt die Frage nach dem künftigen völkerrechtlichen Status des laut UN-Resolution 1244 (Juni 1999) nach wie vor zum heutigen Serbien-Montenegro gehörenden Protektorats. Miroljub Labus war bis zum Frühjahr jugoslawischer Vizepremier. Nach dem Sturz Slobodan Milosevics im Herbst 2000 zählte der Wirtschaftsprofessor zu den Gründern des Think Tanks G17, der 2002 zur Partei G17 Plus mutierte - mit Labus als Vorsitzendem.
FREITAG: Wenn in Wien nicht über den endgültigen Status des Kosovo verhandelt wird, müsste das Thema dann nicht endlich auf die Agenda der internationalen Gemeinschaft kommen?
MIROLJUB LABUS: Seit dem Sturz Milosevics hat sich in Belgrad die Auffassung durchgesetzt, dass eine Lösung nur auf dem Verhandlungsweg erreicht werden kann, ohne dass vorhandene Grenzen in Frage gestellt werden. Das ist schon ein großer Fortschritt - deshalb begrüße ich zunächst einmal den jetzigen Dialog zwischen Belgrad und Pristina. Ein notwendiger Ausgangspunkt, um später über die Statusfrage verhandeln zu können. Eine Langzeitlösung für das Kosovo allerdings wird es wie für die anderen Staaten des westlichen Balkans nur innerhalb einer EU-Integration geben.
Was muss man sich darunter vorstellen?
Ich gehe davon aus, dass eine wie auch immer geartete Form von Protektorat noch über Jahre bestehen wird. Nur so können grundlegende Standards durch die demokratisch gewählten Institutionen im Kosovo gesichert werden. Die EU sollte sich dabei aktiv für die Aufnahme des Kosovo in ihre Strukturen einsetzen.
In Belgrad wird immer wieder eine territoriale Lösung angedeutet, die ein Junktim sein könnte: Wird ein Anschluss der bosnisch-serbischen Republika Srpska an Serbien akzeptiert, werde man auf das Kosovo verzichten.
Meine Position in dieser Frage ist unzweideutig: Es dürfen keine neuen Grenzen gezogen werden.
Warum nicht?
Weil das alle Bestrebungen bosnischer Politiker unterlaufen würde, die gesamtstaatlichen Strukturen in diesem Nachkriegsland zu stärken. Sollte Bosnien eines Tages in die EU aufgenommen werden, spielen Grenzen von ganz allein keine große Rolle mehr.
Nicht nur im Kosovo, auch in Mazedonien versuchen separatistische Kämpfer der Albanischen Nationalarmee (AKSH) derzeit erneut, Grenzen zu revidieren: Mit militärischer Gewalt soll dem Zusammenschluss aller albanischen Siedlungsgebiete Vorschub geleistet werden.
Es ist leider so, dass dadurch die Sicherheitslage in der Region erheblich beeinträchtigt wird. Ich bin dennoch der Meinung: Das muss am Verhandlungstisch geklärt werden - unter Ausschluss von Grenzverschiebungen.
Im Sommer kam es zu zahlreichen Übergriffen auf Angehörige der serbischen Minderheit im Kosovo. Politiker der Sozialistischen und der Radikalen Partei fordern deshalb mehr Einfluss Belgrads auf die einstige südserbische Provinz.
Das Wichtigste sind nicht besondere Beziehungen des Kosovo zu Belgrad, sondern die ungeklärten Sicherheitsfragen. Sehen Sie, im Kosovo existieren zwei Parallelgesellschaften, und auch wenn sich die Mehrheit der Politiker verbal für den Erhalt einer multiethnischen Gesellschaft einsetzt, geht der Trend in die entgegen gesetzte Richtung.
Werden sich die Serben unter diesen Bedingungen gesamtstaatlichen Strukturen im Kosovo unterordnen?
Wenn sie sich sicher fühlen, ist damit zu rechnen. Das kann nur durch einen lokalen Autonomiestatus oder durch Schaffung einer Entität garantiert werden, die genügend Macht besitzt, um über Themen wie lokale Polizei, Erziehung und Gesundheit selbst zu entscheiden. Dabei handelt es sich nicht um zentrale Machtbefugnisse, die sollen bei den gesamtstaatlichen politischen Institutionen verbleiben.
Mit anderen Worten - irgendwann werden Polizisten aus Belgrad oder Novi Sad in die serbischen Enklaven des Kosovo entsandt.
Nein. Was wir brauchen, sind gemischte Patrouillen aus Kosovo-Serben und -Albanern, die nach rechtsstaatlichen Kriterien arbeiten. In Bosnien ist es nach dem Krieg doch auch gelungen, die verfeindeten Parteien zum Aufbau effizienter lokaler Polizeikräfte zu bewegen. Im Kosovo ist das leider nicht der Fall. Da auch die UNMIK keine ausreichende Sicherheit garantiert, müssen wir uns dieser Frage einfach annehmen. Der Punkt ist aber nicht, dass wir darüber nachdenken, eine wie auch immer geartete Kontrolle über das Kosovo zurück zu erlangen. Diese Zeiten sind vorbei. Es geht darum, die Rechte der serbischen Bewohner des Kosovo zu schützen - ihre Rechte als Bürger, und nicht nur als Serben.
Befürworten Sie mit Ihrer Position nicht den Aufbau eines Parallelstaates im Kosovo?
Keineswegs, uns geht es nicht um den Aufbau paralleler staatlicher Strukturen. Was wir anstreben, ist lediglich eine starke Dezentralisierung.
Neben der Kosovo-Frage sorgt auch das strittige Verhältnis zwischen Serbien und Montenegro für Verzögerungen beim Abschluss eines Assoziierungsabkommens Belgrads mit der EU - dem ersten Schritt zur Integration in die Union.
Es ist sicherlich richtig, dass die ungelösten Verfassungsfragen den Integrationsprozess Serbiens in die EU-Strukturen immer wieder verlangsamen. Ziel unserer Politik bleibt dennoch beides: Schutz für die Rechte der serbischen Minderheit im Kosovo sowie Aufnahme in die EU.
Das Gespräch führte Markus Bickel
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