Eure Scheißegal-Haltung

Wahl in Sachsen Warum es in Sachsen mehr Rechte als Sozialdemokraten gibt
Ausgabe 36/2014

Ich bin wütend über das Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen. Wütend, weil die Hälfte meiner Landsleute es am vergangenen Sonntag nicht für nötig hielt, ihre Stimme überhaupt abzugeben. Und wütend, weil von denen, die es getan haben, so viele rechte Parteien gewählt haben. Lebe ich ernsthaft in einem Bundesland, in dem es mehr Nazi-Anhänger als Sozialdemokraten gibt?

Nun wird wahrscheinlich wieder häufiger die Rede von Sachsen als Dunkeldeutschland sein. Von einem ostdeutschen Bundesland, in dem es ein strukturelles Problem mit Rechtsextremisten gibt und eine unfassbare Naivität, wie gefährlich es ist, seine Stimme Parteien zu geben, für die dann doch nicht alle Menschen gleich sind. Das nervt. Aber es nervt besonders, weil es stimmt.

Wenn eine Hälfte der Sachsen nicht und die andere rechts wählt, dann frage ich mich: Ticken die noch richtig? Denn so ein Ergebnis kann man nicht nur darauf zurückführen, dass das Angebot der sogenannten etablierten Parteien schlecht wäre. Ja, es stimmt: Die sächsische CDU hat in den vergangenen Wochen alles dafür getan, den Wahlkampf nicht brisant werden zu lassen. Aber trotzdem gab es Angebote. Und Themen, die eben nicht wie viele der Brüsseler EU-Beschlüsse weit weg sind, sondern vor Ort eine wichtige Rolle spielen.

In Sachsens Kitas gibt es einen der miesesten Personalschlüssel der Bundesrepublik. Ein Lehrermangel, der seit Jahren nur noch größer wird, lässt befürchten, dass wir die längste Zeit Spitzenergebnisse bei Pisa & Co eingefahren haben. Man hätte auch über die Frage sprechen können, ob wir hier im Freistaat lieber weiter an unserem Ruf als Sparweltmeister arbeiten wollen und unsere Universitäten deshalb ganze Fachgebiete schließen müssen oder ob wir uns doch wieder ein paar Polizisten mehr gönnen sollten. Bedarf gäbe es schließlich. Stattdessen aber hat die Hälfte der Menschen der Politik hier den Mittelfinger gezeigt.

Wann werden sich meine Landsleute endlich von der Vorstellung verabschieden, dass Politiker ihnen so sympathisch sein und Wünsche so hundertprozentig erfüllen müssen, dass sie sie adoptieren oder heiraten wollen? Politik ist Kompromiss. Das ist lahm, das nervt, ist aber so. Die vielen Wählerversteher, die jetzt meinen, die Schuld für dieses Wahlergebnis liege bei dem unzureichenden Angebot der Politiker, wollen eins nicht sehen: Es geht in Sachsen nicht primär um Protest oder Widerstand.

Es geht um eine ziemlich weit verbreitete Scheißegal-Haltung und ein Unverständnis, wie Demokratie funktioniert. Ein Wahltermin am Ende der Sommerferien mag Mist sein, aber kein Argument, nicht mitzuspielen. Aber so ist das hier oft: Man geht nicht zu Wahl, wie man nicht zum Elternabend erscheint. Man spendet nicht und hat keine Zeit für ein ehrenamtliches Engagement. „Für mich macht doch auch keiner was“, lautet die Standardbegründung. Wie oft ist die Rede davon, für dieses oder jenes sei man „89 nicht auf die Straße gegangen“? Inzwischen frage ich mich: Wofür seid ihr eigentlich auf die Straße gegangen?

Mag sein, dass man im Westen uns Ossis oft nicht versteht. Dass man dort Lebensleistungen, die man nicht kennt, zu wenig würdigt. Sich nicht um jene Realität schert, in der ein großer Teil der ehemaligen DDR-Bürger und heutigen Ossis lebt. Aber das kann nicht die Begründung für das Ergebnis dieses Sonntags sein. Denn das bleibt eine Schande.

Susanne Kailitz lebt in Dresden

Eine Analyse der Sachsen-Wahl von Julian Heißler

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