Exil am Sonnenstrand

Bulgarien Am Schwarzen Meer hat sich eine Filiale deutschsprachiger Querdenker eingerichtet. Was treibt sie um?
Ausgabe 40/2021
Die „Costa Del Croco“ in Südostbulgarien: „Dort wurden die Maßnahmen am wenigsten gelebt.“
Die „Costa Del Croco“ in Südostbulgarien: „Dort wurden die Maßnahmen am wenigsten gelebt.“

Foto: Nikolay Doychinov/AFP/Getty Images

Nie hatte ich mit Querdenkern zu tun, da erzählte mir ein Klassenkollege von einst, dass sein kluger Bruder die österreichischen Coronademos organisiert habe und nun nach Bulgarien ausgewandert sei. Das Land hat mit 16 Prozent die mit Abstand niedrigste Impfquote der EU, schoss es mir durch Kopf, deswegen Bulgarien.

So sitze ich auf der Terrasse über der Seebrücke von Burgas, auch in der Nachsaison ist noch viel Russisch zu hören. Ich frühstücke eine Torte aus Speiseeis, etwas anderes gibt es nicht, und kein 3G nirgends. Ich sehe den Bruder meines Bekannten nach 30 Jahren wieder. Er bestätigt mir: „Ich bin praktisch der Oberquerdenker von Österreich.“ Die nächste Info haut mich endgültig um: Im September hat sich eine ganze Kolonie deutschsprachiger Querdenker am Schwarzen Meer niedergelassen. Allein in einer „Chateau“ genannten Touristenresidenz leben 30, weitere 40 in der Umgebung.

Er fährt mich in ihre Gegend raus, an einen goldgelben Strand. Es ist heiß, ich schwimme lange, eine tiefengebräunte Muskelfrau joggt mit vorauseilendem Vogelkopf rauf und runter. Dann reden wir zwischen den Topfpalmen der weitläufigen Beachbar. Wieso Bulgarien, frage ich, kann man hier angesichts von 80 Coronatoten täglich nicht in einen weiteren Lockdown geraten? Es stellt sich heraus, dass die Auswanderung der Querdenker mit einem geradezu investigativ recherchierten Punktesystem vorbereitet wurde. Dabei gilt die Impfquote als „Gradmesser dafür, wie viel sich ein Volk gefallen lässt“, Arbeitsmöglichkeiten und Einwanderungsbestimmungen zählen auch.

Die Wahl fiel auf Ecuador, das man im Juni drei Wochen lang bereiste, im Juli wurde dort eine Impfpflicht für Touristen und Beamte verkündet, so starb Ecuador. Dann wurde Europa erwogen. Zunächst am ehesten Bosnien. Bulgarien war seine Idee. Der Oberquerdenker lobt den breiten bulgarischen Widerstand gegen Lockdowns, auch stehe die Ärzteschaft kritisch zur Impfung. Nach einer Erkundungsreise im August entschied man sich für die südostbulgarische Küste. Und das Maskentragen? „Dort wurden die Maßnahmen am wenigsten gelebt.“ Falls es auch in Bulgarien eng wird, lautet Plan B: Georgien, Ukraine oder Moldawien. Dass Bulgarien mit drei Wahlen in diesem Jahr ein unregiertes Land ist, kommt ihm entgegen.

Verschwörung in New York

Politisch bezeichnet sich der Oberquerdenker als „Zentrist“. Er hatte selbst Covid-19, „milder Verlauf“, die Krankheit als solche zweifelt er nicht an. Wenn die Staaten gar keine Maßnahmen verhängt hätten, schätzt er, wäre die Zahl der Betroffenen und Toten „um Faktor 3“ höher gewesen. Vieles an der Maßnahmenkritik, die er in der Mittagssonne vorträgt, habe ich auch schon geäußert; dass er gleich auswandert, lässt sich nur mit seinem Glauben an eine dahinterstehende Agenda erklären. „Seelenlose Technokraten, die wirklich glauben, dass man Menschen transhumanistisch mit Maschinen verheiraten kann“, hätten sich verschworen. Als Schlüsselbeleg führt er die New Yorker Pandemiekonferenz an, welche am 20. Oktober 2019 die Annahme durchgespielt habe, ein Coronavirus kursiere in Brasilien: „Event 201, das war die Blaupause.“ Beteiligt: John-Hopkins-Uni, Weltwirtschaftsforum, die Gates-Stiftung. Das seien, angeleitet von „Sektenführer“ Klaus Schwab, die Verschwörer.

Er fährt mich zum Flughafen zurück. Er fährt entspannt, einen getunten Drängler lässt er schmunzelnd vorbei, „der Proletenauspuff, er braucht’s halt“. Seine Demos waren zunächst gegen „die Regierung und ihre Handlanger“ gerichtet. Als die Teilnehmerzahlen im Mai einbrachen, „haben wir das Problem beim Volk gesucht“. Seither fragen sich die Querdenker enttäuscht, warum wehrt sich das Volk nicht? Seine Antwort: „Das Heimatland kann man durch die Bank abschreiben.“ Um halb sechs bin ich wieder zu Hause. Leichter Sonnenbrand, Salz im Haar, heitere Rückkehr von einem Strandausflug. Doch denke ich mit Unruhe an diesen Oberquerdenker zurück.

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