Ex-Dissident und Ex-Präsident

Kommentar Havels Abschied

Dieser Václav Havel hat nicht getan, was er bei seiner ersten Wahl zum Präsidenten der damals noch Tschechoslowakischen Republik am 29. Dezember 1989 versprach. Er ist nicht Politiker geworden, um schon bald wieder Schriftsteller sein zu können. Er hat das politische Amt nicht als Bürde auf Zeit genommen, sondern erkennbar Gefallen an seiner Zeit als Präsident gefunden, die ihm Bürden des Schriftstellers ersparte, wie sie politische Umbrüche bereit halten. Ging damit ein Revolutionär auffallend schnell an die Restauration verloren? Es mag sein, dass Havel eine solche Frage Unrecht tut und nur deshalb entsteht, weil im Westen die Neigung viel gilt, Dissidenten aus dem Osten als Revolutionäre zu verklären, solange sie nur den richtigen antikommunistischen Schneid haben. Dem wurde Havel schon deshalb kaum gerecht, weil er sich zwar stets als "nichtkommunistischen Intellektuellen" sah, nicht aber als antikommunistischen Pharisäer in die Pflicht nehmen ließ, womit er vielen, bis heute ungebrochenen Berufsrevolutionären des Jahrgangs 89 nicht einmal das Wasser reichen wollte. Allerdings dekretierte auch er, was Amt und Zeitgeist nahe legten, und unterschrieb 1991 ein "Lustrationsgesetz", das Mitarbeiter im Staatsdienst der ehemaligen C?SSR und des KP-Apparates für fünf Jahre aus öffentlichen Ämtern verbannte und bei Zahlung einer Kaution die politische Überprüfung einer beliebigen Person auf Antrag erlaubte. Havel hatte sich zuvor zum "unauffälligen Wächter der politischen Kultur" erklärt, die dank jenes Gesetzes um Verunsicherung und Angst bereichert wurde.

Der "Wächter" wurde zum Anwalt der politischen Kultur, als er später den neuen Prager Transformationsadel um den damaligen Premier Václav Klaus in die Schranken wies und darauf bestand, dass politische Integrität nicht notgedrungen dort enden muss, wo das Regieren beginnt. Aber als Herr auf der Prager Burg regierte Havel notgedrungen hoch oben über den Köpfen: Die von ihm erhoffte neue Bürgergesellschaft war spätestens gescheitert, als Milliarden Kronen aus der sogenannten Kupon-Privatisierung auf rätselhafte Weise in Banken und Unternehmen verschwunden blieben, die Revolution ihre wirtschaftlichen Pfründe fraß und die Entstaatlichen einer Volkswirtschaft in die Enteignung eines Volkes mündete. Als Havel ab 1993, nachdem die Slowakei aus dem gemeinsamen Staat ausgeschert war, nur noch die Tschechische Republik präsidierte, ging mit einer Konjunkturkrise der Nimbus des "Musterschülers" der Transformation verloren.

Und der Weg nach Europa, den er ebnete? Der führte über die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997, die vor allem um eine ausgeglichene Verteilung von Schuld und historischer Verantwortung zwischen Tschechen und Deutschen bemüht war und die Bereitschaft zur Aussöhnung als europäischen Reifetest empfahl. Als ob die Tschechoslowakei nicht immer ein europäischer Kulturstaat gewesen wäre, den allein deutsche Barbarei zwischen 1938 und 1945 zerstört hatte.

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Geschrieben von

Lutz Herden

Redakteur „Politik“, zuständig für „Ausland“ und „Zeitgeschichte“

Lutz Herden studierte nach einem Volontariat beim Studio Halle bis Ende der 1970er Jahre Journalistik in Leipzig, war dann Redakteur und Auslandskorrespondent des Deutschen Fernsehfunks (DFF) in Berlin, moderierte das Nachrichtenjournal „AK zwo“ und wurde 1990/91 zum Hauptabteilungsleiter Nachrichten/Journale berufen. Nach Anstellungen beim damaligen ORB in Babelsberg und dem Sender Vox in Köln kam er Mitte 1994 als Auslandsredakteur zum Freitag. Dort arbeitete es von 1996 bis 2008 als Redaktionsleiter Politik, war dann bis 2010 Ressortleiter und danach als Redakteur für den Auslandsteil und die Zeitgeschichte verantwortlich.

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