Europa misstmit zweierlei Maß

Im Gespräch James Kaberebe, Generalstabschef der Armee Ruandas, über die Unbesiegbarkeit des Krieges im Osten des Kongo

FREITAG: Die Rebellenarmee des Tutsi-Generals Laurent Nkunda stand wenige Kilometer vor Goma und hielt bereits den Flughafen. Warum hat sie sich plötzlich wieder zurückgezogen?
JAMES KABEREBE: Weil der Druck zu groß war. Einmal von internationaler Seite, wegen der Flüchtlinge, aber auch innerhalb der Afrikanischen Gemeinschaft. Und vielleicht wollte General Nkunda die Stadt Goma auch gar nicht einnehmen und hatte nicht damit gerechnet, dass die kongolesische Armee so durchlässig ist. Goma zu erobern, hätte für ihn massive Probleme herauf beschworen - sowohl militärisch als auch humanitär - und ein großes Chaos ausgelöst. Nicht einmal seine Sympathisanten in Goma wollten ihn dort sehen.

Warum ist der Ostkongo nicht zu befrieden?
Ehrlich gesagt, frage ich mich das auch. Man kann nun weit ausholen und über Rohstoffe, den internationalen Klüngel, Wirtschafts- und Machtinteressen reden. Das alles spielt gewiss eine Rolle. Und das nicht nur im Ostkongo, auch in anderen Gegenden dieses Landes. Im Norden sowie in der Provinz Bas-Kongo, überall dort gibt es Rebellengruppen, von denen die Regierung bekämpft wird. Letztlich ist die Antwort simpel: es mangelt am politischen Willen, Lösungen zu finden.

Wer müsste die finden?
Zuallererst die kongolesische Regierung, aber leider ist Joseph Kabila ein schwacher Präsident.

Warum?
Unter anderem, weil er zu wenig tut für sein Land. Sehen Sie sich doch die Zustände an. Keine anständigen Straßen, keine Infrastruktur, keine funktionierende Zivilgesellschaft. Darüber hinaus gibt es in Kinshasa und auch im Ausland zu viele Interessengruppen, die kein Ende des Krieges wollen. Entscheidende Fäden werden im Ausland gezogen.

Wo dort?
Auch in Europa.

Zum Beispiel?
Man muss sich nur vor Augen halten, woran alle Friedensabkommen bislang gescheitert sind. Daran, dass sie nicht umgesetzt wurden, weil das - vielleicht - zu einem Ende des Krieges geführt hätte. Nehmen Sie nur die FDLR, die bewaffnete Formation der aus Ruanda eingesickerten Hutu-Extremisten. Die wird nicht aufgelöst, weil die kongo­lesische Regierung daran kein Interesse hat und stattdessen die FDLR liebend gern im Kampf gegen Nkunda nutzt. Auf Frieden ist auch Frankreich nicht erpicht. Dort hofft man offenbar immer noch, Ruanda schaden zu können. Um nochmals auf Ihre Ausgangsfrage zurück zu kommen: Zunächst einmal braucht der Kongo eine andere Regierung. Aber das scheint ein frommer Wunsch.

Wann sind die nächsten Wahlen?
Erst 2011.

Woher kommt der Erfolg von Nkunda? Er kämpft mit 4.000 Mann gegen 25.000 Soldaten der kongolesischen Armee sowie 17.000 Blauhelm-Soldaten. Müsste es nicht ein Leichtes sein, ihn zu besiegen?
Nkundas Männer sind im Gegensatz zu allen anderen diszipliniert - die kongolesischen Streitkräfte dagegen in einem verwahrlosten Zustand. Und die Blauhelm-Soldaten sind mehr damit beschäftigt, ihren eigenen Rohstoffhandel aufzubauen. Nkunda kann auch deshalb überleben, weil er aus dem Ausland gestützt wird. Es gibt viele reiche Exil-Kongolesen. Und es gibt andererseits auch Kräfte in Kinshasa, die auf Nkundas Seite sind. Offiziere laufen zu ihm über, weil sie den Zustand der Armee nicht mehr aushalten.

Und die Hilfe aus Ruanda?
Wir unterstützen Nkunda nicht. Sehen Sie doch, wofür er kämpft. Er kämpft für die Kongolesen und die Sicherheit der Tutsi im Kongo - er kämpft nicht für ruandische Ziele, die wir im Übrigen auch selbst erreichen können. Dafür brauchen wir ihn nicht, und er braucht uns nicht. Seine Stärke besteht darin, dass er bereit ist, für seine Überzeugungen zu sterben. Der Erste, dem man nachsagen sollte, er unterstützt Laurent Nkunda - das ist der kongolesische Präsident Kabila. Je mehr er Nkunda bekämpft, desto mehr wird Nkunda kämpfen.

Ist es denn wirklich ein Kampf für die Kongolesen oder nicht eher für die eigene Sache?
Nkundas Ziele sind nicht falsch. Er will, dass die Regierung sich des Landes annimmt. Er kämpft für Ideen, an die er glaubt. Das ist eine ehrenwerte Sache. Auch wir haben für unsere Ziele gekämpft - auch wir waren während des Völkermordes von 1994 bereit, für unsere Überzeugungen zu sterben. Wenn man nicht bereit ist, für eine Sache zu sterben, dann ist man es auch nicht wert zu leben. Im Gegensatz zu Europa kämpfen die Menschen hier nicht um Luxusgüter, sondern um ihr Überleben.

Der UN-Sicherheitsrat will die Friedenstruppe für den Ostkongo, die MONUC, um 3.000 Mann aufzustocken. Hilft das?
Die MONUC ist ein vollkommen überflüssiger Verein. Sie schadet mehr, als dass sie nützt. Wenn 17.000 Mann es nicht geschafft haben, für Ordnung und Frieden zu sorgen, wie sollen das 20.000 erreichen?

Woran liegt es, dass die MONUC hier in Ostafrika so negativ gesehen wird?
Weil sie Soldaten rekrutiert, die aus ihren eigenen Heimatländern kein Verständnis mitbringen, was Schutz und Freiheit überhaupt sind. Weil sie sich in allem zurückhalten. Es ist eine Frage des Charakters, den solche Friedenstruppen haben ­­- und des Charakters der UN. Wenn sich die Jungs nur selber beschützen wollen, wie sie das vorrangig tun, warum bleiben sie dann nicht in Indien und Bangladesch, wo ihnen das leichter fallen dürfte als hier?

Im Gegensatz zu Europa kämpfen die Menschen hier nicht um Luxusgüter, sondern um ihr Überleben

Sollte die MONUC abgezogen werden?
Von mir aus können die bleiben und noch 3.000 Soldaten herholen.

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Sie meinen, welche Lösungen?

Zum Beispiel.
Wir haben schon alles ausprobiert. Wir hatten die Goma-Konferenz, die Nairobi-Friedenskonferenz und andere Meetings. Nichts davon hat uns einen Schritt weiter gebracht. Wenn man sieht, wo wir jetzt stehen, war jeder Versuch obsolet - die Gewalt blieb uns stets erhalten.

Wenn Sie keinen Ausweg sehen, mit welcher Entwicklung rechnen Sie?
Es gibt keine schnelle Lösung, schon gar keine militärische. Es muss etwas auf politischer Ebene passieren Die kongolesische Regierung muss Verantwortung übernehmen, Gespräche mit allen führen und dabei keine der Kriegsparteien ausschließen.

Welche Rolle sollte Europa im Kongo-Konflikt spielen? Es wird über eine EU-Einsatztruppe nachgedacht. Würde das helfen?
Ach, Europa. Wir haben doch im Fall unserer Protokollchefin Rose Karbuye (s. Freitag 47/08) gesehen, dass Europa nicht einmal in der Lage ist, einen zwielichtigen Haftbefehl außer Kraft zu setzen. Europa misst mit zweierlei Maß. Eines für sich selbst und eines für Afrika.

Das Gespräch führte Andrea Jeska

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